# taz.de -- Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda: Wahrnehmungsroutinen durchbr… | |
> Brosda steht für produktive Irritationen, kleine Plattenläden und Kultur | |
> in Coronazeiten. Jetzt ist er auch Präsident des Deutschen Bühnenvereins. | |
Bild: Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda eröffnet im Theater „Schmidtchen… | |
Er habe „keinen Masterplan in der Tasche“: Das sagte Carsten Brosda dieser | |
Tage zur Zukunft des Bismarck-Denkmals oberhalb des Hamburger Hafens. Das | |
weltweit größte seiner Art wird derzeit saniert für einen einstelligen | |
Millionenbetrag, zugleich fordern lauter denn je Stimmen, dass er nicht | |
einfach so da stehen könne, der „Eiserne Kanzler“ und Kolonienermöglicher. | |
Das sieht auch Brosda so, 46, seit 2017 Hamburgs Senator für Kultur und | |
Medien. | |
Wie der [1][soeben zum Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins] erwählte | |
Sozialdemokrat die Sache mit dem steinernen Sozialistenfresser angeht, das | |
ist ein gutes Beispiel für seinen Stil: „Unerträglich“ hat er die Aussicht | |
genannt, das Standbild einfach wieder herzurichten. | |
Aber auch einordnende Erklärtafeln hält er für zu wenig – eine | |
künstlerische Kommentierung soll her: „Es geht ja immer darum: Wie hole ich | |
die Leute aus der Situation heraus, dass sie an etwas vorbeilaufen können, | |
ohne es wirklich zu sehen“, sagte Brosda [2][im September der taz]. „Darum, | |
sie in ihren Wahrnehmungsroutinen zu brechen. Und das kann Kunst besser.“ | |
## Produktive Irritation | |
Wahrnehmungsroutinen brechen, eine Art produktive Irritation stiften: Diese | |
Aufgaben weist der promovierte Journalist den Künsten gerne zu. Um sie | |
gleich darauf wieder in Schutz zu nehmen: Die Befrachtung der Kunst auch | |
mit einer noch so guten Sache nämlich beschrieb er 2019 als eine von drei | |
Bedrohungen, neben der erwartbaren von rechts außen, „die nach mehr Goethe | |
und Schiller auf den Theaterbühnen ruft“. Aber eben auch, als dritter, | |
einer – sehr vergröbernd „identitätspolitisch“ zu nennenden – Regulie… | |
der Mitsprache, je nach Erfahrungshintergrund. | |
Die möglichst offene Debatte scheint für Brosda ein hohes Gut: Die Zukunft | |
Bismarcks sollen ein wissenschaftliches Symposium und ein künstlerischer | |
Wettbewerb mitsamt Jury-Entscheidung klären, nicht die Stadt, nicht seine | |
eigene Behörde. Auch beim Umgang mit NS-belasteten Straßennamen | |
beispielsweise, setzt er auf wissenschaftliche Expertise und transparente | |
Kriterien – die für am Stadtrand gewürdigte Nazi-Pastoren genauso gelten | |
sollen wie für den Heidi-Kabel-Platz neben dem Hauptbahnhof. | |
„Notwendige Debatten nach Corona“: Darum geht es in [3][Brosdas jüngstem | |
Buch „Ausnahme/Zustand“] – seinem dritten in weniger als zwei Jahren: Unt… | |
dem Eindruck des [4][Rezo-Videos] war das erste entstanden, [5][„Die | |
Zerstörung“]; eine Art Singleauskopplung aus dem dann folgenden Album, | |
sozusagen: „Die Kunst der Demokratie“. Auf Nachfrage berichtet der Vater | |
zweier Kinder gerne, die Sache mit dem Schreiben erledige er nachts, auf | |
dem Tablet. | |
## Kultur ist Frauensache | |
Nach Hamburg kam der gebürtige Gelsenkirchener Brosda 2011 über das | |
neugeschaffene Amt „Medien“. 2013 wurde er schließlich | |
Medienbevollmächtigter des Senats und 2016 dann doppelter Staatsrat – | |
anderswo heißt so was „Staatssekretär“: für Medien und Digitalisierung | |
sowie in der Kulturbehörde. Im Februar 2017 trat er die Nachfolge von | |
Kultursenatorin Barbara Kisseler an – die war im Oktober verstorben, und | |
dass die Neubesetzung so lange dauerte, wird gerne mit Brosdas Geschlecht | |
erklärt: Kultur ist doch, was man Frauen zutraut; nicht nur in Hamburg. | |
Ein guter Draht zu seinem ehemaligen Bürgermeister, dem jetzigen | |
Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist keine schlechte Sache für einen | |
