Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grünen-Politikerin über Abtreibung: „Wir haben eine Verantwortu…
> Immer weniger Ärzt*innen führen Schwangerschaftsabbrüche durch.
> Baden-Württembergs Sozialstaatssekretärin Bärbl Mielich, Grüne, will nun
> handeln.
Bild: „Der Paragraph 218 war ein Kompromiss“
taz: Frau Mielich, Sie sagen, in Baden-Württemberg gebe es Engpässe in der
Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen. Andere Bundesländer wie Bayern
und [1][Niedersachsen bestreiten Versorgungslücken].
Bärbl Mielich: Ja, wir sehen doch, [2][dass der Generationenwechsel spürbar
wird]. Viele derjenigen, die heute Schwangerschaftsabbrüche durchführen,
sind 60 Jahre und älter. Und es gibt nicht viele, die bereit sind, ihnen
nachzufolgen.
Und wo haben Sie diese Engpässe?
Wir haben in Baden-Württemberg keine Meldung über komplett unterversorgte
Regionen …
… wie die Oberpfalz, Niederbayern [3][oder das Emsland] …
… aber wir bekommen immer wieder mit, unter anderem über Pro Familia, dass
Praxen aufgegeben werden oder Kliniken sich zurückziehen. In Stuttgart
beispielsweise hat 2015 eine Tagesklinik geschlossen, in der sehr viele
Frauen aus dem ganzen Bundesland versorgt worden sind. Und wenn ich so
etwas höre, sehe ich einen Handlungsbedarf.
Das ist eine ungewöhnlich deutliche Äußerung aus der Landesregierung –
zumal Sie in Baden-Württemberg mit der CDU regieren.
Ich finde das gar nicht besonders revolutionär. Ich meine das ernst, wenn
ich sage, wir haben da eine Verantwortung. Es gibt immerhin einen im Gesetz
festgeschriebenen Sicherstellungsauftrag.
Aber das Gesetz definiert nicht, wie eng das Netz sein muss. Deshalb
berufen sich Landesregierungen stets auf das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts von 1993. Danach könnte es „der Schwangeren eine
Hilfe in der Not sein, wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und
Rückreise – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewälti…
kann“.
Wenn man danach geht, kann man ja auch sagen: „Ich komme an einem Tag von
Baden-Württemberg bis nach Niedersachsen und wieder zurück.“
Aber wie würden Sie es definieren: Wie weit sollte man für einen Abbruch
fahren müssen?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Ärztinnen und Ärzte wir dafür
benötigen. Das Problem ist ja auch, dass wir gar [4][keinen seriösen
Überblick haben], wo es entsprechende Praxen und Kliniken gibt. Auf der
Liste der Bundesärztekammer hatten sich bis Oktober gerade mal zehn Ärzte
eingetragen – für ganz Baden-Württemberg!
Für den Überblick über die weißen Flecke auf der Landkarte bräuchte es eine
Änderung des Bundesstatistikgesetzes, [5][die das Bundesfamilienministerium
schon einmal in Aussicht gestellt] hatte. Derzeit darf man nicht auswerten,
aus welchen Landkreisen und Städten Abbrüche gemeldet werden und aus
welchen nicht. Starten Sie eine Bundesratsinitiative?
Wir haben darüber noch nicht nachgedacht. Aber ich nehme das mit in die
Gesundheitsministerkonferenz.
Sie sprachen von Handlungsbedarf. Wie handelt Ihre Regierung?
Das ist schwierig, weil wir Krankenhäuser nicht dazu verpflichten können,
Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.
Weil Abtreibungen keine Kassenleistung sind.
Genau. Deshalb prüfen wir, inwiefern wir die Unikliniken, die ja dem Land
unterstehen, dazu verpflichten können. Ob wir etwa Neueinstellungen davon
abhängig machen können, dass Ärzte und Ärztinnen bereit sind,
Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.
Aber die Unikliniken sagen, wir machen die Spätabtreibungen von behinderten
Kindern, lasst uns mit den Abbrüchen nach Beratungsregelung in Ruhe.
Das müssen wir abwarten. Wir haben uns für die Zeit nach der Sommerpause
mit der [6][Landesärztekammer], der Baden-Württembergischen
Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung zu einem
Gespräch darüber verabredet, was man tun kann. Geplant hatten wir das schon
länger, aber in den vergangenen Wochen war eben alles von Corona
überlagert. Das Hauptproblem ist ja, dass wir die jungen Ärztinnen und
Ärzte dazu bekommen müssen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Da
setzen wir darauf, dass sie über Weiterbildungen sensibilisiert werden,
dass das zu ihrer Arbeit dazugehört.
Das ist auch die Strategie des Bundesgesundheitsministeriums. Mir leuchtet
nicht ein, warum das plötzlich alle machen wollen, nur weil es
[7][Bestandteil des Curriculums] ist.
