| # taz.de -- Gastronomie-Trend Kochen mit Feuer: Verbrenner doch noch gefragt | |
| > In immer mehr Spitzenrestaurants wird über offenem Feuer gekocht. Ist das | |
| > eine gute Idee oder nur der neue heiße Scheiß? | |
| Bild: Wie geht noch mal das Sprichwort? Wer die Hitze nicht verträgt, hat in d… | |
| Unterwegs in Lissabon, kurz nach Sonnenuntergang. Es ist noch lauwarm auf | |
| den Straßen und wir sind auf dem Weg ins „Fogo“. Das heißt Feuer, aber | |
| darüber machen wir uns erst mal noch keine Gedanken. Vor Ort werden wir vom | |
| Kellner durch einen schlauchförmigen Speisesaal im Souterrain direkt an die | |
| Theke gelotst. Vor uns: eine offene Küche. | |
| Aber was für eine! Im Fogo wird ausschließlich mit offenem Feuer gekocht. | |
| Das heißt, alle Küchenstationen, an denen Speisen erhitzt werden, haben | |
| eine eigene Feuerstelle mit tanzenden Flammen: In einem Holzkohle-Steinofen | |
| wird frisches Brot gebacken, auf einem Mini-Grill werden Vorspeisen | |
| zubereitet, in einer großes Feuerstation an der hinteren Wand der Küche | |
| steht einen gusseiserner Topf in der Glut, daneben hängen Grillroste, auf | |
| denen das Essen direkt gegrillt oder in Eisenpfannen gebraten wird. | |
| Anders als man es womöglich von einem Feuer-Restaurant erwartet, kommt die | |
| Karte mit erstaunlich wenig Fleischgerichten aus. Zu Beginn gibt es für uns | |
| jeweils eine Auster. Und zwar eine gegrillte. Dass die so zubereitet | |
| schmecken kann, hatten wir nicht erwartet – doch sie ist der Wahnsinn: das | |
| Fleisch kurz und nur lauwarm gegart, mit einem Spritzer | |
| Petersilienölreduktion und etwas Schnittlauch. | |
| ## Überraschend sparsam eingesetztes Raucharoma | |
| Wir machen weiter mit Meeresfrüchten. Die gegrillten Messermuscheln mit | |
| Knoblauchscheiben und frischer Zitrone schmecken rauchig-zart. Dann das | |
| Hauptgericht, ein knusprig gegrillter Rochen mit einer verboten gehörenden | |
| Buttercremesoße, knackigen Spinatblättern und zart gegarter Zucchini. Das | |
| Spiel mit den Konsistenzen trägt durch den Abend. Dazu überzeugt, dass das | |
| Raucharoma überraschend sparsam – aber gezielt – eingesetzt wird. Auch beim | |
| Nachtisch: eine im Holzkohleofen gebackene Limetten-Meringue-Tarte, die | |
| Baiser-Spitzen über offenem Feuer rauchig flambiert. | |
| Kochen über offenem Feuer ist die wahrscheinlich älteste Garmethode | |
| überhaupt. In vielen Kulturen wird es bis heute zelebriert: In Japan gibt | |
| es Izakaya-Bistros, in denen es ausschließlich Grillgerichte gibt. In | |
| brasilianischen Rodizio-Restaurants schneiden die Kellner:innen dicke | |
| Scheiben von frisch gegrillten Fleischspießen am Platz direkt auf den | |
| Teller. In einer traditionellen türkischen Ocakbaşı sitzen die Gäste um den | |
| Grill angeordnet. Und was wären die USA kulinarisch ohne ihre | |
| Barbecue-Kultur? In der Gesellschaft ist das Kochen mit Feuer bis heute | |
| beliebt. Aus den westlichen Profiküchen ist es jedoch weitgehend | |
| verschwunden. | |
| Im unteren und mittleren Preissegment verwundert das nicht, schließlich | |
| sind Gasherde viel präziser und effizienter als offenes Feuer. In der | |
| gehobenen Gastronomie gibt es hingegen schon länger den Trend, Restaurants | |
| mit klar definierten Konzepten zu versehen. Hier erschien das offene Feuer | |
| lange wohl zu plump gegenüber der [1][experimentellen Molekularküche] oder | |
| dem New-Nordic-Fermentier-Trend. Doch das ändert sich gerade. | |
| Schließlich boomen gerade Konzepte wie „Nose to Tail“, bei dem es darum | |
| geht, wie Jahrhunderte üblich möglichst alle Teile vom Tier zu verbrauchen, | |
