# taz.de -- Grenzen schließen – oder nicht?: Die Frage, die die Regierung sp… | |
> Innenminister Seehofer will Flüchtlinge an der Grenze abweisen, Merkel | |
> ist dagegen. Wäre diese Maßnahme überhaupt rechtens? | |
Bild: Würden Sie ihn aufnehmen? | |
Sie sollte zentraler Bestandteil des sogenannten Masterplans Migration | |
sein, den Innenminister Horst Seehofer (CSU) [1][bald in Berlin vorstellen | |
wollte:] die Möglichkeit, Flüchtlinge künftig direkt an der Grenze | |
zurückzuweisen. Doch die Forderung, die massive Grenzkontrollen innerhalb | |
Europas zur Folge hätte, ist nicht im Sinne der Bundeskanzlerin: „Ich | |
möchte, dass EU-Recht Vorrang hat vor nationalem Recht“, sagte Merkel am | |
Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“. | |
Am Montagnachmittag ist [2][dieser Streit] nun offenbar eskaliert: Wie das | |
Innenministerium bestätigte, wurde die Vorstellung des Masterplans | |
kurzfristig verschoben. „Einige Punkte müssen noch abgestimmt werden“, hie… | |
es in der knappen Begründung, einen neuen Termin gebe es noch nicht. | |
Die Zurückweisung an der Grenze ist eine Forderung von CSU und AfD. Sie | |
geht zurück aufs Jahr 2015, zur sogenannten „Grenzöffnung“, die eigentlich | |
eine unterlassene Grenzschließung war. Denn bis September 2015 war die | |
deutsche Grenze nach Österreich offen, wie in der EU üblich. | |
Nach der massiven Zuwanderung von Flüchtlingen führte die Bundesregierung | |
Grenzkontrollen ein. Per mündlichem Befehl ordnete der damalige | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) aber an, dass weiterhin jeder | |
Flüchtling eingelassen wird, der einen Asylantrag ankündigt. Diese | |
Anordnung gilt bis heute. | |
Die Konservativen halten das für rechtswidrig. Horst Seehofer verstieg sich | |
im Februar 2016 sogar zur Formel von der „Herrschaft des Unrechts“, die die | |
AfD seither genüsslich wiederholt. Ihr Ansatzpunkt ist das deutsche | |
Asylgesetz, das in Paragraf 18 tatsächlich eine Zurückweisung von | |
Flüchtlingen an der Grenze vorsieht. | |
## Deutsche Mauer | |
Zwei Fälle sind dort genannt: wenn Flüchtlinge aus einem sicheren | |
Drittstaat einreisen (zum Beispiel aus Österreich) und wenn es | |
Anhaltspunkte gibt, dass ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren | |
zuständig ist (etwa Italien). Die konsequente Anwendung dieser Vorschrift | |
würde eine neue deutsche „Mauer“ an den Grenzen zu den EU-Nachbarn | |
erfordern, dann aber dazu führen, dass es in Deutschland fast keine neuen | |
Flüchtlinge mehr gäbe. | |
Die AfD hat jüngst sogar Verfassungsklage eingereicht, weil der Paragraf 18 | |
des Asylgesetzes nicht einfach per Ministeranordnung jahrelang außer Kraft | |
gesetzt werden könne. Hierfür wäre zumindest ein Gesetz erforderlich | |
gewesen. Wann darüber entschieden wird, ist noch nicht absehbar. | |
Die herrschende Auffassung in der Rechtswissenschaft, etwa der Konstanzer | |
Rechtsprofessor Daniel Thym, hält aber schon den Ansatz der AfD für falsch. | |
Die Vorschrift des Asylgesetzes sei durch die Dublin-III-Verordnung der EU | |
„überlagert“. Danach müssen alle, die an der Grenze Asyl beantragen, | |
provisorisch aufgenommen werden, damit der EU-Staat identifiziert werden | |
kann, der für das Asylverfahren zuständig ist. | |
Typischerweise sind es Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien. Nach | |
Absprache mit diesem Land werde dann der Flüchtling dorthin überstellt – | |
außer Deutschland verpasst Fristen oder übernimmt freiwillig das Verfahren | |
zur Entlastung dieser Staaten. Faktisch führt derzeit fast immer | |
Deutschland das Asylverfahren durch. | |
## Politik hat Gestaltungsspielraum | |
Im Auftrag von Seehofer (damals noch bayerischer Ministerpräsident) | |
erstellte Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio Anfang 2016 ein Gutachten, in | |
