| # taz.de -- Giorgia Meloni trifft Olaf Scholz: Rechte Agenda unterm Radar | |
| > Italiens Ministerpräsidentin reist nach Berlin, um den Bundeskanzler zu | |
| > treffen. In ihren ersten 100 Tagen im Amt regierte sie verdächtig | |
| > geräuschlos. | |
| Bild: Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien | |
| Rom taz | Nicht einmal zwei Wochen war Olaf Scholz als Kanzler im Amt, als | |
| er im Dezember 2021 zum Antrittsbesuch in Rom beim damaligen Regierungschef | |
| Mario Draghi aufbrach. Giorgia Meloni dagegen, die am 22. Oktober 2022 | |
| ihren Amtseid als Italiens Ministerpräsidentin schwor, brauchte mehr als | |
| 100 Tage, um es nach Berlin zu schaffen. Doch an diesem Freitag ist es so | |
| weit: Scholz wird Meloni im Kanzleramt zur ersten bilateralen Begegnung der | |
| beiden empfangen. | |
| Dass es so lange dauerte, ist kein Zufall. Melonis Wahlsieg im September | |
| hatte in Berlin alles andere als Begeisterung ausgelöst – schließlich | |
| übernahm da [1][eine Postfaschistin] an der Spitze einer radikal rechten | |
| Koalition die Macht in Rom. | |
| Würde sie Italien polarisieren und die EU paralysieren? Diese Frage trieb | |
| im letzten Herbst das Gros der europäischen Medien um. Eine vorläufige | |
| Antwort hat Meloni in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit gegeben: Sie ist | |
| konsequent unter dem Radar unterwegs und tut fast alles, um international | |
| nicht negativ aufzufallen. So will sie den Verdacht zerstreuen, sie könne | |
| eine Gefahr für die Demokratie in Italien und für den Zusammenhalt in | |
| Europa darstellen. | |
| Vorneweg verabschiedete ihre Koalition am Jahresende einen Staatshaushalt | |
| für 2023, der sich akkurat an die Vorgaben der EU-Kommission hält und der | |
| mit einer Neuverschuldung von 4,5 Prozent des BIP die Linie der | |
| Vorgängerregierung Draghi weiterführt. Nur rund 35 Milliarden Euro hat die | |
| Regierung für ihre Vorhaben zur Verfügung, doch davon sind schon 21 | |
| Milliarden für Maßnahmen gegen die explodierenden Energiekosten abgebucht. | |
| Damit bleiben [2][nur bescheidene Summen], um etwa eine Steueramnestie für | |
| Selbstständige, eine Erhöhung des Kindergelds für kinderreiche Familien | |
| oder einen früheren Renteneintritt für Beschäftigte mit langen | |
| Beitragszeiten zu verabschieden. | |
| ## Rechte Herzensangelegenheiten | |
| Selbst bei einer Gratismaßnahme ruderte die Regierung zurück, um die | |
| EU-Kommission nicht zu verärgern. Ursprünglich war vorgesehen, dass | |
| Gewerbetreibende in Zukunft bei Beträgen unter 60 Euro nicht mehr | |
| bargeldlose Kartenzahlungen akzeptieren müssen – Cash ist den | |
| Selbstständigen in Italien seit jeher lieber, weil so Steuern leichter | |
| hinterzogen werden können. Doch die Verpflichtung zur Akzeptanz gehörte zu | |
| den Zusagen, die die Vorgängerregierungen der EU gemacht hatten, um im | |
| Gegenzug die Fonds aus dem Programm Next Generation EU (für Italien bis | |
| 2026 stolze 191,5 Milliarden Euro) zu erhalten – und am Ende ruderte Meloni | |
| kleinlaut zurück. | |
| Rechte Herzensanliegen realisierte sie dennoch. So schafft sie vom August | |
| 2023 an die Grundsicherung für alle arbeitsfähigen Empfänger*innen ab. | |
| Sie sollen sich gefälligst einen Job suchen, auch wenn es den nicht gibt. | |
| Auch in der Flüchtlingspolitik zog die Regierung Meloni neue Register. | |
| Gerade erst im Amt versuchte sie es mit der alten Nummer, die der Lega-Chef | |
| Matteo Salvini in seiner Zeit als Innenminister in den Jahren 2018–19 | |
| geboten hatte – mit der Politik der „geschlossenen Häfen“. Im November 2… | |
| verweigerte sie tagelang NGO-Schiffen die Einfahrt in italienische Häfen. | |
| Als dann die unter französischer Flagge fahrende „Ocean Viking“ Marseille | |
| ansteuerte, feierte die Regierung in Rom die Tatsache, dass sich „in Europa | |
| der Wind gedreht“ habe. Das führte zu einer veritablen diplomatischen Krise | |
| mit der französischen Regierung. | |
| ## Kaum Negativschlagzeilen | |
| Seither setzt Meloni [3][auch bei der Flüchtlingspolitik darauf], unter dem | |
| Radar zu bleiben. Mittlerweile [4][weist das Innenministerium den | |
| NGO-Schiffen sofort Häfen zu], allerdings weit im Norden Italiens – und | |
| verbietet ihnen zugleich, mehr als eine Rettungsaktion durchzuführen, ehe | |
| sie den zugewiesenen Hafen anlaufen. Die Folge: Die Schiffe sind gezwungen, | |
| sich tagelang von den Rettungszonen zu entfernen und dabei horrende | |
| Treibstoffkosten in Kauf zu nehmen. Für die Regierung aber bleiben | |
| Negativschlagzeilen seither aus. | |
| Negativschlagzeilen vermied die Rechtsregierung auch im Ukrainekrieg. | |
| Obwohl mit Silvio Berlusconi und Matteo Salvini zwei Putin-Freunde zur | |
| Koalition gehören, hielt die Regierungschefin – auch hier in Kontinuität zu | |
| Draghi – Italien auf Kurs und blieb bei der entschlossenen Unterstützung | |
| der Ukraine auch mit Waffenlieferungen. Und selbst Viktor Orbán kann sich | |
| auf Meloni nicht mehr verlassen: Als die EU im letzten Dezember die | |
| Ausschüttung von 6,3 Milliarden Euro an Ungarn wegen Rechtsstaatsbedenken | |
| blockierte, trug Italien geräuschlos die Sanktion gegen Budapest mit. | |
| Am Ende dürfte dies die beste Nachricht für die Regierung Meloni sein: dass | |
| sie in den letzten Wochen aus den Schlagzeilen der internationalen Presse | |
| weitgehend verschwunden ist, während in Italien nach allen Umfragen der | |
| Wählerkonsens für die Postfaschistin ungebrochen ist. Entsprechend | |
| entspannt kann sich Meloni bei Kanzler Scholz präsentieren. | |
| 2 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Regierungserklaerung-in-Italien/!5887069 | |
| [2] /Italiens-Regierung-plant-Haushalt-2023/!5901842 | |
| [3] /Italien-und-die-Seenotrettung/!5893102 | |
| [4] /Italien-erlaesst-Dekret-zur-Seenotrettung/!5897423 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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