Kulturpolitiker in Zeiten des wiederholten Shutdowns. Über [6][Geld für die | |
betroffenen Kunstschaffenden], aber auch über die Ungleichbehandlung von | |
Kirche und Konzertsaal hat er sich [7][immer wieder geäußert.] | |
Dass Kultur mehr ist als nur Freizeitgestaltung, dass sie dem Menschen | |
dieselben Fragen zu beantworten hilft, wie es die – derzeit so viel weniger | |
beschnittene – Religion tut: Das besprach er zum Beispiel auch mit der | |
evangelischen Bischöfin Kirsten Fehrs, in Folge drei seines eigenen | |
[8][Podcasts „Mit Wenn und Aber“]. | |
## Der Gast bringt Musik mit | |
Dass dabei der Gast jeweils ein Musikstück mitbringen soll, als | |
Gesprächsstoffstifter: Was bei vielen Kolleg*innen nach PR-Kalkül müffeln | |
würde – zumal in einer Stadt, die sich so gerne als Popstandort in Szene | |
setzt –, wirkt bei Brosda verblüffend glaubwürdig. | |
Als jüngst ein [9][Büchlein über „Lieblingsorte der Hamburger Literatur“] | |
entstand, steuerte er auch so einen Ort bei: einen [10][traditionsreichen | |
Plattenladen]. Auch mit dem örtlichen Literaturhauschef Rainer Moritz hat | |
er schon [11][öffentliche Auflegeabende] veranstaltet, Moritz brachte | |
Schlager mit, Brosda Country – ein Effekt, sagt er, eines Austauschjahrs | |
an einer texanischen High School. | |
Seit dem Wochenende nun steht Brosda für vier Jahre dem Bundesverband der | |
Theater und Orchester vor. „Wenn wir über Lockerungen reden“, so eine | |
seiner ersten Äußerungen in der neuen Rolle, dann seien „auch aufgrund des | |
besonderen Ranges der Kunstfreiheit in unserer Verfassung Kulturorte | |
vorrangig zu öffnen“. Denn bei aller Offenheit von Debatten, bei aller Lust | |
auch am Verspielten: Seine Prioritäten verliert der Mann, scheint’s, selten | |
aus dem Blick. | |
25 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.buehnenverein.de/de/presse/pressemeldungen.html?det=594 | |
[2] /Diskussion-um-Hamburger-Bismarck-Denkmal/!5709401 | |
[3] /Corona-Essay-von-Hamburgs-Kultursenator/!5728260 | |
[4] /Youtuber-kritisiert-Regierungsparteien/!5597282 | |
[5] /!5619329/ | |
[6] https://www.vorwaerts.de/artikel/brosda-littmann-kommt-kultur-corona-krise | |
[7] https://www.zeit.de/kultur/2020-11/kultur-corona-krise-beschluesse-lockdown… | |
[8] https://www.hamburg.de/bkm/podcast-senator-brosda/ | |
[9] https://www.junius-verlag.de/Programm/Hamburg-und-der-Norden/Raus-Nur-Raus.… | |
[10] http://www.michelle-records.de/ | |
[11] https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article188763607/Duell-im-Liter… | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
## TAGS | |
Theater | |
Hamburg | |
Kulturpolitik | |
taz.gazete | |
Kulturförderung | |
Hamburg | |
Denkmal | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Norddeutsche Theater im Lockdown: Trübe Aussichten | |
Die Theater im Norden gehen ganz unterschiedlich mit dem Lockdown um. Und | |
wissen schon jetzt, dass 2021 viele Schwierigkeiten warten. | |
Clubs und Festivals in Niedersachsen: Alles nur Spaß? | |
Clubs und Festivals sind rechtlich gesehen lediglich Vergnügungsstätten. | |
Niedersachsens Grüne wollen das ändern – aber ihr Antrag dazu ist | |
chancenlos. | |
Hamburger Heldengedenken: About Schmidt | |
Vor fast genau fünf Jahren ist Altkanzler Helmut Schmidt gestorben. Wie | |
erinnern sie sich in der ach so nüchternen Hansestadt an ihren Helden? | |
Kultursenator über Bismarck-Denkmal: „Wir wollen nicht nur sanieren“ | |
Wie sollte Hamburg mit dem Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark umgehen? | |
Kultursenator Carsten Brosda setzt auf eine Neukontextualisierung. | |
Deutschlands meistgefilmter Supermarkt: Kiez-Kult runderneuert | |
„Unverwechselbares Kiez-Ambiente“: Der Penny-Markt auf der Reeperbahn, | |
Deutschlands beliebteste TV-Doku-Kulisse, eröffnet aufgehübscht wieder. |