| # taz.de -- „Grass“ von Hong Sangsoo im Forum: Was geschieht und was sich e… | |
| > Draußen wird geraucht, drinnen läuft Musik, und überall geht es um | |
| > Selbstmorde: „Grass“ ist eine Art Reigen von Menschen im Gespräch. | |
| Bild: Filmstill aus „Grass“ | |
| Ein Café in Seoul, viel Platz ist nicht, draußen recht enge Gassen, | |
| Pflanzkübel davor, darin keimt etwas, aber Gras ist es nicht, dem Titel des | |
| Films zum Trotz. Viel Platz ist auch nicht im Film, ein gute Stunde lang | |
| ist er nur; und viel Farbe ist auch nicht: Er ist schwarz-weiß. Im Café ein | |
| junger Mann, eine junge Frau im Gespräch. | |
| Erst Geplänkel. Dann kommen sie auf eine Tote zu sprechen, eine andere | |
| junge Frau, die sich umgebracht hat. Sie wirft ihm vor, er sei daran | |
| schuld. Er verwahrt sich dagegen, die Kamera fasst erst die beiden ins | |
| Bild, dann zoomt sie, zeigt abwechselnd nur die Frau, nur den Mann. Der | |
| geht nach einer Weile nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. | |
| Das war’s mit den beiden, fürs Erste. Die Kamera schwenkt recht rabiat in | |
| eine andere Ecke des Cafés. Dort sitzt eine junge Frau (Kim Minhee) an | |
| ihrem Mac. Sie beobachtet, sie schreibt, sie spricht Voiceover-Text, in dem | |
| sie über die Menschen, die sie beobachtet, und über das Leben als solches | |
| nachdenkt. Alles, was weiter geschieht, könnte eine Erzählung sein, die sie | |
| schreibt. Was sich dabei entwickelt, ist ein Art Reigen von Menschen, die | |
| reden. | |
| Ein älterer Schauspieler, der einen Selbstmordversuch hinter sich hat, wie | |
| er erzählt, versucht bei seiner Gesprächspartnerin unterzukommen. Sie wehrt | |
| das ab. Ein Drehbuchautor mittleren Alters macht einer jungen Frau das | |
| Angebot, an einem Buch mit ihm zu schreiben, ein Angebot, das sie nur | |
| ablehnen kann. Zu diesem Gespräch kommt es draußen, an einem kleinen Tisch | |
| vor dem Café. Draußen wird meistens geraucht. Und drinnen läuft meistens | |
| Musik. Drinnen/draußen, Smoking/No Smoking, Leben/Tod, Schwarz/Weiß, | |
| Musik/Stille, Schwenk/Zoom. „Grass“ sieht mal wieder sehr einfach aus, wie | |
| die Filme von Hong Sangsoo immer einfach aussehen, aber alles, was zunächst | |
| einfach erscheint, erweist sich bald als Teil von nicht so simplen | |
| Oppositionen, die die Dinge verkomplizieren. | |
| ## Musik kontert Bild | |
| Der Betreiber des Cafés wird mehrfach erwähnt, nett sei er, aber zu sehen | |
| kriegt man ihn nicht. Er sei, wird gesagt, ein Liebhaber klassischer Musik. | |
| Das ist nicht zu überhören, Musik von Schubert, Wagner, später Offenbach | |
| und Pachelbel begleitet die Gespräche zwischen Männern und Frauen. Teils | |
| ist sie so laut, dass man kaum versteht, was gesagt wird. Wenn Wagner zu | |
| den Dialogen ins Flirrend-Transzendente abhebt, hat das mit voller Absicht | |
| eine recht komische Wirkung. | |
| Die Musik ist dabei weniger ein Kommentar zum Gesagten als ein Element, das | |
| sich eher gegen das Bild als mit ihm, eher gegen den Inhalt der Dialoge als | |
| in Übereinstimmung mit ihnen verselbstständigen darf. Das ist das | |
| Eigenrecht aller Elemente in dem Hong-Film: Sie sind nicht notwendig mit | |
| den anderen Elementen verbunden, oder jedenfalls nicht so, wie man es vom | |
| realistischen Erzählen im Kino her kennt. | |
| Im Mittelteil verlässt der Film das Café. In der Gasse fotografieren sich | |
| Paare in traditionellen Kostümen. In einem Restaurant fühlt die junge | |
| Beobachterin/Erzählerin ihrem Bruder und dessen Freundin aufs | |
| Uncharmanteste auf den Zahn. In einem weiteren Gespräch geht es wieder um | |
| jemanden, der sich umgebracht hat. Hier kommen zu den Schwenks und Zooms | |
| Verlagerungen von Schärfe und Unschärfe, die das Gewicht zwischen dem Mann | |
| und der Frau mehrmals verschieben. Der Mann wirft der Frau vor, sie trage | |
| die Schuld am Selbstmord des anderen Mannes. Dann schwenkt die Kamera nach | |
| links, man sieht auf der weißen Wand den Schatten des Manns. Der Tod ist | |
| ein Schatten, der über diesem Film liegt. Und nicht schwindet. Am Ende wird | |
| man nichts mehr sehen als Leere: Räume, aus denen die Menschen getilgt | |
| sind. | |
| Zwischendurch jedoch sieht man eine Frau allein in ihrem Haus. Sie geht vom | |
| ersten Stock eine Treppe nach unten. Sie setzt sich vor die Tür, geht | |
| wieder nach oben, hält inne, kehrt um, hält inne, kehrt um, findet Gefallen | |
| am sinnlosen Treppe-nach-oben-Innehalten-Treppe-nach-unten. Sie lacht. Es | |
| ist die Freude der Erzählung darüber, dass sich dieses unverbundene Element | |
| gegen die Regeln des Restfilms einfach so verselbstständigen darf. | |
| 17. 2., 22 Uhr, Cinestar 8; 18. 2., 20 Uhr, Cubix 9 | |
| 18 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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