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# taz.de -- Gedenken: Wenn das also der Anarchismus ist …
> Eine Initiative will Gustav Landauer in Berlin ein Denkmal setzen.
> Erinnerungskult wie etwa bei der jährlichen Demo für Rosa Luxemburg und
> Karl Liebknecht stand der Anarchist skeptisch gegenüber.
Bild: Gustav Landauer auf einem Gemälde in Worpswede
Er passt in keine Schublade: Gustav Landauer, Anarchist, Publizist,
Politiker und Wissenschaftler, der sich mit jüdischer Philosophie und
jüdisch-christlicher Mystik beschäftigte. 2019 jährt sich sein Todestag zum
100. Mal. Nach einer kurzen Zeit des Regierens in der Münchner
Räterepublik, in der seine erste Amtshandlung darin besteht, die
Prügelstrafe in Schulen abzuschaffen, wird er ermordet. Die Gustav Landauer
Denkmalinitiative will dem in Vergessenheit Geratenen nun in Berlin ein
Mahnmal errichten. „Kreuzberg oder das Scheunenviertel um die Volksbühne
kommen dafür in Frage“, sagt Jan Rolletschek, der sich in der Initiative
engagiert. Er promoviert an der HU Berlin über Landauers Rezeption des
jüdischen Philosophen Baruch de Spinoza.
Landauer wurde in der BRD wegen seiner sozialistischen Einstellung, in der
DDR wegen seines libertären Anarchismus, der sich mit einem orthodoxen
Leninismus nicht verträgt, nicht beachtet. Dass das Interesse an ihm nun
wieder steigt, erklärt Rolletschek damit, dass die Ideologie, es gäbe keine
Alternative zum Neoliberalismus, an Zustimmung verliere. „Mir scheint, es
gibt heute Suchbewegungen nach wirklichen Alternativen“, sagt Rolletschek,
„wie kann man aus der Misere ausbrechen, in der sich die Welt befindet? Die
Leute sind nicht blöd, im Grunde wissen alle, dass es finster aussieht.
Zugleich gibt es kein Zurück zu einem autoritären Staatssozialismus, wie
etwa in der DDR oder in der UdSSR. Landauer ist avant la lettre ein
hellsichtiger Kritiker dieser autoritären Entwicklung gewesen.“
## Politisierung der jüdischen Jugend
Mit Anfang 20 wird Landauer Sozialist, findet im Anarchismus seine
politische Heimat. Er gibt die Zeitschrift Der Sozialist heraus, baut ab
1908 den Sozialistischen Bund mit auf. Im Scheunenviertel engagiert er sich
im Jüdischen Volksheim und trägt zur sozialistischen Politisierung der
jüdischen Jugend bei. 1911 versucht er durch Broschüren und Vorträge
Industriearbeiter*innen gegen den heraufziehenden Krieg zu organisieren. Er
schließt sich der Volksbühnenbewegung an, die Theater für die
Arbeiterklasse errichten will. Sie sollen Stücke spielen, die nicht die
Themen der Oberschicht verhandeln, sondern der Arbeiter*innen. Er pflegt
Kontakte zu anarchistischen Intellektuellen in Europa, zu
Gewerkschafterinnen und Politikern.
Gegen Ende des Kriegs mehren sich Aufstände in der Bevölkerung. Nach dem
Streik der Kieler Matrosen, die sich weigern, erneut gegen die englische
Flotte auszulaufen, brechen die Novemberrevolutionen aus. Der Kaiser dankt
ab, die Weimarer Republik wird ausgerufen. Die Pläne der Sozialist*innen,
die Revolution weiterzutreiben und zu einer egalitären Ordnung zu führen,
werden durch den Widerstand der SPD unter Führung Friedrich Eberts
vereitelt. Der Spartakusaufstand im Januar 1919 wird mithilfe rechter
Freikorps niedergeschlagen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Anführer
der KPD und des Spartakusbundes, werden ermordet.
Gustav Landauer wird im April 1919 Kultusminister in der Münchner
Räterepublik. Knapp vier Wochen lang versuchen die Revolutionäre, darunter
die Schriftsteller Ernst Toller und Erich Mühsam, die Kommunisten Eugen
Leviné und Max Levien, die Stadt nach rätedemokratischen Prinzipien zu
organisieren. Arbeiter- und Soldatenräte hatten im Zuge der
Novemberrevolution 1918 den Sozialisten Kurt Eisner zum Ministerpräsidenten
des Freistaats gewählt. Im Februar 1919 wird er vom völkischen Antisemiten
Graf von Arco auf Valley ermordet. Die Situation eskaliert, es kommt zu
Schusswechseln zwischen Arbeitern und Rechtsextremen.
Letztlich können Gustav Landauer und seine Mitstreiter die Konterrevolution
nicht aufhalten. Gerüchte über angebliche Gräueltaten werden verbreitet,
sie verlieren den Rückhalt in der Bevölkerung. Am 1. Mai 1919 erobert die
Armee, bestehend aus rechten Freikorps und Bürgerwehren, München,
unterstützt durch Soldaten, die von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD)
aus Berlin entsandt sind. Aufstände werden brutal niedergeschlagen,
Spartakist*innen gejagt, Funktionäre, auch Landauer, verhaftet. Im
Gefängnis München-Stadelheim wird er misshandelt und ermordet. Damit ist
der Weg geebnet: München wird zur Hauptstadt der faschistischen Bewegung.
Was kann Landauer hundert Jahre nach seinem Tod für die Gesellschaft
bedeuten? „Es geht um Fragen der Machtverteilung, um die Bedeutung des
Einzelnen und um kollektive Freiheit“, sagt Rolletschek. „Landauer hat sich
gegen den Autoritarismus des Kaiserreichs, gegen die Verelendung großer
Teile der Bevölkerung, gegen Menschenrechtsverletzungen, Kolonialismus,
autoritäre Erziehung und den heraufziehenden Weltkrieg gestemmt. Wenn das
also der Anarchismus ist, sollten wir ihn mit offenen Armen begrüßen!“ Ein
Denkmal in Berlin sei ein erster Schritt, um dieses Menschen zu gedenken,
der von den vermeintlichen Siegern der Geschichte vergessen gemacht werden
sollte.
Was bleibt, ist auch die Frage, wie linkes Gedenken abseits von
Personenkult aussehen kann, der etwa den jährlichen Gedenkmarsch für
Luxemburg und Liebknecht prägt. Aber vielleicht ist Gustav Landauer als
Anarchist sowieso vor der Ehrerbietung durch autoritäre Mao- und
Stalin-Grüppchen gefeit. In seinen Worten: Anarchie ist die Befreiung von
Götzen jeder Art, ob Staat, Kirche oder Kapital. Er würde sich selbst nicht
ausschließen.
13 Jan 2018
## AUTOREN
Daphne Weber
## TAGS
Rosa Luxemburg
Karl Liebknecht
Anarchismus
Gedenken
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