# taz.de -- Gerichtsurteil zu Abschiebungen: Der SPD die Zuständigkeit entzieh… | |
> Das Berliner Verwaltungsgericht hält fest, dass das Grundgesetz auch | |
> Wohnungen von Geflüchteten schützt. Fraglich ist, ob die Politik sich | |
> dran hält. | |
Bild: Bild eines Flüchtlingskindes von der Flucht seiner Familie nach Europa �… | |
Auf den ersten Blick ist das Urteil im so genannten Rammbock-Fall eine | |
feine Sache und ein Sieg für die Rechte von Geflüchteten. Das Berliner | |
Verwaltungsgericht hat in einer Entscheidung, die diese Woche bekannt | |
wurde, [1][erstmals das Land Berlin verurteilt], weil die Polizei ohne | |
richterlichen Durchsuchungsbeschluss in das Zimmer eines Flüchtlingsheims | |
einbrach, um einen Geflüchteten abzuschieben. Die Praxis ist in Berlin und | |
in anderen Städten üblich – trotz des im Grundgesetz verankerten besonderen | |
Schutzes der eigenen Wohnung (Art. 13). | |
Innensenator Andreas Geisel (SPD) als oberster Dienstherr von Polizei und | |
Ausländerbehörde hat bislang immer argumentiert, es sei nur ein „Betreten“ | |
der Wohnung, nicht aber eine „Durchsuchung“, die einen Richterbeschluss | |
erfordere, wenn die Polizei jemanden zur Abschiebung abhole. Diese | |
Auffassung hat das Gericht nun verneint – und ist damit der Rechtsprechung | |
in anderen Bundesländern, [2][etwa Hamburg], gefolgt. | |
Auf den zweiten Blick hat die Sache allerdings mehrere Haken. Zum einen hat | |
das Gericht den zweiten Teil der Klage abgewiesen und die Auffassung | |
verneint, dass auch die Wegnahme der Mobiltelefone von Geflüchteten | |
rechtswidrig sei. Auch dies ist regelmäßig der Fall in Berlin und von der | |
Ausländerbehörde auch gewollt, wie durch die Aussage eines Polizisten bei | |
der mündlichen Verhandlung deutlich wurde. | |
Dabei ist die Argumentation der Verteidigung, der das Gericht folgte, | |
offenkundig abwegig, man könne sich oder andere mit einem Mobiltelefon | |
verletzen und darum würden sie „sichergestellt“. Vielmehr will man | |
verhindern, dass die Betreffenden auf dem Weg zum Flughafen anwaltlichen | |
Beistand anrufen, um ihre Abschiebung womöglich in letzter Minute zu | |
verhindern. Geflüchtete werden also absichtlich daran gehindert, ihnen | |
zustehendes Recht in Anspruch zu nehmen. | |
## Novelle im Hau-Ab-Gesetz | |
Fraglich ist zudem, ob sich die Innenverwaltung künftig an dem Urteil | |
orientieren wird. Die Befürchtung, dass die Polizei auch weiterhin so | |
handelt wie bisher, ist begründet. Zu groß ist der politische Wille, | |
Abschiebungen um jeden Preis durchzusetzen und sich dabei nicht allzu lange | |
mit rechtsstaatlichen Bedenken aufzuhalten. [3][Schließlich wurde eigens | |
dafür 2019 das Aufenthaltsgesetz geändert]. | |
Auf Druck der Berliner SPD ließ die Große Koalition die Unterscheidung vom | |
„Betreten“ einer Wohnung (ohne Richterbeschluss) und ihrem „Durchsuchen“ | |
(mit einem solchen) ins „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ aufnehmen – Kritiker | |
sprechen denn auch lieber vom „Hau-Ab-Gesetz“. Viele JuristInnen, nicht | |
zuletzt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, waren auch schon | |
damals der Auffassung, dass diese Unterscheidung, wenn es um die Ergreifung | |
einer Person geht, willkürlich ist – und letztlich dem Sinn von Artikel 13 | |
widerspricht. | |
Aber was scheren einen die Grundrechte von Geflüchteten, wenn es um eine | |
möglichst hohe Abschiebequote geht, mit der man gegenüber den Stammtischen | |
eine „harte Hand“ beweisen kann. Zumal der serielle Rechtsbruch | |
normalerweise folgenlos bleibt: Bei Abschiebungen ist es quasi | |
ausgeschlossen, dass jemand im Nachhinein die Behörde verklagt. Auch das | |
aktuelle Urteil kam nur zustande, weil der Kläger, ein junger Mann aus | |
Guinea, am Ende nicht abgeschoben wurde. Aber wo kein Kläger, ist kein | |
Gericht, das Unrecht feststellt: Warum also nicht weiter fleißig Türen | |
einbrechen? | |
Zumal man sich bei diesem Thema auch sonst nicht streng an Recht und Gesetz | |
hält. So ist es laut Aufenthaltsgesetz nur in Ausnahmen gestattet, Menschen | |
zur Nachtzeit in ihren Wohnungen abzuholen um sie abzuschieben (Paragraph | |
57, Absatz 7). Nichtsdestotrotz passiert dies laut Flüchtlingsrat in Berlin | |
sogar in den allermeisten Fällen. Bleibt also die Frage: Wie soll sich denn | |
– bei einer weiter uneinsichtigen SPD – etwas ändern an der oftmals | |
rechtswidrigen Abschiebepolitik? | |
## Linke sollte Ausländerbehörde übernehmen | |
Aus menschenrechtsorientierter Sicht kann die Lösung nur sein, der Partei | |
die politische Verantwortung für diesen Bereich zu entziehen. Schon bei den | |
Koalitionsverhandlungen zu R2G vor fünf Jahren war davon die Rede, die | |
Ausländerbehörde von der Innenverwaltung abzutrennen und sie stattdessen | |
einer umfassenden Integrationsbehörde zuzuschlagen. | |
Damit konnten sich Grüne und Linke aber nicht durchsetzen – und vermutlich | |
hatten sie es auch nicht allzu sehr drauf angelegt, weil sie damit die | |
politische Verantwortung für Abschiebungen übernommen hätten. Doch | |
das„schmutzige“ Geschäft der SPD zu überlassen und sich dann in schöner | |
Regelmäßigkeit über deren Hardliner-Gebaren zu empören, ist feige. | |
Sollte es zu einer Neuauflage von Rot-Rot-Grün oder Rot-Grün-Rot kommen, | |
wäre es konsequent, wenn vor allem die Linken diesmal mehr Mut aufbringen | |
würden – und nicht nur die Integrationsverwaltung, sondern auch gleich die | |
Ausländerbehörde für sich beanspruchten. Um dann endlich Kriterien zu | |
entwickeln, wie eine an Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit orientierte | |
Flüchtlingspolitik, zu deren Ultima Ratio bisweilen auch Abschiebungen | |
gehören müssen, tatsächlich aussehen könnte. | |
16 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gerichtsurteil-zu-Abschiebungen/!5804409 | |
[2] /Fluechtlings-Razzien-nur-mit-Richterin/!5702724 | |
[3] /Gutachten-im-Auftrag-der-Linken/!5625160 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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