# taz.de -- Globaler Klimastreik auch in Berlin: Dieser Streik ist politisch! | |
> Politischer Streik gilt in Deutschland als verboten, doch die Rechtslage | |
> ist uneindeutig. Fridays for Future und linke Gruppen rufen zum Streik | |
> auf. | |
Bild: Streikende Arbeiter auf Berlins Straßen am 9. November 1918 | |
Es ist nicht leicht, sich das vorzustellen, auch weil Berlin selbst an | |
Feiertagen so geschäftig ist wie keine andere Stadt. Aber wie sähe die | |
Stadt aus, wenn alle Berliner die Arbeit niederlegen würden? | |
Einen Aufruf dazu gibt es für Freitag: Zuerst haben die Fridays for Future | |
für den 20. September zum globalen Klimastreik aufgerufen. Jetzt sieht so | |
aus, als würde ihr monatelanger Protest auf weitere Bevölkerungsteile | |
überschwappen. Am Dienstag, bei einer Pressekonferenz im HAU-Theater, | |
flankierten den FFF-Sprecher Quang Paasch deshalb Aktivisten mehrerer | |
anderer Initiativen: vom kulturpolitischen Bündnis „Reclaim Club Culture“, | |
eine Vertreterin der care-politischen Gruppe „We care for Future“, ein | |
Unternehmer von den „Entrepreneurs for Future“ und Sprecherinnen des linken | |
Bündnisses „Ungehorsam für Alle“. | |
Sie alle beteiligen sich an der Klimastreikdemo am Freitag in 22 | |
thematischen Blöcken. Die Clubber rufen zusätzlich zum „Rave Aufstand“ au… | |
Die Gruppen von „Ungehorsam für Alle“ möchten dazu ab 16 Uhr Berliner | |
Straßen blockieren. Hannah Eberle, Sprecherin des Bündnisses, sagt: „Wir | |
laden alle Berlinerinnen und Berliner dazu ein, am Freitag ihre Autos | |
stehen zu lassen.“ | |
Das Bündnis, für das Eberle spricht, hat sich erst vor ein paar Wochen | |
gegründet. Zu „Ungehorsam für Alle“ gehören neben den klimapolitischen | |
Gruppen Extinction Rebellion und Ende Gelände viele Gruppen, die sich | |
thematisch unterscheiden: das Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn, | |
der Frauen*streik, die Seebrücke, die Interventionistische Linke, die Grüne | |
Jugend oder die Linksjugend Solid. | |
## „Klimakrise ist Gerechtigkeitskrise“ | |
Das Gemeinsame: Solidarität mit der FFF-Bewegung, aber auch ein Bewusstsein | |
darüber, dass ihre stadt-, mieten-. migrations- und sozialpolitischen | |
Anliegen mit dem Klimathema zusammenhängen – und dass der globale | |
Klimastreik nun eine Gelegenheit dafür bietet, diesem Zusammenhang | |
öffentlich Rechnung zu tragen. | |
„Wir haben dieses Bündnis gegründet, weil wir unsere inhaltliche | |
Schlagkraft verstärken wollen“, sagt Eberle. Und: „Die Klimakrise ist auch | |
eine Gerechtigkeitskrise.“ Damit meint sie Fluchtbewegungen, die von der | |
Klimakrise verursacht werden, oder die Kosten der Krise, die global | |
ungleich verteilt werden. Das Bündnis schließt sich deshalb den | |
klimapolitischen Forderungen von FFF an, geht aber noch weiter: „Wir wollen | |
eine Energiewende, die nicht an Profiten, sondern an den Bedürfnissen der | |
Menschen orientiert ist“, sagt Eberle. Eberle spricht bei der | |
Pressekonferenz auch von der Vergesellschaftung der Energieversogung. Sie | |
ruft die Angestellten, Arbeiter und Arbeitslosen der Stadt auf, sich am | |
zivilen Ungehorsam und dem Streik zu beteiligen. | |
Ob und wie viele Menschen in Berlin tatsächlich streiken werden, ist | |
ungewiss. Die Gewerkschaften haben nicht zum Streik aufgerufen – auch wenn | |
Verdi-Chef Frank Bsirske gesagt hat: „Wer kann, sollte ausstempeln und | |
mitmachen.“ Dabei kann man nur in der Arbeitszeit streiken. | |
Dass die Gewerkschaften nicht zum Streik aufrufen, liege einerseits daran, | |
dass es bei den Gewerkschaftsführungen keine Mehrheiten für den | |
