| # taz.de -- Gegenentwurf zur Nato trifft sich: Er hat einen Plan | |
| > Bei einem Gipfel in Tianjin will Staatschef Xi Jinping China als | |
| > Gegengewicht zum Westen inszenieren. Das könnte klappen – dank Donald | |
| > Trump. | |
| Bild: Versteht etwas von visueller Inszenierung: Chinas Staatschef Xi Jinping | |
| Seoul taz | Manchmal sind es die scheinbar flüchtigen Momente, die den | |
| weltpolitischen Kurs auf geradezu prophetische Weise bestimmen. Es war im | |
| März 2023, als sich Xi Jinping nach einem Gipfeltreffen im noch | |
| bitterkalten Moskau von Wladimir Putin verabschiedete. Noch ehe der | |
| chinesische Staatschef in seine schwarze Limousine stieg, sagte er, nur | |
| durch Zufall von der Smartphonekamera eines Reporters aufgenommen: „Wir | |
| stehen vor Veränderungen, wie wir sie seit hundert Jahren nicht mehr | |
| gesehen haben. Und wir sind diejenigen, die diese Veränderungen zusammen | |
| vorantreiben“. | |
| An diesem Sonntag wird Xi nun seinen vollmundigen Worte Taten folgen | |
| lassen. In Tianjin lädt die Parteiführung der Volksrepublik zum | |
| Gipfeltreffen der [1][Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit] (SCO). | |
| Was einst in den 2000er Jahren als rein regionale Veranstaltung zwischen | |
| China und seinen zentralasiatischen Nachbarstaaten begann, ist mittlerweile | |
| nichts weniger als ein antiwestlicher Gegenentwurf zur Nato. | |
| Die beeindruckende Gästeliste repräsentiert rund die Hälfte der | |
| Weltbevölkerung: Russlands Präsident Wladimir Putin wird erwartet, Indiens | |
| Premier Narendra Modi betritt erstmals seit sieben Jahren wieder | |
| chinesischen Boden, auch Massud Peseschkian aus dem Iran wird kommen. Zudem | |
| reisen fast sämtliche Staatschefs Südostasiens in die Küstenstadt nahe | |
| Peking. Und selbst UN-Generalsekretär António Guterres wird das | |
| Gipfeltreffen mit seiner Präsenz beehren – und unweigerlich diplomatisch | |
| aufwerten. | |
| Die Botschaft, die Xi in Tianjin verkünden wird, dürfte für weite Teile der | |
| internationalen Staatengemeinschaft verlockend klingen: China möchte eine | |
| multilaterale Weltordnung erschaffen – ohne westliche Predigten über | |
| Demokratie und Menschenrechte. Stattdessen verspricht die Volksrepublik, | |
| ihr wirtschaftliches Entwicklungsmodell, das seit den 1980er Jahren | |
| Hunderte Millionen Menschen aus bitterer Armut gehievt hat, in die Welt zu | |
| tragen. | |
| ## Weltmacht Nummer zwei wird aufgewertet | |
| Die offensichtlichen Widersprüche, ja teils krasse Scheinheiligkeit | |
| Pekings, dürfte den meisten SCO-Mitgliedstaaten natürlich nicht verborgen | |
| bleiben: dass Xi etwa in seinen Reden Hegemoniestreben ablehnt, | |
| gleichzeitig aber Staaten im Südchinesischen Meer schikaniert, Taiwan | |
| militärisch droht und auch Putins Kriegsmaschinerie indirekt | |
| aufrechterhält. Und dennoch: In gleichem Maße, wie die USA in Isolation, | |
| innenpolitischer Polarisierung und außenpolitischem Chaos versinken, wird | |
| die Weltmacht Nummer zwei aufgewertet – und als vergleichsweise stabil, | |
| vorhersehbar und pragmatisch wahrgenommen. | |
| Chinas Vizeaußenminister Liu Bin sagte auf einer Pressekonferenz am | |
| Freitag: „Je komplexer und turbulenter die internationale Lage wird, desto | |
| mehr müssen die Länder ihre Solidarität und Zusammenarbeit stärken.“ In d… | |
| heutigen Welt hätten veraltete Denkweisen wie Hegemonismus und Machtpolitik | |
| immer noch Einfluss. Bestimmte Länder würden versuchen, „ihre eigenen | |
| Interessen über die anderer zu stellen, was den Weltfrieden und die | |
