| # taz.de -- Linke Senatorin über Italien: „Klar gegen die Rechten opponieren… | |
| > Für die italienische PD sitzt Susanna Camusso im Senat. Doch die | |
| > erfahrene Gewerkschafterin kritisiert deutlich, woran es der Linken in | |
| > Italien fehlt. | |
| Bild: Susanna Camusso (Mitte) im Wahlkampf mit PD-Parteichef Enrico Letta | |
| taz: Frau Camusso, insgesamt hat das Mitte-links-Lager die Wahl verloren, | |
| die rechte Regierung ist nun im Amt. Aber innerhalb der größten linken | |
| Partei, der Partito Democratico (PD), gibt es regelrecht gegensätzliche | |
| Bewertungen des Ergebnisses: Die einen sprechen von einer katastrophalen | |
| Niederlage, die anderen davon, dass die PD weitgehend ihre Position | |
| gehalten hat. Welche Seite hat recht? | |
| Susanna Camusso: Prozentual mag die PD mit den 19 Prozent standgehalten | |
| haben, das ändert jedoch nichts an ihrer politischen Niederlage. In der | |
| Wählerschaft hat die bisherige politische Linie der „Verantwortlichkeit“ �… | |
| die PD hat in den letzten zehn Jahren fast immer die | |
| Regierungsverantwortung innegehabt – keinen Anklang gefunden. | |
| Im [1][Wahlkampf unterstrich die PD vor allem soziale Themen]. Gleichzeitig | |
| betonte sie aber auch die Kontinuität mit der Regierung Draghi und deren | |
| Agenda. | |
| Die „Agenda Draghi“ gab es gar nicht. Deren Beschwörung durch die PD lebte | |
| von der Überzeugung, dass das Land Mario [2][Draghi nach seinem Rücktritt | |
| hinterher trauert] – doch das war eben nicht der Fall. Wenn überhaupt gab | |
| es eine sehr technische, auf kurze Zeithorizonte angelegte Agenda. Draghis | |
| Notstandsregierung verdankte sich ja einerseits der Tatsache, dass die | |
| Pandemie zu bekämpfen war und andererseits musste das Megaprogramm „Next | |
| Generation EU“ mit seinen 190 Milliarden Euro für Italien auf den Weg | |
| gebracht werden. Da ging es nicht um soziale Fragen, nicht um Fragen, die | |
| die Arbeitswelt beträfen. Statt die Kontinuität mit dieser Regierung zu | |
| beschwören, hätte die PD ein eigenes politisches Projekt für die Zukunft | |
| präsentieren müssen. | |
| Aber die PD hat doch durchaus Vorschläge gemacht: starke Steuerkürzungen | |
| bei Löhnen und Gehältern, oder die Einführung eines gesetzlichen | |
| Mindestlohns. Warum blieb die PD dennoch gerade für Bezieher*innen | |
| niedriger Einkommen unattraktiv? | |
| Ich selbst habe im Wahlkampf viel über diese Themen gesprochen – ich fühlte | |
| mich allerdings auch ziemlich allein in den Reihen der PD. Darüber zu | |
| reden, hieß auch, den Mut aufzubringen und über die schweren Fehler der PD | |
| in der jüngeren Vergangenheit zu sprechen: über die nach 2014 durchgesetzte | |
| Aufweichung des Kündigungsschutzes, oder die von der PD verantworteten | |
| Schulreform, die der übergroßen Mehrheit der Lehrer*innen sauer | |
| aufstieß. Doch klare Bekenntnisse dazu, dass das Fehler waren, blieben aus. | |
| Jetzt sitzt die PD auf den Oppositionsbänken. Was muss sie tun, um ihre | |
| traditionelle Wählerschaft wieder zu erreichen? | |
| Sie muss vorneweg klar [3][gegen die rechten Pläne] opponieren. In Italien | |
| hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren immer | |
| weiter geöffnet. Umverteilung muss deshalb zu einem zentralen Thema der PD | |
| werden – gegen die Pläne der Rechten, die zum Beispiel mit einem | |
