| # taz.de -- Fund von Gerichtsakten im Fall Landauer: „Schlagt ihn tot“ | |
| > Vor 100 Jahren wurde Gustav Landauer, Anarchist in der Räterepublik, | |
| > erschlagen. Gerichtsakten beleuchten, wie die Justiz mit politischem Mord | |
| > umging. | |
| Bild: Gustav Landauer | |
| Mord verjährt nicht, aber die Erinnerung an die Geschichte verblasst. Doch | |
| ein zufälliger Aktenfund im Generalarchiv Karlsruhe zu einem der | |
| bekanntesten politischen Morde der Revolution von 1918/19 sorgt genau 100 | |
| Jahre später für eine Sensation: Ein Archivar hat in den Akten zum | |
| Badischen XIV. Armeekorps die Prozessdokumente des Lynchmords an Gustav | |
| Landauer, einem der führenden Köpfe der Münchener Räterepublik entdeckt. | |
| Landauer, geboren 1870 ausgerechnet in Karlsruhe, war schon vor dem Ersten | |
| Weltkrieg [1][Anarchist und Pazifist]. Er war Schriftsteller, Übersetzer. | |
| Seine religionsphilosophischen Werke wurden beachtet nicht nur von seinem | |
| Freund Martin Buber. Er übersetzte das mystische Werk Meister Eckharts und | |
| veröffentlichte einen „Aufruf zum Sozialismus“, der selbst Thomas Mann | |
| beeindruckte. | |
| Zum revolutionären Politiker wurde der Gelehrte fast zufällig. Es hat ihn | |
| nicht dazu gedrängt. Er sei „nie politisch immer nur antipolitisch tätig | |
| gewesen“, schreibt er in einem Brief. Es ist sein Freund Kurt Eisner, der | |
| erste Ministerpräsident des Freistaat Bayern, der ihn im November 1918 nach | |
| München geholt hat. Nur hier gebe es die Chance, seine Utopien vom | |
| herrschaftsfreien Leben der Menschen in freien Assoziationen zu | |
| verwirklichen. Doch Eisners linke Regierung aus SPD, USPD und Marxisten ist | |
| dem Anarchisten Landauer zu kompromisslerisch. Die Wahlen gehen für die | |
| Linken verloren. Eisner wird auf dem Weg zu seiner Rücktrittserklärung | |
| [2][erschossen]. Landauer hält seine Grabrede. | |
| Die politischen Wirren nach dem Mord an Eisner verdrängen die demokratisch | |
| gewählte SPD-Regierung und bringen eine Regierung der „Träumer“ (so der | |
| treffende Titel des Buchs von Volker Weidermann zur Münchener Räterepublik | |
| ) um Ernst Toller und Landauer an die Regierung. Dieses politische | |
| Experiment dauert nur wenige Wochen. | |
| ## Mord an einem Unbeteiligten | |
| Landauer selbst ist sogar nur wenige Tage Kultusminister. In dieser Zeit | |
| kann er immerhin die Prügelstrafe an Schulen abschaffen. Dann übernehmen | |
| professionelle Revolutionäre um den Marxisten Eugen Leviné. Leute, deren | |
| Politik und Methoden der Antikommunist Landauer ablehnt. Aber auch sie | |
| werden sich nicht lange halten. | |
| Am 30. April und 1. Mai marschieren die Truppen der Berliner Regierung, | |
| unterstützt von brutal agierenden rechten Freikorps, in München ein. | |
| Insgesamt kommen bei den Kämpfen 2.000 Menschen ums Leben, die meisten | |
| zivile Opfer der Freischärler. Landauer wird festgenommen. Er war bei | |
| Eisners Witwe untergekommen, mit den politischen Vorgängen der letzten Tage | |
| hat er nichts zu tun. | |
| Die Truppen bringen ihn zunächst in eine Kaserne nach Starnberg. Am | |
| nächsten Tag kommt Landauer ins Zuchthaus Stadelheim. Schon bei seiner | |
| Ankunft dort wird er von den Soldaten und dem Mob geschlagen. | |
| Der Gefreite Eugen Digele ist der Einzige, der sich später für das, was nun | |
| folgt, vor Gericht verantworten muss. Er wird in den Prozessakten, die | |
| jetzt erstmals in Karlsruhe eingesehen werden können, wie folgt zitiert: | |
| „Landauer war meines Wissens das Oberhaupt der Räterepublik.“ | |
| ## Sechs Wochen für Todesschuss und Diebstahl | |
| Landauer wurde dann durch den Hof geführt, gefolgt von 60 bis 100 Personen. | |
| „Ich ging vor Landauer her. Es wurde gerufen ‚Schlagt ihn tot!‘“ Auch | |
| Digele versucht auf den wehrlosen Gefangenen einzuschlagen. Dann ertönt der | |
| Ruf: „Halt Platz da! Jetzt wird er erschossen.“ Digele sagt vor Gericht | |
| aus: „Es entstand eine Gasse. Es trat ein Soldat vor und schoss Landauer in | |
| den Kopf.“ Landauer scheint nicht sofort tot zu sein. Digele erinnert sich: | |
| „Alles rief, gebt ihm eins, damit er nicht lange leiden muss. Ich schoss | |
| ihm dann durch die Schläfe.“ | |
| Auch der Aktenfund über den Prozess des Freiburger Militärgerichts gibt | |
| keinen Aufschluss darüber, wer der Soldat war, der diesen ersten, glaubt | |
| man dem Obduktionsbericht, der ebenfalls erstmals vorliegt, wohl tödlichen | |
| Schuss auf Landauer abgegeben hat. Aber die Dokumente zeigen, wie die | |
| Justiz damals mit dem politischen Mord umgeht. | |
| Das Verfahren vor dem Militärgericht Freiburg wird in aller Eile | |
| durchgezogen, während die Republik vom Kapp-Putsch und dem Ruhraufstand in | |
| Atem gehalten wird. Ein Prozess für Digele in München, wo weitere Zeugen | |
| hätten geladen werden können, sollte vermieden werden. Dort habe er kein | |
| faires Urteil zu erwarten, befürchtet die Anklage. Also wird Digele in | |
| Freiburg der Prozess gemacht. | |
| ## Befehlsnotstand, die gängige Rechtfertigung | |
| Nur eine SPD-nahe Zeitung berichtet über das Verfahren. Am 19. März 1920 | |
| wird das äußerst milde Urteil verkündet. Der Gefreite Digele wird wegen der | |
| Misshandlung Landauers und Hehlerei, er hatte die Taschenuhr des Toten | |
| gestohlen, zu einer Gesamtstrafe von sechs Wochen Haft verurteilt. Vom | |
| Totschlag spricht ihn das Gericht frei. Digele habe nach dem ersten Schuss | |
| auf den Gefangenen davon ausgehen können, dass „der erste Schütze in | |
| Ausführung eines rechtmäßigen Befehls in Dienstsachen gehandelt habe, dass | |
| Landauer zum Tod bestimmt sei“. Befehlsnotstand also, in seinem Namen | |
| sollen später noch ganz andere Verbrechen deutscher Soldaten gerechtfertigt | |
| werden. | |
| Bis 10. Mai sind Akten und andere Fundstücke im Generalarchiv ausgestellt. | |
| Online sind die Dokumente zugänglich unter | |
| [3][www.landesarchiv-bw.de/web/64428]. | |
| 1 May 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gedenken/!5474243 | |
| [2] /Kurt-Eisner-Denkmal-in-Muenchen-geplant/!5178339 | |
| [3] http://www.landesarchiv-bw.de/web/64428 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Stieber | |
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