| # taz.de -- Gastronomieberater über Corona: „Das Frühstückbuffet ist tot“ | |
| > Ohne einen Solibeitrag können Restaurants nicht überleben, sagt Jörg | |
| > Reuter – und gibt Hoffnung auf etwas Italienflair in deutschen | |
| > Innenstädten. | |
| Bild: Hinter, neben und vor Plexiglas: Das Personal in einem Mailänder Restaur… | |
| taz am wochenende: Herr Reuter, wie sieht für Sie der perfekte Ort aus, um | |
| mit Freunden zusammenzusitzen, was zu essen und zu trinken? | |
| Jörg Reuter: Du kommst rein, fühlst dich willkommen und ein wenig wie zu | |
| Hause. Es braucht auch eine gewisse Gemütlichkeit. | |
| Das wird mit 1,50 Meter Abstand schwierig. Muss die Wohnzimmeratmosphäre, | |
| mit der Restaurants in den vergangenen Jahre geworben haben, in | |
| Coronazeiten Separees hinter Plexiglas weichen? | |
| Neulich habe ich ein Bild von einem Stammtisch gesehen. Die Männer sitzen | |
| an einem Tisch, jeder für sich in einer Art Holzverschlag. Sie können ihren | |
| Kumpels aber zuprosten und nach dem Bier greifen, weil vor ihrem Gesicht | |
| eine Plexiglasscheibe mit einer Durchreiche eingebaut ist. So etwas ginge, | |
| wäre aber eher wie im Knast. Es gibt also keine ernst zu nehmende Lösung – | |
| außer Abstand halten. | |
| Und das möglichst draußen, weil sich das Coronavirus drinnen in winzigen | |
| Tröpfchen, den Aerosolen, offenbar lange in der Luft halten kann – [1][und | |
| die Ansteckungsgefahr größer ist]? | |
| Das müsste ein Virologe beantworten. Sitzplätze draußen sind sicher | |
| attraktiv im Moment. Aber natürlich hat die nicht jedes Restaurant. Und | |
| wenn doch, sind sie meist auch begrenzt. Ob drinnen oder draußen, die Wirte | |
| werden ihre Stühle auseinanderrücken müssen. | |
| Das jedoch rechnet sich kaum. Die ersten Restaurants machten nur wenige | |
| Tage, nachdem sie wieder geöffnet hatten, wieder dicht. | |
| Die Restaurants können vielleicht ein Drittel, bestenfalls die Hälfte ihrer | |
| bisherigen Sitzplätze haben. Dabei ist in der Gastronomie [2][seit jeher | |
| alles auf Kante genäht]. Wer will, dass Restaurants in diesen Zeiten | |
| öffnen, muss darum mehr zahlen. | |
| Wie teuer muss Essengehen werden? | |
| Nicht gleich doppelt so teuer, der Wareneinsatz ist ja auch geringer. Aber | |
| zwanzig Prozent mehr Einnahmen bräuchten Gastwirte sicher, damit es sich | |
| für sie rechnet. Sie könnten das als Coronaperto einfach draufschlagen. | |
| Ein Coronaperto? | |
| Viele kennen doch aus dem Italienurlaub den Coperto, also einen Betrag von | |
| ein paar Euro pro Person, der auf der Rechnung für Tischdecke, Besteck und | |
| so auftaucht. Der Coronaperto funktioniert genauso, nur für die | |
| Extrabelastung, die Gastwirte jetzt haben. Das könnten 50 Cent für den | |
| schnellen Mittagstisch beim Asiaten sein oder auch sieben Euro für das | |
| Abendessen in einem gehobenen Restaurant. | |
| Ein Bäckereicafé in Aachen hat ein 2-Euro-Tischgeld und 50 Cent pro Person | |
| auf seine Preise draufgeschlagen [3][und bekam einen Shitstorm]. Friseure | |
| können offenbar leichter einen Corona-Aufschlag durchsetzen als Gastwirte. | |
| Ja, aber das zeigt doch nur, dass wir in Deutschland eine erbärmliche | |
| Zahlungsbereitschaft fürs Essen haben. Coronaperto, das ist ein Soli! Ohne | |
| ihn wird es nicht gehen. Und dann werden trotzdem noch viele Restaurants | |
| pleitegehen. Weil wir ja nicht essen gehen, um unseren Kalorienbedarf zu | |
| decken. Wir wollen am Tisch zusammensitzen, erzählen, uns austauschen. Aber | |
