| # taz.de -- Gewalttat im Oberlinhaus Potsdam: „Nur noch im Bett gelegen“ | |
| > Beim fünften Prozesstag um den Tod von vier Menschen mit Behinderung in | |
| > Potsdam sagten Angehörige der Opfer aus. Sie berichteten von | |
| > Vernachlässigung. | |
| Bild: Die Angeklagte im Landgericht Potsdam | |
| Potsdam taz | „Ich konnte es einfach nicht fassen. Warum er? Er tut keinem | |
| was. Wir dachten immer, er ist gut untergebracht“, sagte die Schwester von | |
| Andreas K. im Prozess am Landgericht in Potsdam am Dienstag. Ihr Bruder | |
| wurde am 28. April 2021 im Thusnelda-von-Saldern-Haus in Potsdam getötet. | |
| Seit dem 26. Oktober wird vor dem Landgericht in Potsdam der mutmaßliche | |
| Mord an [1][vier Menschen mit Behinderung in der Wohneinrichtung des | |
| Oberlinhaus] Ende April 2021 verhandelt. Eine weitere Person mit | |
| Behinderung überlebte schwerverletzt. Als dringend tatverdächtig gilt die | |
| langjährige Pflegerin Ines R.. | |
| Am fünften Prozesstag wurden in Potsdam Angehörige von Opfern als | |
| Zeug*innen gehört. Sie berichteten vor dem Landgericht teilweise von | |
| einer starken [2][Verschlechterung des Pflegezustands] ihrer Angehörigen in | |
| den Jahren vor der Tat. | |
| Zuletzt habe ihr Bruder bei Besuchen der Familie nur noch im Bett gelegen | |
| und nach Urin gerochen, sagte die Schwester von Andreas K. Ihm sei es aber | |
| wichtig gewesen, „fein“ zu sein, sie habe daher das Haare- und | |
| Nägelschneiden bei ihrem Bruder übernommen. Sie hatte vermehrt den Eindruck | |
| gehabt, dass „nichts mehr gemacht wird“. Zwei Wochen vor der Tat habe sie | |
| deshalb der Pflegeleitung mitgeteilt, dass sie mit der Behandlung ihres | |
| Bruders unzufrieden sei. Als Antwort auf ihre Kritik habe sie den Verweis | |
| auf fehlendes Personal erhalten. | |
| ## Überlastung durch zu wenig Personal | |
| Von dem Tod ihres Bruders habe sie dann durch die Polizei erfahren. Als sie | |
| die schreckliche Nachricht bekamen, habe die Familie nur „gesessen und | |
| geweint“, sagte die 62-jährige Oranienburgerin. Bis heute warte sie | |
| vergeblich auf einen Anruf des Oberlinhauses. | |
| Auch der Onkel der getöteten Martina W., die durch die Gewalttat im Alter | |
| von 31 Jahren starb, berichtet von „katastrophalen Zuständen“ in der | |
| Pflegeeinrichtung seiner Nichte. Er habe sie bei Besuchen auch schon vor | |
| dem Ausbruch der Coronapandemie zuletzt nicht mehr im Rollstuhl, sondern | |
| nur noch im Bett angetroffen. Martina W. habe seit 2008 im | |
| Thusnelda-von-Saldern-Haus gewohnt. | |
| Die Berichte der Angehörigen ähneln den [3][Schilderungen einiger | |
| Mitarbeitenden der Wohneinrichtung,] die bereits an den vorherigen | |
| Prozesstagen aussagten. Die Pfleger*innen berichteten vor Gericht von zu | |
| wenig Personal, weshalb sie sich gezwungen sahen, an manchen Tagen die | |
| pflegenden Tätigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Dadurch sei es auch | |
| vorgekommen, dass Bewohner*innen einen Großteil des Tages im Bett | |
| verbrachten. | |
| ## Hohe Fluktuation bei den Angestellten | |
| Im fünften Prozesstag widersprachen jedoch auch zwei weitere Zeug*innen, | |
| ebenfalls Angehörige von Opfern, diesen Wahrnehmungen. Die Nebenklägerin | |
| und Mutter eines der Opfer, Christian S., sagte, dass der Zustand ihres | |
| Sohnes immer gut war, wenn die Angeklagte ihn gepflegt habe. Wie auch schon | |
| zuvor Kolleg*innen der Angeklagten, beschrieb sie die 52-jährige Ines R. | |
| als liebevoll und zugewandt. Es habe aber eine hohe Fluktuation beim | |
| Personal im Oberlinhaus gegeben. | |
| Auch die Schwester der getöteten Lucille H., die zwei Kinder hinterlässt | |
| und nach einem schweren Unfall seit 2014 im Oberlinhaus wohnte, beschrieb, | |
| dass sie die Angeklagte mochte und vom Oberlinhaus einen guten Eindruck | |
| hatte. Den mehrfach vor Gericht geschilderten Personalmangel nannte die | |
| Zeugin normal. Sie kenne die hohe Belastung auch durch die Berichte ihrer | |
| anderen Schwester, die in der Pflege arbeite. Nach ihrer Aussage habe die | |
| Wohneinrichtung stets darauf reagiert, wenn die Familie Mängel bei der | |
| Pflege von Lucille H. kritisiert hatte. | |
| Die Angeklagte Ines R. hatte am ersten Prozesstag von Überlastung bei der | |
| Arbeit gesprochen und von psychischen Problemen und Klinikaufenthalten | |
| berichtet. Die Staatsanwaltschaft geht bei ihr von einer erheblich | |
| [4][verminderten Schuldfähigkeit] aus. In den kommenden Prozesstagen sollen | |
| Notärzte sowie weitere Mitarbeiter*innen des Oberlinhauses befragt | |
| werden. (mit epd) | |
| 23 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Linda Gerner | |
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