# taz.de -- Haus der Bayerischen Geschichte: Samma mia no mia? | |
> Bayerische Identitätspolitik: Im kürzlich eröffneten Museum feiert der | |
> Freistaat sich selbst von der Kutsche des Märchenkönigs bis zum | |
> Wolpertinger. | |
Bild: Bleibt am Ende von Bayern nur das, was hier auf der Bühne steht? Schloss… | |
Pferdegetrappel, Wiehern, Kanonenschüsse, Trommeln – es ist der Soundtrack | |
des Krieges, der den Besucher bei der Rolltreppenfahrt in den ersten Stock | |
empfängt. Von einem „kleinen Korsen, der Europa überrennt“, spricht die | |
Museumsführerin. Wir befinden uns im Jahr 1806, dem Jahr, in dem Bayern | |
dank Napoleon Königreich wird und in dem hier die bayerische Geschichte | |
beginnt. | |
Hier, das ist in der Dauerausstellung des Hauses der Bayerischen | |
Geschichte. Denn natürlich befinden wir uns im Jahr 2019 und in Regensburg; | |
ebendort, wo vor wenigen Wochen unter großem Aufsehen dieses Haus eröffnet | |
wurde. Direkt an der Donau, beste Altstadtlage. Dass das Museum sich nun | |
auf die Geschichte seit 1806 konzentriert, darf verwundern. Denn 2008 hatte | |
Bayerns damaliger Ministerpräsident Horst Seehofer in einer | |
Regierungserklärung dessen Bau angekündigt und von der über tausendjährigen | |
Geschichte Bayerns gesprochen, die es abzubilden gelte. | |
Aber weniger ist mehr, und die Beschränkung auf die letzten 200 Jahre habe | |
den Vorteil, dass die Ausmaße Bayerns in dieser Zeit einigermaßen konstant | |
geblieben seien, erklärt die Führerin. Was vor 1806 in diesem Land | |
passierte, ist in das „360°-Panorama“ im Erdgeschoss ausgelagert – eine | |
filmische Rundum-Doku, die der Moderator und Kabarettist Christoph Süß in | |
multiplen Rollen dennoch zu einem der Höhepunkte des Museums macht. | |
## 1.000 Gegenstände | |
Die eigentliche Dauerausstellung dagegen lebt von ihren Exponaten. Rund | |
1.000 Gegenstände sind es, 300 von ihnen kommen aus Privatbesitz, wurden | |
dem Museum nach einem Aufruf gestiftet oder geliehen – so wie der Füller, | |
mit dem Theo Waigel den Maastricht-Vertrag unterschrieben hat, oder die | |
Uhr, die Ludwig II. trug, als er in den Starnberger See ging. | |
Keine Frage, es ist zum Teil Hochkarätiges, was hier ausgestellt wird: Da | |
ist die Schreibmaschine, auf der die Geschwister Scholl ihre Flugblätter | |
tippten, die Lederhose, die Oskar Maria Graf auch im New Yorker Exil stets | |
trug, oder einer jener Jeeps, mit denen die GIs durchs besetzte Bayern | |
fuhren. | |
Auch ein Teil des alten Plenarsaals des bayerischen Landtags findet sich | |
hier. Die Besucher können auf den Originalstühlen der Abgeordneten Platz | |
nehmen. Ein paar Schritte weiter darf sich, wer nicht zur Klaustrophobie | |
neigt, in eines der 300.000 Goggomobile setzen, die mal in Bayern gefertigt | |
wurden. | |
## Glühbirne in der Kutsche von Ludwig II. | |
Interessant auch der Nymphenschlitten von Ludwig II. In seiner Laterne | |
befand sich bereits eine Glühbirne. Was überrascht, da Edison zu dieser | |
Zeit gerade erst seine ersten Glühlampen-Patente anmeldete und die Lampe | |
des Kini ohnehin etwas anderer Machart war. Es sei ein großes Mysterium, | |
sagt die Führerin, wer diese damals hergestellt habe. | |
Und dann der viel diskutierte Löwe. Ihn trifft man schon im Foyer, auf | |
einem hohen Podest. Die Raubkatze aus Pappmaschee, im Sitzen stattliche | |
vier Meter hoch, hielt seit den Fünfzigern vor den Bierzelten von Löwenbräu | |
Wache – unter anderem auf dem Oktoberfest. Jetzt hebt sie hier im Museum | |