| Stabilität gefährdet“. Ein unverhohlener Seitenhieb gegen den ideologischen | |
| Feind, die USA. | |
| Nüchtern betrachtet ist es tatsächlich beeindruckend, wie sehr China unter | |
| Xi seinen diplomatischen Einfluss in den vergangenen Jahren ausbauen | |
| konnte. Schon jetzt [2][ist das Land für die meisten afrikanischen] und | |
| auch asiatischen Staaten nicht nur der größte Handelspartner, sondern | |
| strahlt auch aufgrund seines Entwicklungsmodells eine gewisse soft power | |
| aus: [3][technologische Innovationsmacht] und starke Industriebasis, | |
| gepaart mit bescheidenem Wohlstand für die Bevölkerung. | |
| Und dennoch wäre die diplomatische Machtdemonstration nicht ohne Donald | |
| Trump denkbar. Der ist für Peking ein geopolitisches Geschenk. Denn während | |
| sein Vorgänger Joe Biden die amerikanischen Alliierten im Indopazifik | |
| weitgehend hinter sich vereinte, löst Trump bei seinen Verbündeten | |
| nachhaltige Schockwellen aus. Von Südkorea über Taiwan bis hin zu Vietnam | |
| überzog Trump sämtliche Staaten mit saftigen Strafzöllen, stellte | |
| jahrzehntealte Sicherheitsgarantien über Nacht infrage und verletzte mit | |
| einer rüpelhaften Rhetorik auch den Nationalstolz vieler Länder. | |
| ## 25 Jahre mühsamer Arbeit zunichtegemacht | |
| Schlussendlich trieb er damit auch etliche Regierungen in die Arme Chinas, | |
| ohne dass Peking dafür nennenswerte Zugeständnisse machen musste. | |
| Indien ist dafür das beste Beispiel. Premierminister [4][Modi hebt derzeit | |
| nicht einmal das Telefon ab], wenn Trump um Gespräche bittet. Zu viel | |
| diplomatisches Porzellan hat die US-Regierung in den vergangenen Monaten | |
| zerschlagen. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Evan A. Feigenbaum | |
| sagt: „Diese Leute haben 25 Jahre mühsamer und parteiübergreifender Arbeit | |
| zum Aufbau produktiver Beziehungen zwischen den USA und Indien | |
| zunichtegemacht“ – etwa indem Trump die Inder für ihre [5][russischen | |
| Ölimporte] an den Pranger stellte und mit 50-prozentigen Zöllen abstrafte, | |
| während er gleichzeitig dem russischen Präsidenten in Alaska den roten | |
| Teppich ausrollte. | |
| Nun also lässt Xi zur Audienz in Tianjin bitten. Der symbolisch aufgeladene | |
| SCO-Gipfel dürfte China vor allem rhetorisch und visuell Rückenwind | |
| bescheren. Doch trotz der glitzernden Oberfläche lässt sich nicht | |
| übertünchen, dass der geopolitische Block der aufstrebenden Weltmacht auf | |
| wackeligem Fundament steht. Zu unterschiedliche Interessen verfolgen die | |
| einzelnen Staaten, überlappende Wertevorstellungen oder Ideologien gibt es | |
| praktisch keine. Wenn Xi also der westlich geprägten Weltordnung den Kampf | |
| ansagt, dann dürfte er dafür zwar Applaus erhalten. Doch welche Zukunft | |
| daraus resultieren soll, darüber gibt es nur wenige verbindliche | |
| Vorstellungen. | |
| Zudem lehnt Peking seit Gründung der Volksrepublik klassische Bündnisse, | |
| womit Staaten sich im Kriegsfall zur gegenseitigen Verteidigung | |
| verpflichten, kategorisch ab. Insofern bleibt fraglich, welche Art | |
| Kooperation eine Mitgliedschaft bei der Shanghaier Organisation für | |
| Zusammenarbeit überhaupt beinhaltet. | |
| Fest steht nur: Wer Mitglied werden möchte, muss sich loyal gegenüber dem | |
| Reich der Mitte zeigen. Wie damals im „Tianxia“-System („alles unter dem | |
| Himmel“) der chinesischen Kaiser: Wenn Peking ruft, zollen die Staaten | |
| Tribut. | |
| 29 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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