# taz.de -- Schutz der Wohnung eingeschränkt: Polizei darf ohne Richter rein | |
> Gericht gibt Land Berlin recht: Zimmer von Flüchtlingen dürfen bei | |
> Abschiebungen ohne Richterbeschluss betreten, Handys eingesammelt werden. | |
Bild: Nur eingeschränkt durchs Grundgesetz geschützt sind Zimmer in Flüchtli… | |
BERLIN taz | Das Oberverwaltungsgericht Berlin (OVG) hat die Rechte von | |
Geflüchteten im Abschiebeprozess geschwächt. In einem Berufungsprozess, den | |
das Land Berlin angestrengt hatte, weil es in erster Instanz gegen einen | |
jungen Mann aus Guinea verloren hatte, entschieden die fünf Richter am | |
Dienstag: Die Polizei darf das Zimmer eines Flüchtlings im Wohnheim | |
betreten um ihn zur Abschiebung abzuholen. Und: Das bloße Betreten des | |
Raums sei kein „Durchsuchen“, das laut Grundsetzartikel 13 | |
(Unverletzlichkeit der Wohnung) eines richterlichen | |
Durchsuchungsbeschlusses bedurft hätte. Das OVG hob [1][die | |
erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts] in diesem Punkte | |
auf. | |
Auch in einem zweiten Punkt stellte sich der 3. Senat unter Vorsitz von | |
Richter Kai-Uwe Riese auf die Seite der Innenverwaltung: Die Polizei durfte | |
K. Gegenstände wie Handy und Portemonnaie wegnehmen mit der Begründung, | |
dass er sich selbst oder andere damit gefährden könnte und so seine | |
Abschiebung hätte verhindern können. Dies hatte auch die Vorinstanz so | |
gesehen und K.s Klage in diesem Punkt abgewiesen. Dagegen war der | |
Geflüchtete in Berufung gegangen – diese wies das OVG nun zurück. | |
Der Anwalt des Klägers, Christoph Tometten, kommentierte gegenüber der taz | |
enttäuscht: „Wenn die Polizei ohne richterliche Kontrolle in Wohnungen | |
eindringen darf, um Menschen zur Abschiebung abzuholen, haben wir ein | |
Problem. Wenn die Polizei Mobiltelefone sicherstellen darf, nur weil sie | |
von Menschen mitgeführt werden, die abgeschoben werden sollen, haben wir | |
ein Problem. Ausufernde polizeiliche Befugnisse sind eines Rechtsstaats | |
nicht würdig.“ | |
Der Fall hat insofern grundsätzliche Bedeutung, als [2][die Berliner | |
Polizei bei Abschiebungen häufig in Zimmer in Flüchtlingsheimen eindringt] | |
um Menschen mitzunehmen. Artikel 13 GG, der die Wohnung als unverletzlichen | |
Raum schützt, verlangt für Durchsuchungen allerdings einen Richterbeschluss | |
– den die Berliner Polizei nie dabei hat. Darüber hatte es im vorigen Senat | |
Streit zwischen der der damaligen linken Integrationssenatorin Elke | |
Breitenbach und SPD-Innensenator Andreas Geisel gegeben. | |
## Betreten oder Durchsuchen | |
Die Bundesregierung verschärfte dann 2019 mit dem | |
„Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ des damaligen Bundesinnenministers Horst | |
Seehofer (CSU) das Aufenthaltsrecht, indem sie den Unterschied zwischen | |
„Betreten“ (Aufenthaltsgesetz §58, Abs. 5) und „Durchsuchen“ (Abs. 6 u… | |
von Wohnungen einführte – und bestimmte, dass nur letzteres unter | |
Richtervorbehalt fällt. Diese Bestimmung war jedoch von Beginn an | |
juristisch hoch umstritten, denn das Problem hieß nun: Wo endet das | |
„Betreten“, wo beginnt das „Durchsuchen“? | |
Im vorliegenden Fall hatte das Verwaltungsgericht im Oktober 2021 das Land | |
Berlin gerügt: Schon das Betreten des Zimmers des Klägers mittels einer | |
Ramme – auf das Klopfen der Polizisten hatte niemand geöffnet – sei ein | |
„Durchsuchen“, so die Richterin. Die Polizei habe ja nicht wissen können, | |
was sie dort erwarte, der Gesuchte hätte abwesend sein können oder jemand | |
anders anwesend. Es sei also eine „Durchsuchung“ erwartbar gewesen, für die | |
aber der Richterbeschluss fehlte. In diesem Punkt gaben die Richter damals | |
Ibrahim K. recht. | |
Dass die Berufung dazu erst jetzt stattfand, lag auch daran, dass das OVG | |