immer mal wieder den Maßkrug und brummt dazu die bayerische Hymne. | |
Am 4. Juni, da war der Löwe gerade eingezogen, konnte er hier zu seinen | |
Füßen das Tamtam beobachten, mit dem das Museum eröffnet wurde. 2.000 | |
Ehrengäste, der Bayerische Rundfunk übertrug das Weltereignis – samt | |
kirchlichem Segen und Regensburger Domspatzen. Markus Söder saß in der | |
ersten Reihe, gleich neben Franz Herzog von Bayern und Fürstin Gloria von | |
Thurn und Taxis. | |
## Bavarian Dream of Life | |
In seiner Rede sprach der Ministerpräsident dann vom „Bavarian Dream of | |
Life“ und von einer „Liebeserklärung“, die das Museum an Bayern sei. Und | |
der BR-Reporter hauchte ehrfürchtig ins Mikrofon: „So etwas gibt es nur in | |
Bayern.“ Apropos Liebeserklärung: Beim Rundgang durch die Ausstellung soll | |
Söder dann sein Haupt vor der Büste von Vorgänger Franz Josef Strauß | |
geneigt haben. Gibt es auch nur in Bayern. | |
Natürlich hielt der Ministerpräsident eine launige Rede und stellte bei | |
dieser Gelegenheit eine steile These in den Raum: „Wenn man Bayern | |
verstehen will“, behauptete er, „dann muss man nach Regensburg kommen.“ N… | |
kann nicht einwandfrei ausgeschlossen werden, dass den Regierungschef hier | |
tatsächlich die eine oder andere neue Erkenntnis angeweht haben mag. Ob es | |
überhaupt im Bereich des Möglichen liegt, Bayern zu verstehen, darf jedoch | |
dahingestellt bleiben, ein Besuch dieses Museums jedenfalls wäre dafür | |
weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung. | |
Um zu erfahren, warum sich ein Besuch aber dennoch lohnt, geht man am | |
besten ins Wirtshaus. Denn – logisch! – dieses Museum hat kein Café, | |
sondern ein Wirtshaus. Und in dem findet man ihn auch schon, den Herrn | |
Direktor. Gerade hat er hier mit ein paar seiner Mitarbeiter zu Mittag | |
gegessen, jetzt bestellt sich Richard Loibl noch einen Espresso und kommt | |
auch gleich zur Sache. | |
## „Königsschlösserniveau“ | |
Die Begeisterung des Chefs für sein Museum ist auch Wochen nach der | |
Eröffnung noch immer ungebrochen. Nächste Woche erwartet er den 200.000. | |
Besucher des Foyers, den 130.000. bezahlenden. „Wahnsinn“, sagt er, und das | |
habe doch „Königsschlösserniveau“, wahrscheinlich liege man noch über | |
Linderhof. | |
Zahlen, die einen Hinweis darauf geben, dass Loibl immerhin eines seiner | |
Vorhaben gelingt: Er spricht die Leute an. „Mit normaler Museumsarbeit | |
können wir nur einen Bruchteil der Bevölkerung überhaupt erreichen“, sagt | |
Loibl, „vielleicht 20 Prozent. Und mit dem kann und will ich mich nicht | |
abfinden.“ Deshalb sei ihm auch dieser Löwe im Foyer so ans Herz gewachsen. | |
Vom Feuilleton bekomme er ja regelmäßig den Vorwurf, er sei zu populär. | |
„Aber damit kann ich gut leben. Bei uns werden einfach nur wahre | |
Geschichten gut erzählt. Und dafür ist der Löwe ein Hilfsmittel.“ Wahrheit | |
– da hat sich der Direktor natürlich ein großes Wort ausgesucht. | |
Loibl, Historiker, Niederbayer und 53 Jahre alt, hat bereits in Passau und | |
Augsburg Museen aufgebaut, bevor er 2007 Leiter des Hauses der Bayerischen | |
Geschichte wurde, das den Freistaat mit opulenten „Landesausstellungen“ | |
beglückte, bevor es nun ein festes Haus bekam. | |
In diesem gibt sich der Freistaat einer seiner Lieblingsbeschäftigungen | |
hin: Er feiert sich selbst. Klar, es gibt kritische Untertöne, auch | |
ironische. Doch im Gesamten kommt die Geschichtsschau geschmeidig daher. | |
Die Revolution von 1918, immerhin eine der größten Zäsuren in der | |
bayerischen Geschichte – wird quasi im Vorbeigehen abgehandelt. | |