dem er zum Schutz der deutschen und bayerischen Staatlichkeit für eine | |
Nicht-Anwendung der EU-Regeln plädierte. Er räumte aber ein, dass die | |
Politik hier Gestaltungsspielraum habe. Seehofer verzichtete daraufhin auf | |
die angekündigte bayerische Verfassungsklage gegen die Bundesregierung. | |
Kurze Zeit später zeigte eine Gruppe von Rechtsprofessoren um Christian | |
Hillgruber, wie man die Dublin-III-Verordnung so auslegen kann, dass | |
Zurückweisungen an der Grenze möglich bleiben. Dann müsste Österreich die | |
Zuständigkeit prüfen – oder selbst die Grenzen schließen. So argumentiert | |
in ihrer Klage nun auch die AfD. Und so wird wohl auch Seehofer | |
argumentieren, wenn er Zurückweisungen anordnet. Letztlich müsste dann der | |
Europäische Gerichtshof klären, wie das EU-Recht auszulegen ist, aber das | |
könnte dauern. | |
Die Bundesregierung hat das Einlassen aller Asylantragsteller bisher sehr | |
vage begründet. Nur vereinzelt sprach de Maizière, Seehofers Vorgänger als | |
Innenminister, von einer „Überlagerung“ des Asylgesetzes durch Europarecht. | |
Meist hieß es, man habe sich politisch geeinigt, „derzeit“ keine | |
Zurückweisungen vorzunehmen. Offensichtlich wollte man sich bisher alle | |
Handlungsoptionen offenhalten, auch mit Rücksicht auf den Regierungspartner | |
CSU. | |
Nun aber sitzt die CSU im Innenministerium selbst am Hebel. Seehofer könnte | |
von heute auf morgen anordnen, dass die Bundespolizei bei den | |
Grenzkontrollen Zurückweisungen vornimmt. Er könnte die Bundespolizei zudem | |
zu massiven Kontrollen in der 30-Kilometer-Zone hinter der Grenze | |
verpflichten. | |
## Dublin und die Flüchtlinge | |
Doch wie würde Österreich reagieren? Würde es die Zurückgewiesenen | |
aufnehmen, versorgen und nun selbst die Dublin-Zuständigkeits-Klärung | |
vornehmen? Oder würde es sich weigern, so dass an den deutschen | |
Außengrenzen wilde Flüchtlingslager wie im griechischen Idomeni entstehen? | |
Interessanterweise hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der vor | |
wenigen Tagen ebenfalls die Forderung nach Zurückweisung erhob und damit | |
den ersten Testballon startete, die Einreise aus sicheren Drittstaaten | |
nicht genannt. Er sprach nur von Flüchtlingen, die „in einem anderen | |
EU-Staat bereits registriert wurden“. | |
In mehreren Medienberichten wurde deren Zahl mit 64.267 angegeben. Diese | |
Zahl ist aber irreführend. Es handelt sich nur um die | |
Dublin-Übernahmeersuchen, die aber oft gar nicht gestellt werden, etwa | |
wegen Fristablaufs oder wegen der Zustände im mutmaßlich zuständigen | |
EU-Staat. | |
Im Jahr 2017 stellten 198.317 Personen in Deutschland einen Asylantrag. | |
125.282 Antragsteller waren mindestens 14 Jahre alt, das Mindestalter für | |
die Erfassung von Fingerabdrücken bei der Registrierung. Etwa bei der | |
Hälfte von ihnen wurden in der europäischen Asyl-Datenbank | |
Fingerabdruck-Treffer festgestellt. Hinzuzurechnen sind Kinder, die mit | |
ihnen eingereist sind. | |
## Doch noch rechtliche Bedeutung | |
In rund 12.000 Fällen ist zudem eine Zurechnung zu anderen EU-Staaten über | |
das Visa-Informations-System möglich. Wer einem Asylantragsteller ein Visum | |
ausgestellt hatte, ist auch für dessen Asylverfahren zuständig. | |
Seehofer hat bis zuletzt an seinem Masterplan gefeilt und wohl auch mit den | |
anderen Ressorts verhandelt. Eine Option für ihn war auch, Zurückweisungen | |
an der Grenze erst dann vorzunehmen, wenn der im Koalitionsvertrag | |
vorgesehene Korridor von 180.000 bis 220.000 Netto-Zuwanderern | |
überschritten ist. Dann bekäme Seehofers „Obergrenze“ doch noch eine | |
rechtliche Bedeutung. | |
11 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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