| Einheitssteuersatz auf die Einkommen die Bessergestellten noch weiter | |
| begünstigen wollen. | |
| Die PD entstand ja erst 2007 aus einer Fusion der Linksdemokraten mit der | |
| Mittepartei La Margherita. Bis heute beklagen Mitglieder der PD, der | |
| eigenen Partei fehle eine klare politische Identität, ein echtes Profil. | |
| Stimmt das? | |
| Es ist völlig klar, dass heute eine Partei links der Mitte plural | |
| aufgestellt sein muss. Plural, aber nicht im Sinne von konkurrierenden | |
| Parteiströmungen – wie es gegenwärtig in der PD vorherrscht –, denen es | |
| weniger um die Horizonte als um die Macht in der Partei geht. | |
| Ein Profil zu gewinnen, ist für die [4][PD auch deshalb schwerer, weil sie | |
| von beiden Seiten unter Druck steht]. Von links: die Fünf Sterne, die | |
| zunehmend einen Kurs fahren wie der linkspopulistische Mélenchon in | |
| Frankreich, und von rechts: die Kleinparteien Azione und Italia Viva, die | |
| beide auf Macron-Kurs segeln. | |
| Emmanuel Macron ist ja derjenige, der in Frankreich die Plätze mit wütenden | |
| Demonstrant*innen füllt. Ein Kurs, wie er ihn verfolgt, kommt gar nicht | |
| infrage. In Italien kann man kein linkes Programm schaffen, wenn man wie | |
| Azione und Italia Viva die Abschaffung der Grundsicherung fordert. Auch mit | |
| den Fünf Sternen müssen wir die Auseinandersetzung führen. Sie adressieren | |
| zwar erfolgreich die ökonomisch Benachteiligten – sie waren es ja, die die | |
| Grundsicherung eingeführt haben. Aber ihre seit der Gründung bestehende | |
| Zweideutigkeit – „Wir sind weder rechts noch links“ – müssen sie hinter | |
| sich lassen, um wirklich zu einer Kraft des progressiven Lagers zu werden. | |
| Kehren wir zurück zur PD. Die Partei spricht sich zwar für | |
| Geschlechtergerechtigkeit aus und dafür, dass junge Menschen eine größere | |
| Rolle spielen sollen. Aber nur 30 Prozent der Fraktionsabgeordneten sind | |
| Frauen – und die, die unter 35 Jahre alt sind, kann man an einer Hand | |
| abzählen. | |
| Beginnen wir bei den Jüngeren. Der aktuelle Parteichef Enrico Letta hat | |
| durchaus diverse junge Kandidat*innen aufgestellt – sie blieben dann | |
| aber allein, ohne Unterstützung. Zu den Frauen ist vorneweg zu sagen, dass | |
| eine wachsende Rolle ihrerseits ja auch wachsende Diversität bedeuten | |
| würde, Diversität vor allem darin, wie Frauen mit Macht umgehen – und damit | |
| männliche Vormacht infrage stellen. Und leider müssen wir feststellen, dass | |
| die jetzt gelaufenen Wahlen für die Frauen in der PD ein Rückschritt waren. | |
| Gianni Cuperlo, der zu den Vordenkern in der Partei zählt, sagte zuletzt, | |
| die PD habe „ihre Reputation verloren“. Was müsste die PD tun, auch bei der | |
| Auswahl des*der neuen Parteivorsitzenden, um ihren guten Ruf wieder | |
| herzustellen? | |
| Ich sehe eher einen Glaubwürdigkeits- als einen Reputationsverlust. Um den | |
| zu überwinden, müssen wir in Italien eine Politik aufarbeiten, die bis vor | |
| Kurzem völlig neoliberal orientiert war. Das heißt auch: Wir dürfen uns | |
| eben nicht auf die eigene Vorsitzendenwahl beschränken, sondern müssen eine | |
| breite Debatte über unseren zukünftigen Kurs führen. | |
| 28 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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