Klimastreik gebe, sagt Jörg Nowak, Politikwissenschaftler und | |
Streikforscher an der University College Dublin. Andererseits liegt es auch | |
an einer ungeklärten Rechtslage: Denn im Gegensatz zu sogenannten | |
ökonomischen Streiks, die sich auf konkrete Forderungen der Arbeitnehmer | |
gegenüber den Arbeitgebern beziehen, etwa im Rahmen von Tarifverhandlungen, | |
gelten politische Streiks in Deutschland verboten. Das geht auf ein Urteil | |
des Freiburger Landesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1952 zurück, das den | |
damaligen „Zeitungsstreik“ als unrechtmäßig beurteilt hatte. Mit diesem | |
Streik wollten Angestellte von Zeitungsbetrieben mehr Mitbestimmungsrechte | |
im Betriebsverfassungsgesetz verankern. | |
## Verbot nicht gesetzlich verankert | |
Ein Verbot von politischem Streik ist aber weder im bundesdeutschen noch im | |
europäischen Rahmen gesetzlich geregelt. In der Bundesrepublik hat es auch | |
nach dem Freiburger Urteil immer wieder politische Streiks gegeben: gegen | |
die Notstandsgesetze 1968 oder gegen den Nato-Doppelbeschluss 1983. „Die | |
Rechtswirklichkeit steht mit der herrschenden Rechtsmeinung im Konflikt“, | |
sagt Nowak. „Ob politische Streiks sanktioniert wurden, hing immer von den | |
politischen Kräfteverhältnissen ab.“ | |
Der wohl bekannteste politische Streik in Berlin war der Januarstreik von | |
1918: Metallarbeiter hatten zu diesem aufgerufen, um eine Ende des Krieges, | |
bessere Lebensbedingungen und eine Demokratisierung der Gesellschaft zu | |
fordern. Der Streik führte in die Novemberrevolution. In den letzten Jahren | |
dagegen brachte der Frauenstreik am 8. März das Thema politischer Streik | |
wieder auf die Agenda. | |
Die Streiks in Deutschland wurden inspiriert von ähnlichen Frauenstreiks in | |
Argentinien, die sich gegen Gewalt an Frauen richteten. „Berlin ist ein | |
besonderer Ort für politischen Streik, weil die Stadt sehr international | |
ist und man sich im Vorfeld des Frauenstreiks über die Erfahrungen in | |
anderen Ländern austauschen konnte“, sagt Eberle vom Bündnis „Ungehorsam | |
für Alle“. | |
## Klimastreik kann auch Imagearbeit sein | |
Kurz vor dem Klimastreik in Berlin sieht es danach aus, dass manche | |
Arbeitgeber ihre Mitarbeiter für den Streik freistellen – [1][viele von | |
ihnen aber nur, wenn die Arbeitnehmer dafür Urlaub nehmen.] Auch die | |
Düsseldorfer Stadtverwaltung erlaubt es ihren Mitarbeitern, am Streik | |
teilzuhaben – wenn sie dafür Gleitzeitstunden oder Urlaub in Anspruch | |
nehmen. Der Springer Verlag gehört zu jenen, die freistellen, ohne dass | |
sich Mitarbeiter Urlaub nehmen müssen. In Zeiten großer Beliebtheit des | |
ökologischen Themas kann Klimastreik auch wertvolle Imagearbeit sein. | |
Über mögliche rechtliche Folgen für Arbeitnehmer sagt Streikforscher Nowak: | |
„Man muss es ausprobieren und sehen, was passiert.“ Weil die Stimmung | |
gegenüber den Anliegen von FFF so positiv sei, dürfte es manchen | |
Arbeitgebern zumindest schwer fallen, ihre Angestellten zu bestrafen. „Die | |
müssen das dann in der Öffentlichkeit ausbaden“, sagt Nowak. | |
Sowohl der Streikforscher als auch die Aktivistin Eberle finden, der | |
Klimastreik biete eine Gelegenheit dafür, den Begriff des Streiks zu | |
erweitern und zu aktualisieren. „Das Klima ist ein Thema, das derzeit | |
verschiedene Bewegungen zusammenführt“, sagt Nowak. Der Klimastreik, wie | |
er jetzt bevorsteht, wird in jedem Fall viele Berliner politisieren. | |
Vielleicht wird dann auch noch mehr daraus. | |
18 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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