## Kurt Eisner und sein Mörder unter den „Köpfen der Revolution“ | |
Man kenne ihn ja vielleicht dem Namen nach, sagt die Führerin über den | |
Freistaatsgründer Kurt Eisner. Und in einem der Begleittexte wird er | |
schlicht als „Berliner Jude“ charakterisiert. Schwer nachzuvollziehen ist | |
auch, warum sein Mörder, Anton Graf von Arco, unter den „Köpfen der | |
Revolution“ aufgeführt wird. | |
Irgendwie wirkt es, als gebe es letztendlich doch eine direkte Linie von | |
Max I. bis zu Strauß oder auch vom Prinzregenten Luitpold bis zu Söder. Das | |
Prinzregentenkostüm übrigens, das dieser 2018 beim Fasching in | |
Veitshöchheim trug, wurde ebenfalls als ausstellungswürdig betrachtet – und | |
hängt gleich neben Urmel aus dem Eis. | |
Natürlich ist es gewagt, einen Bogen von der Jacke eines KZ-Häftlings aus | |
Dachau bis zu Söders Uniform zu spannen. Natürlich finden sich im Haus der | |
Bayerischen Geschichte Schätze wie auch Banalitäten. Es ist viel Stückwerk | |
und gutes Infotainment zugleich. | |
## Könige, Bier, die CSU, Wolpertinger und der FC Bayern | |
Und natürlich setzt sich das Museum dem Vorwurf der Klischeehaftigkeit aus. | |
Und das, wenn man Museumsdirektor Loibl glauben darf, bewusst. Könige, Bier | |
und der FC Bayern, die CSU und der Wolpertinger: Die Stereotype gehören zu | |
Bayern, deshalb werden sie auch thematisiert. Da das Museum jedoch ganz auf | |
die ausgestellten Gegenstände setzt, verleitet es den Besucher dazu, diese | |
für sich sprechen zu lassen. Die Brechungen, die Fragezeichen finden sich | |
aber oft nur in den Begleittexten. | |
Auf einer der Präsentationsflächen kurz vor Schluss sind eine gigantische | |
Schneekugel mit Schloss Neuschwanstein, elf Lederhosen-Outfits aus dem | |
FC-Bayern-Shop und Bilder vom Oktoberfest zu sehen. Daneben klein die | |
Frage: „Samma mia no mia?“ Oder wie die hübsche Übersetzung für die | |
internationalen Besucher lautet: „Are we still us?“ Es ist die Frage, mit | |
der die Ausstellung endet. Was bleibt von Bayern übrig? Nichts als | |
Klischees? Die Frage bleibt offen. | |
16 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Haus der bayerischen Geschichte | |
Regensburg | |
Ausstellung | |
Ludwig II | |
Schloss Neuschwanstein | |
Oktoberfest | |
FC Bayern München | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Antisemitismus | |
Oktoberfest | |
Schloss Neuschwanstein | |
Novemberrevolution 1918 | |
Bayern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Antisemitismus in München 1918-23: Bedrohung mit System | |
Der Historiker Michael Brenner hat den Antisemitismus der 20er Jahre in | |
München untersucht. Der radikalisierte sich mit der Niederschlagung der | |
Räterepublik. | |
Als Anfänger auf dem Oktoberfest: Behutsame Initiation | |
Da wollte er niemals hin? Jetzt ist er nun mal da! Unser Autor verirrt sich | |
auf die Oide Wiesn und trifft aufgeschlossene Rosenheimer. | |
Schloss Neuschwanstein wird 150: Ein verfluchtes Märchenschloss | |
Vor 150 Jahren wurde der Grundstein von Schloss Neuschwanstein gelegt. Für | |
König Ludwig II. wurde es zum Unglück. Ein Besuch. | |
Fund von Gerichtsakten im Fall Landauer: „Schlagt ihn tot“ | |
Vor 100 Jahren wurde Gustav Landauer, Anarchist in der Räterepublik, | |
erschlagen. Gerichtsakten beleuchten, wie die Justiz mit politischem Mord | |
umging. | |
Hörbuch „Rotes Bayern“: Mit Musik durch die Revolution 1918 | |
Ein Hörspiel mit viel Musik erklärt die oft vergessene Revolution von | |
München 1918 – eine unterhaltsame Geschichtsstunde. |