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in einem ähnlich gelagerten Fall | |
abwarten wollte, wie Richter Riese in der Verhandlung erklärte. Im Juni | |
2023 hatten die obersten Verwaltungsrichter auch über die Frage der | |
Rechtmäßigkeit des Betretens von Räumen in Flüchtlingsunterkünften zu | |
entscheiden. | |
Sie sahen die Sache so: Zwar sei in der Tat auch ein Zimmer in einem | |
Flüchtlingsheim als Wohnung im Sinne Artikel 13 GG anzusehen – eine im | |
Sinne von Flüchtlingsrechten positive Klarstellung, begrüßte Pro Asyl | |
seinerzeit, denn auch diese Frage war bis dahin nicht abschließend | |
juristisch geklärt. Sie urteilten aber auch: Wenn es über [3][„das bloße | |
Betreten des Zimmers hinaus zu keiner Durchsuchungshandlung im Sinne eines | |
ziel- und zweckgerichteten Suchens nach etwas Verborgenem kam“], brauche | |
die Polizei keinen Durchsuchungsbefehl. | |
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisierte, nach dieser Auffassung | |
seien kleinere Wohnungen, die man mit einem Blick erfassen könne, weniger | |
geschützt als große Wohnungen mit mehreren Zimmern. [4][„Damit hebelt das | |
Gericht den Schutz des Wohnraums in kleinen Wohnungen aus.“] | |
## „Weitere Handlungen“ nach dem Betreten | |
Das Land Berlin fühlt sich durch dieses höchstrichterliche Urteil dagegen | |
in „unsere Rechtsauffassung bestätigt“, sagte die Vertreterin, Luise | |
Menzel, am Dienstag vor dem OVG. Auch im Berliner Fall, der sich im | |
September 2019 zutrug, habe es sich nur um ein Betreten gehandelt. Dass das | |
Gericht ebenfalls dieser Ansicht zuneigt, wurde bereits während der | |
Verhandlung erkennbar. Tometten wies dagegen darauf hin, dass im hier | |
verhandelten Fall zwei Menschen im Zimmer waren „und es nach dem Betreten | |
zu weiteren Handlungen gekommen ist“. K. und sein Zimmergenosse mussten | |
ihre Ausweise vorzeigen, um sich zu identifizieren – sonst hätte die | |
Polizei nicht gewusst, wen sie mitnehmen soll. | |
Die Frage der Rechtmäßigkeit von Handywegnahmen ist ebenfalls von | |
grundsätzlicher Bedeutung, dies geschieht ebenfalls häufig bei | |
Abschiebungen – erst am Flughafen wird den Menschen ihr Telefon | |
zurückgegeben. Ziel sei offenkundig die Benachrichtigung von Anwälten zu | |
unterbinden, die möglicherweise im letzten Moment die Abschiebung | |
juristisch verhindern könnten, sagen Flüchtlingsorganisationen. Die Polizei | |
begründet die Handy-Wegnahme dagegen regelmäßig mit Sicherheitsaspekten. | |
„Aber dass man ein Handy verschlucken oder einen Polizisten damit verletzen | |
kann, ist völlig abwegig“, so Tometten zur taz. Insofern verletze die | |
Sicherstellung des Handy die Grundrechte der Betroffenen – aus diesem Grund | |
hat der Anwalt auch die Zulassung zur Revision beantragt. Doch auch dies | |
lehnte das OVG ab. Das Verfahren währte am Dienstag insgesamt nur kurz: | |
Nach 40 Minuten beendete Richter Riese die mündliche Verhandlung am | |
Vormittag, gegen Mittag war das Urteil da. | |
Immerhin: Für Ibrahim K. persönlich ist die Sache nicht mehr von Bedeutung. | |
Seine versuchte Abschiebung wurde seinerzeit am Flughafen abgebrochen, kurz | |
danach endete die Frist, in der er nach Italien hätte rückgeschoben werden | |
können. Im Mai vorigen Jahres bekam er eine Ausbildungsduldung und macht | |
nun eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Bis 2025 kann er mindestens in | |
Berlin bleiben. | |
27 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gerichtsurteil-zu-Abschiebungen/!5804409 | |
[2] /Kritik-des-Fluechtlingsrats/!5595213 | |
[3] https://www.bverwg.de/pm/2023/48 | |
[4] https://www.proasyl.de/pressemitteilung/bundesverwaltungsgericht-bejaht-unv… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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