Für mich ist die Frage nicht beantwortet, warum die jungen Mediziner und
Medizinerinnen das nicht machen wollen. Ob das daran liegt, dass sie sich
gar keine Gedanken machen und das Problem nicht sehen, oder ob sie aus
persönlichen, ethischen Gründen nicht wollen. Oder ob sie Angst haben vor
Verfolgung und einem schlechten Image. Viele derjenigen, die das bisher
gemacht haben und noch machen, haben die Debatten in den 80er und 90er
Jahren miterlebt und aus politischer Überzeugung so gehandelt.
Weil sie wissen, wie es war, [8][als die Versorgung noch schlechter war].
So ist es. Ich gehöre auch zu dieser Generation, deshalb ist es mir auch so
ein Anliegen. Wissen Sie, ich glaube, es war ziemlich lange ein echtes
Tabu, überhaupt darüber zu sprechen. Nachdem das
Schwangerschaftskonfliktgesetz [9][1995 als politischer Kompromiss
verabschiedet] worden war, haben so manche Politiker und Politikerinnen
bewusst dafür gesorgt, dass das Thema nicht wieder auf die Tagesordnung
kam. Sie wollten verhindern, dass damit die Debatte wieder von vorn
losging.
Weil es so schwer war, diejenigen zu befrieden, die Abtreibungen am
liebsten ganz verbieten wollten.
Ja. Aber jetzt muss es wieder ein Thema werden, weil die Versorgung nicht
mehr gewährleistet ist.
Das, was Sie jetzt in Baden-Württemberg versuchen: Ist das nicht ein
Herumdoktern an Symptomen? Das eigentliche Problem ist doch der
Kompromiss. [10][Solange Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte]
gelten, bleibt das Tabu bestehen, Abtreibungsgegner sehen sich bestätigt
und Mediziner*innen wollen sich verständlicherweise nicht an etwas
gesellschaftlich derart Geächtetem beteiligen.
Ja, der Paragraf 218 war ein Kompromiss. Und von Zeit zu Zeit müssen
Kompromisse eben darauf hin überprüft werden, ob sie noch tragfähig sind
und halten, was sie versprechen.
6 Jul 2020
## LINKS
[1] /Schwangerschaftsabbruch-in-Deutschland/!5571091
[2] /Diskussion-um-Paragraf-218/!5565165
[3] /Abtreibung-in-Deutschland/!5386152
[4] /Studie-zu-Schwangerschaftsabbruechen/!5644885
[5] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/065/1906519.pdf
[6] https://www.aerztekammer-bw.de/aerzteblatt/aebw-archiv/2019/Aerzteblatt_Bad…
[7] /Thema-Abtreibung-im-Medizinstudium/!5502618
[8] /Illegale-Abtreibungen-in-den-70ern/!5521063
[9] /Schwangerschaftsabbruch-in-Deutschland/!5693137
[10] /Abtreibungsgesetze-in-Deutschland/!5693086
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Paragraf 218
Schwerpunkt Paragraf 219a
§219a
Schwerpunkt Abtreibung
Gesundheit
Baden-Württemberg
Jens Spahn
Schwerpunkt Abtreibung
Paragraf 218
Paragraf 218
Paragraf 218
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Paragraf 219a
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schwangerschaftsabbruch in Flensburg: Stadt sucht Abtreibungs-Arzt
Weil zwei christlicher Kliniken fusionieren, wird in Flensburg die
Möglichkeit wegfallen, im Krankenhaus abzutreiben. Die Stadt will Ersatz
schaffen.
Rot-rot-grüne Pläne zu Abtreibungen: Ausbildung löst das Problem nicht
Auch in Bremen gibt es zu wenig Mediziner*innen, die
Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Koalition will deshalb mehr Aus-
und Weiterbildung.
Ausbildung in Schwangerschaftsabbrüchen: Ärzt*innen gesucht
Auch in Bremen gibt es zu wenig Mediziner*innen, die Abtreibungen
durchführen. Die Koalition will dies mit verbesserter Aus- und
Weiterbildung lösen.
Abtreibungsgesetze in Deutschland: § 218 schützt kein Leben
Der Kompromiss zum deutschen Abtreibungsrecht wird 25 Jahre alt. Er hält
keines seiner Versprechen, sondern spielt Fundamentalist*innen in die
Hände.
Recht auf Abtreibung in Deutschland: Der Schweige-Paragraf
25 Jahre nach der Reform des umstrittenen §218 bleiben
Schwangerschaftsabbrüche vielerorts ein Tabu. Drei Frauen berichten von
Abtreibung.
Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Die kleine Chronik des §218
Vor 25 Jahren reformierte der Bundestag das Strafgesetz. Abtreibungen sind
verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.