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# taz.de -- Serie: Was macht eigentlich …?: Scharfe Kritik an Einigung
> Innensenator und Integrationssenatorin haben ihren Streit über
> Abschiebungen ohne Richterbeschluss beigelegt. Flüchtlingsrat kritisiert
> Kompromiss.
Bild: Zimmer in einem Containerdorf für Geflüchtete in Hellersdorf
Im Streit um Abschiebungen aus Flüchtlingsunterkünften haben
Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) und Innensenator Andreas
Geisel (SPD) sich kurz vor Weihnachten geeinigt. „Wir wollen
Rechtssicherheit auf allen Seiten“, erklärte Breitenbach kurz vor Abschluss
der Verhandlungen auf taz-Anfrage. Zentral war in den vergangenen Monaten
die Frage gewesen, ob Abschiebungen aus Flüchtlingsunterkünften ohne
richterlichen Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig sind. Ein von beiden
Senatsverwaltungen am vergangenen Montag versandtes Schreiben an die
Betreiber von Flüchtlingsunterkünften soll jetzt für Rechtsklarheit sorgen.
Der Flüchtlingsrat kritisiert die darin dargestellte Regelung als
„rechtswidrig“.
Breitenbach vertrat bisher die Auffassung, dass das Betreten einer Wohnung
respektive eines Zimmers in Flüchtlingsheimen ohne Durchsuchungsbeschluss
zum Zweck der Abschiebung das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung
nach Artikel 13 Grundgesetz verstößt. Geisel war hingegen der Überzeugung,
dass die Polizei in solchen Fällen Wohnungen nur „betritt“ und nicht
„durchsucht“ – eine Richteranordnung daher nicht nötig sei. Aufgrund der
unterschiedlichen Rechtsauffassungen wurden Abschiebungen aus Wohnheimen
für einige Monate ausgesetzt.
Seit Inkrafttreten des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes (GRG) im August 2019,
von Kritiker:innen als Hau-ab-Gesetz bezeichnet, geht die Polizei jedoch
wieder ohne Richterbeschluss in Heime, um abzuschieben. Das Bundesgesetz
unterscheidet zwischen dem Betreten und Durchsuchen einer Wohnung. Der
Flüchtlingsrat hält die bundesgesetzliche Neuregelung für „offenkundig
verfassungswidrig und nichtig“, auch [1][ein Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zweifelt an der Rechtmäßigkeit
der Praxis]. Breitenbach sagte der taz, einige Punkte des GRG halte sie
ebenfalls für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Mit der derzeitigen
Koalition sehe sie jedoch keine Möglichkeit, als Land gegen das Gesetz
vorzugehen.
Die Einigung von Breitenbach und Geisel sieht nun ebenfalls eine Abgrenzung
der Begriffe Betreten und Durchsuchen vor und bestätigt, dass es für
ersteres keinen Durchsuchungsbeschluss brauche. „Durchsuchen“ ist nun
definiert als „die zielgerichtete Suche nach Personen im Rahmen von
Rückführungen“, die eine richterliche Anordnung voraussetzt (es sei denn
bei „Gefahr im Verzug“ oder bei Einwilligung der Betroffenen in eine
Durchsuchung). „Betreten“ umfasst „die Umschau in der Wohnung, solange
keine weitergehenden Suchhandlungen stattfinden“. Hierfür sei kein
Durchsuchungsbeschluss notwendig. Es ist davon auszugehen, dass es diese
zweite Definition sein wird, die für die meisten Abschiebungen zur
Anwendung kommen wird. Weiterhin enthält die Einigung eine Regelung zu
Abschiebungen bei Nachtzeit und zum Hausrecht der Heimbetreiber.
## Flüchtlingsrat kritisiert scharf
Der Flüchtlingsrat kritisierte die Einigung auf taz-Anfrage scharf: „Frau
Breitenbach ist auf ganzer Linie eingeknickt. Sie hat sich 1:1 die
Auffassung des Innensenators zu eigen gemacht“, so Mitarbeiter Georg
Classen. Die Definition von Betreten und Durchsuchen entspreche exakt der
schon immer vertretenen Rechtsauffassung der Innenverwaltung –
Abschiebungen seien somit auch weiterhin ohne Durchsuchungsbeschluss
möglich. „Das halten wir für rechtswidrig, weil es klar gegen das
Grundrecht auf Schutz des privaten Wohnraums verstößt.“
Was Abschiebungen bei Nacht betrifft, gehe das Schreiben sogar über das
Geordnete-Rückkehr-Gesetz hinaus, so Classen. Dieses besagt, dass das
nächtliche Betreten und Durchsuchen zum Zweck der Abschiebung allein aus
organisatorischen Gründen nicht erlaubt ist. „Die in dem Schreiben
angeführte Begründung, Abschiebungen auch frühmorgens durchführen zu wollen
und Abschiebehaft zu vermeiden, und deshalb der Polizei das Betreten von
Wohnraum ohne Durchsuchungsbeschluss auch bei Nacht zu erlauben, ist aber
ein solcher organisatorischer Grund. Und das ist rechtswidrig.“
Auch Heimleiter Peter Hermanns vom Internationalen Bund, der in Berlin
einige Flüchtlingsunterkünfte betreibt, übt Kritik. „Die Einigung ist
interpretierbar und schwammig, die Rechtsunsicherheit bleibt.“ Bisher seien
Polizeibeamte für Abschiebungen stets ohne Durchsuchungsbeschluss in die
Unterkünfte gekommen, mit der Begründung, sie würden das Zimmer nur
„betreten“ und nicht „durchsuchen“. Mit der neuen und uneindeutigen
Definition von „Betreten“ dürfte dies seiner Meinung nach weiterhin mögli…
sein.
Der Internationale Bund vertritt die Rechtsposition, dass Abschiebungen
immer Durchsuchungen sind und es deshalb einen richterlichen Beschluss
bräuchte. Trotzdem zeigte Hermanns Verständnis für die Einigung der
SenatorInnen: „Ich verstehe das Dilemma und habe keine eindeutige
Handreichung erwartet. Es muss höchstgerichtlich entschieden werden, ob das
Betreten von Zimmern unter das Grundgesetz fällt oder nicht.“
## Klage gegen Innensenator anhängig
Eine Klage gegen Innensenator Geisel als obersten Dienstherren der Berliner
Polizei ist momentan beim Verwaltungsgericht anhängig. Anlass war die
versuchte Abschiebung eines jungen Guineers im September ohne
Durchsuchungsbeschluss und unter Einsatz eines Rammbocks. Mit einer
zeitnahen Entscheidung rechnet Anwalt Christoph Tometten nicht.
Stefan Strauß, Sprecher der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und
Soziales, erklärte auf taz-Anfrage, bei der Positionierung handele sich um
eine „einheitliche Handlungsempfehlung“ auf der Grundlage des GRG, mit der
man Betreiber von Flüchtlingsunterkünften entlasten wolle. Er betont, „dass
die Rechte von der Maßnahme betroffener Dritter nicht verletzt werden“
dürfen.
Breitenbach hatte auf einer Konferenz im Herbst versprochen, sich noch im
Dezember mit einem Rundschreiben zu melden. Dieses Versprechen hat sie nun
gehalten. Ihre ursprüngliche Position hat sie dafür aufgegeben.
30 Dec 2019
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## AUTOREN
Henrike Koch
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