| # taz.de -- Grüne und Verbrauchsverzicht: Abstand zur Askese | |
| > Selten war die Bereitschaft zum Konsumverzicht so groß wie in diesen | |
| > Tagen. Doch anstatt zu motivieren, warnen Grüne vor den Folgen eines | |
| > Boykotts. | |
| Bild: Malt ein düsteres Bild von der Energieversorgung in Deutschland: Bundesa… | |
| Das Desaster mit dem [1][Veggie-Day] liegt fast ein Jahrzehnt zurück, | |
| trotzdem wirkt es bei den Grünen nach. Es war der Bundestagswahlkampf 2013, | |
| als die Partei einen fleischlosen Tag pro Woche in öffentlichen Kantinen | |
| forderte. Der Vorschlag stand zwar nur in einem Unterkapitel des | |
| Wahlprogramms, CDU und Bild reichte das aber für den Start einer Kampagne: | |
| Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten! | |
| Die Wahl ging in der Folge verloren, das Trauma sitzt in der Partei tief – | |
| und wirkt bis hinein in die Frage, wie im Jahr 2022 auf Russlands Krieg in | |
| der Ukraine zu reagieren ist. Um Verzicht zu bitten oder ihn durch | |
| staatliche Maßnahmen gar einzufordern: Nach dem Veggie-Day und ähnlichen | |
| Erfahrungen sind die Grünen da vorsichtig geworden. In der Klimapolitik war | |
| das zuletzt am häufigsten zu beobachten. | |
| Man will nicht der Spielverderber sein, sondern gesellschaftliche | |
| Mehrheiten durch die Suggestion schaffen, dass jeder sein Leben in der | |
| gewohnten Form weiterleben könne und die Welt allein durch richtige | |
| Rahmenbedingungen und technische Innovationen gerettet werde. Wie sagte es | |
| der damalige Fraktionschef Toni Hofreiter im letzten Wahlkampf im | |
| taz-Interview? „[2][Sie können von mir aus einen Schweinebraten essen und | |
| danach nach Mallorca fliegen, so oft Sie wollen.]“ | |
| Und so läuft es jetzt eben auch mit dem Ukrainekrieg. Genauer gesagt: Mit | |
| den umstrittenen Importen von russischen Energieträgern, durch die | |
| Deutschland das Putin-Regime stützt. Man kann den Grünen natürlich nicht | |
| vorwerfen, dass sie für die verkorkste Energiewende und die Abhängigkeit | |
| von Russland verantwortlich wären. Auch untätig sind sie nicht. | |
| ## Importstopp oder Tempolimit | |
| Wirtschaftsminister [3][Robert Habeck gibt sich Mühe], fossile Rohstoffe | |
| aus Russland durch fossile Rohstoffe aus anderen Ländern zu ersetzen und | |
| gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen. All das dauert | |
| aber – und darüber hinaus passiert wenig. Die Deutschen sollen von der | |
| Wende in der Energiepolitik möglichst nichts merken. Die Energieträger | |
| werden ausgetauscht, der Energieverbrauch darf aber derselbe bleiben. | |
| Russland wird im Rohstoffgeschäft somit erst mittelfristig auf deutsches | |
| Geld verzichten müssen, nicht aber kurzfristig. Das wäre nur durch eine | |
| Verbrauchsreduzierung auf dem ein oder anderen Weg zu erreichen: Erstens | |
| durch den vollständigen oder teilweisen Importstopp, der die verfügbaren | |
| Rohstoffe auf absehbare Zeit verknappen würde. Zweitens, als milderes | |
| Mittel, durch staatliche Vorgaben in einzelnen Bereichen wie ein | |
| Tempolimit. Dadurch könnten die Importe zumindest reduziert werden. | |
| Oder drittens, wenn es alles andere wirklich nicht sein soll, dann durch | |
| PR-Kampagnen und Aufforderungen zum freiwilligen Verzicht. [4][Heizung | |
| runter gegen Putin] – jenseits des Prekariats müsste da in einigen | |
| deutschen Haushalten noch Spielraum sein. Nichts davon unternimmt die | |
| Bundesregierung. Das liegt natürlich nicht allein an einem | |
| Koalitionspartner, aber von den Fossil-Parteien SPD und FDP ist dahingehend | |
| ohnehin wenig zu erwarten. | |
| Wenn jemand die Verbrauchsreduktion vorantreiben könnte, dann die Grünen. | |
| Aber auch die halten eben Abstand von allem, was auch nur entfernt nach | |
| Askese klingt. Ihr Verzicht auf den Verzicht hat dabei sogar eine neue | |
| Stufe erreicht: Bisher wollten sie nur den Eindruck vermeiden, die | |
| Deutschen umerziehen zu wollen; sie von Verhaltensänderungen zu überzeugen, | |
| die eine Mehrheit eigentlich ablehnt. Im Fall der russischen Rohstoffe wäre | |
| diese Mehrheit jetzt aber greifbar. | |
| ## Mehrheit für Boykott | |
| In Umfragen gibt es große Zustimmung zu einem Boykott, sogar die Union | |
| könnte sich diesmal anschließen. Und die Grünen? Versuchen die Mehrheit mit | |
| aller Kraft davon zu überzeugen, dass sie falsch liegt. Zum Teil haben sie | |
| dabei gute Argumente, keine Frage. Ein genereller Boykott würde den | |
| Preisanstieg beschleunigen. Die Industrie müsste wegen Gasmangels die | |
| Produktion runterfahren. Eine Rezession wäre garantiert und umstritten ist | |
| unter Expert*innen nur, wie gravierend sie ausfiele. | |
| Zum Teil aber, und hier wird es ärgerlich, zeichnen die Grünen auch | |
| Szenarien, die mit der Realität wenig zu tun haben. Letzte Woche warnte | |
| Annalena Baerbock davor, „[5][dass wir in Kindergärten keinen Strom mehr | |
| haben, dass wir Krankenhäuser nicht mehr wirklich am Laufen erhalten | |
| können]“. Klingt heftig, macht Angst, ist aber falsch: Trotz allem basiert | |
| die Stromerzeugung in Deutschland ja nur zum Teil auf russischen | |
| Rohstoffen. | |
| Und sollte der Strom irgendwann doch nicht mehr für alle ausreichen, ist in | |
| Gesetzen und Krisenplänen klar geregelt, wer bei der Versorgung besonders | |
| geschützt ist: unter anderem Kindergärten und Krankenhäuser. Ein bisschen | |
| erinnert das auch wieder an den Veggie-Day: Politische Forderungen | |
| überzeichnen und ihre Folgen dramatisieren – darauf basierten in der | |
| Vergangenheit oft Kampagnen gegen die Grünen. Als Regierungspartei werden | |
| sie diese Methode jetzt hoffentlich nicht auf Dauer übernehmen. | |
| 13 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Fleischverzicht-als-Wahlkampfthema/!5061858 | |
| [2] /Anton-Hofreiter-ueber-Klimaschutz/!5773378 | |
| [3] /Abhaengigkeit-von-Energie-aus-Russland/!5838555 | |
| [4] https://www.youtube.com/watch?v=lisra4udwM4 | |
| [5] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energie-wirtschaftsministe… | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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