# taz.de -- Haus der Bayerischen Geschichte: Von den Vorteilen der Kanalratte | |
> In Regensburg widmet sich eine Ausstellung den Großprojekten Bayerns | |
> vergangener Jahrzehnte – und gibt sich erstaunlich kritisch. | |
Bild: Das Foto, aufgenommen um 1980, zeigt den Bau zweier Reaktoren des Kernkra… | |
War das ein Skandal. Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) sprach von | |
einer „verleumderischen und bösartigen Ehrabschneidung“. Umgehend gingen | |
Protestbriefe des Kabinetts an den ARD-Vorsitzenden ab. Eine | |
Richtigstellung wurde verlangt. Die halbe Republik amüsierte sich über das | |
Schauspiel, dargeboten von der Bayerischen Staatsregierung gegen die | |
Ausstrahlung einer Satiresendung im Fernsehen. | |
Es ist mittlerweile 42 Jahre her, dass [1][Gerhard Polt] ein | |
Lieblingsprojekt der CSU madig machte. Polt trat als Herr Schramm von der | |
Main-Donau-AG auf, die gerade dabei war, das liebliche Altmühltal in eine | |
Kanal-Abflussrinne umzugraben, allen örtlichen Protesten zum Trotz. | |
Er betonte die Vorteile der Kanalratte gegenüber dem Brachvogel, der nun | |
leider im Wege sei, und lobte die Begradigung gegenüber den unordentlichen | |
Kurven eines Flusses. Gisela Schneeberger betätigte sich in der Sendung | |
„Scheibenwischer“ von Dieter Hildebrandt als Sekretärin, die dem halben | |
Landeskabinett Bestechungsgelder avisierte. | |
Die CSU schäumte. Und der Kanal, dieses „dümmste Projekt seit dem Turmbau | |
zu Babel“, so der damalige SPD-Bundesverkehrsminister Volker Hauff 1981? Er | |
wurde natürlich trotzdem zu Ende gebaut. „Der Kanal wird dieselbe Bedeutung | |
haben wie der Panamakanal und der Suezkanal“, hatte Strauß versprochen. | |
Heute dümpeln vor allem Kreuzfahrtschiffe durch die Rinne. | |
Kritik an der Staatsregierung | |
Es ist ein gutes Messinstrument für eine liberale Demokratie, schaut man | |
danach, wie viel Selbstkritik der Staat auszuhalten in der Lage ist. Und da | |
muss man sagen: Auch in Bayern bewegt sich was. [2][Das freistaatliche Haus | |
der Bayerischen Geschichte] hat es nämlich gewagt, in Regensburg eine | |
Ausstellung über vergangene bayerische Großprojekte zu initiieren. Da ist | |
die Kritik an der Staatsregierung in München quasi inkludiert. Oder nicht? | |
Am Eingang hängen Bauhelme und gelbe Westen aus, wie es sich für eine | |
richtige Großbaustelle gehört, auch wenn diese hier nur virtuell | |
stattfindet. Und dann, nach wenigen Schritten, ist auch schon der | |
Main-Donau-Kanal erreicht, aber nicht nur mit Bildern und Schautafeln und | |
einer kindgerechten Schleuse dargestellt. | |
Die Ausstellungsmacher haben es tatsächlich gewagt, eine Hörstation | |
einzubauen, in der Gerhald Polt seine Worte von 1982 wiederholen darf! In | |
einer Ausstellung des Freistaats! Und dann ist gar davon die Rede, das | |
Projekt habe eine „Kulturlandschaft für immer verändert“, was ja wohl eine | |
Kritik an Franz Josef Strauß darstellt. Eine Majestätsbeleidigung. Es ist | |
unglaublich! | |
Womit „Ois anders“, so der Titel der Schau über Großprojekte in Bayern, d… | |
erste Prüfung glänzend bestanden hat – Bayern ist freiheitlicher geworden. | |
Unglücklicherweise kann es bei diesem Urteil aber nicht bleiben. | |
Hinweis auf Proteste | |
Die Regensburger Schau bietet einen guten Überblick über so einige in der | |
Vergangenheit umstrittene Projekte, sei es den Münchner Flughafen, die | |
Autobahn 94 durch das Isental oder das Atomkraftwerk Gundremmingen. Auch | |
dort wird jeweils auf Proteste hingewiesen. Ländliche Strukturen wurden | |
umstandslos in industrielle umgekrempelt. | |
Aber wie es in Bayern halt so ist: Alle diese Großbaustellen wurden | |
erfolgreich fertiggestellt, die Autos fahren, die Flugzeuge fliegen, | |
[3][nur das AKW ist inzwischen stillgelegt]. | |
Und doch leidet die Ausstellung an einer gleich doppelten Schieflage. Denn | |
das einzige Großprojekt, bei dem die Bayerische Staatsregierung mit ihren | |
Plänen an der Bevölkerung scheiterte, wird großzügig übergangen. [4][Vom | |
Widerstand der 1980er Jahre gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage im | |
oberpfälzischen Wackersdorf], wo abgebrannte atomare Brennstäbe erneuert | |
werden sollten, ist nirgends die Rede. Diese Pleite der Bayerischen | |
Staatsregierung auch noch in einer Ausstellung zu würdigen ging offenbar | |
zu weit. | |
Nationalpark Bayerischer Wald | |
Dafür aber wird ein anderes Großprojekt vorgestellt, das gar keines ist: | |
der 1970 gegründete Nationalpark Bayerischer Wald. Ja, auch dort gab es | |
Proteste, nun allerdings gegen angeblich zu viel Ökologie. Aber das ist | |
auch der einzige Berührungspunkt mit den anderen dargestellten Projekten. | |
Der Nationalpark hat keinen Beton verschlungen, keine Schnellstraßen und | |
Brücken erfordert, keine Landebahn erzwungen oder die Landschaft | |
anderweitig umgekrempelt. Er hat die Natur machen lassen. Und das ist wohl | |
das Gegenteil einer Großbaustelle. | |
Und so wird der Besucher den Eindruck nicht los, als hätte die | |
Ausstellungsmacher nach der Darstellung des Main-Donau-Kanals der Mut | |
verlassen. | |
13 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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