| dieses gute, alte Restauranterlebnis können wir jetzt nicht haben. Da | |
| werden viele lieber zu Hause mit ein paar Freunden kochen. | |
| Wird das bleiben – die eigene Küche als Zufluchtsort? | |
| Ja, aber nicht immer wird selbst gekocht. Viele Restaurants haben | |
| Lieferdienste eingerichtet. Manche Leute gucken jetzt beim Essen zwar erst | |
| recht auf den Preis, weil sie Angst um ihren Job haben, die Zukunft | |
| unsicher ist. Andere aber gönnen sich zu Hause mehr, wenn man schon nicht | |
| rausgehen kann. Renommierte Restaurants wie das Berliner „Herz und Niere“ | |
| wecken für sie zum Beispiel Königsberger Klopse, Rinderroulade und | |
| Tafelspitz in Einmachgläsern ein. Gehobene Küche to go ist gerade extrem | |
| gefragt. | |
| Das deftig Fleischige kommt zurück? | |
| Das sind [4][Gerichte mit Wohlfühlcharakter]. Man kann sie aufwärmen, man | |
| weiß, was man hat. Für die nächste Zeit ist das wichtig. Die Leute wollen | |
| nicht groß beim Essen rumexperimentieren. Alles andere ist schon Experiment | |
| genug derzeit. | |
| Wird eines Tages wieder Currywurst mit Pommes in der Betriebskantine | |
| angeboten? | |
| Die Kantine wie früher wird es so wohl nie mehr geben. In der Schlange | |
| stehen, warten. Neu gedacht könnte das ähnlich aussehen wie in der Data | |
| Kitchen in Berlin, das ist ein Restaurantprojekt eines bekannten Berliner | |
| Gastronomen und der Firma SAP. Dort bestellt man sein Mittagessen vom Büro | |
| aus online für eine bestimmte Zeit und holt es pünktlich ab. Dafür macht | |
| man, ähnlich wie bei einer Paketstation der Post, ein Fach per | |
| Smartphone-App auf und holt sein Essen raus. Das ist lange Zeit belächelt | |
| worden. | |
| Jetzt nicht mehr? | |
| Nein, weil es plötzlich nicht mehr Spielerei ist, sondern eine ziemlich | |
| relevante Lösung. Auf Kantinen übertragen würde das bedeuten, das Personal | |
| arbeitet hinter den Fächern, das Gedränge lässt sich vermeiden, man lässt | |
| nur so viele Leute ihr Essen holen, wie Platz da ist. Oder Unternehmen | |
| richten in jeder Abteilung einen großen Essraum ein. Dann könnte die | |
| Kantine das Essen bringen, und die Leute, die ohnehin schon zusammen | |
| arbeiten, würden auch gemeinsam essen. | |
| Wie sieht es mit dem Essen im Hotel aus? | |
| Das Frühstückbuffet ist tot. Der riesige Korb mit Croissants, in den alle | |
| reinfassen, wird für alle Zeiten verschwinden. Manche werden Brot, | |
| Marmelade, Aufschnitt nur noch abgepackt anbieten. Ich vermute aber, dass | |
| es häufiger ein À-la-carte-Frühstück geben wird. Das könnte man dann per | |
| App beim Check-in oder einige Minuten vor dem Frühstück aussuchen – wie | |
| heute schon vielfach Sekt oder Brezel für die Pause im Theater vorbestellt | |
| werden können. Dann wird es aufs Zimmer gebracht. Es wird alles privater, | |
| zumindest so lange wir keinen Impfstoff haben. | |
| Gibt es keine Alternative? | |
| Lokalpolitiker müssten die Gehwege freigeben, auch Straßen für den | |
| Autoverkehr sperren. Dann könnten die Gastronomen ihre Tische dort | |
| ausreichend voneinander entfernt aufstellen. Man könnte Abstand halten, und | |
| es hätte Flair. | |
| Italienisches Piazzagefühl in Bielefeld, Duisburg oder Schwerin? | |
| Das wäre zumindest bis zum Herbst etwas, das Lebensfreude zurückbringen | |
| würde. | |
| 31 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hanna Gersmann | |
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