| um den Fleischkonsum nachhaltiger zu gestalten. Oder das in vielen | |
| deutschen Großstädten aktuell beliebte „From Farm to Table“, | |
| beziehungsweise „Radikal lokal“. Damit werden nicht nur die großstädtische | |
| Landlust-Sehnsüchte angesprochen, sondern auch zu wenig beachtete, schon | |
| [2][fast in Vergessenheit geratene regionale Gemüsesorten] wieder in den | |
| Fokus gerückt und raffiniert kombiniert. | |
| ## Rückbesinnung auf das Simple, Archaische, Ungenaue | |
| Die Feuerbewegung setzt diese Trends fort, indem sie sich auf uralte | |
| Kochtechnik konzentriert und mit Holz statt Gas als Energieträger sogar | |
| Nachhaltigkeit für sich beanspruchen kann. Sie ist eine Rückbesinnung auf | |
| das Simple, das Archaische, auch durchaus auf das Ungenaue, ähnlich wie | |
| bei den Retro-Trends zur analogen Fotografie und [3][dem Sammeln von | |
| Vinylschallplatten]. | |
| Nicht alle Restaurantkonzepte bringen einen kulinarischen Mehrwert, manche | |
| sind zu starr oder verkopft, und man wünscht sich insgeheim mehr herzliche | |
| Gastlichkeit. Doch das offene Feuer taugt hervorragend, wie es das „Fogo“ | |
| von Chefkoch André de Silva zeigt. In Berlin eröffnet das erste | |
| Feuer-Restaurant im kommenden Jahr, [4][„Stoke“ soll es heißen]. Chefkoch | |
| Jeff Claudio aus Vancouver ist gerade mitten in den Vorbereitungen – das | |
| offene Feuer im Innenraum mit den deutschen Brandschutzbestimmungen unter | |
| einen Hut zu bringen erfordert viel Arbeit. | |
| Claudio ist wie viele Köch:innen in jungen Jahren losgezogen, um in | |
| Restaurants auf der ganzen Welt zu arbeiten. Nach Stationen in New York und | |
| Hongkong lernte er das Kochen über offenem Feuer im „Burnt Ends“ in | |
| Singapur. Im Kochen mit offenem Feuer sieht er auch eine Verantwortung: der | |
| Koch-Nomade will die Technik an die nächste Generation Köch:innen | |
| weitergeben. | |
| ## Apfelholz passt zu Bacon, Erlenholz zu Forellen | |
| „Das Spannende am Kochen mit offenem Feuer ist, dass es jede:r anders | |
| macht“, sagt der 39-Jährige. Es gebe große regionale Unterschiede, zum | |
| Beispiel bei der Frage, ob man mit dem Feuer von frischem Holz arbeite oder | |
| Kohle benutze. Denn durch den Rauch überträgt sich der Geschmack des Holzes | |
| in die Speisen. So passt etwa süßliches Apfelholz am besten zu klassisch | |
| texanischem Bacon oder Erlenholz für geräucherte Forellen. Das Problem bei | |
| frischem Holz ist aber, dass es sehr unregelmäßig abbrennt und schwer zu | |
| kontrollieren ist. Es eignet sich eher für indirekte Zubereitungsarten wie | |
| Räuchern. Grillkohle hingegen brennt zwar sehr konsistent, gibt aber wenig | |
| Geschmack ab. | |
| Jeff Claudios Lösung ist eine Mischung aus verschiedenen Ansätzen: Aus | |
| frischem, bereits vorgetrocknetem Holz produziert er im Ofen eine eigene | |
| Glut, die er dann mit einer Schaufel in den Grill schüttet. „Da hat man das | |
| Beste von beidem: konsequente Hitze und sauberen Rauch, der entsteht, wenn | |
| das Fett vom Produkt die Glut küsst.“ Seine bevorzugte Holzart ist Eiche, | |
| deren Raucharoma zwar kräftig, aber nicht zu aufdringlich ist, sodass es | |
| sich flexibel für verschiedene Speisen einsetzen lässt. | |
| Ein Lagerfeuer im Restaurant ist nicht nur kulinarisch ein Gewinn – es | |
| wirkt auch verbindend. Die Geschichte der Menschheit selbst ist eng mit dem | |
| Feuer verbunden: das Beherrschen des Feuers ist ein Meilenstein in unserer | |
| Entwicklung. 2014 [5][fand eine Studie heraus], dass sich durch das | |
| abendliche Lagerfeuer der Tag des Urmenschen verlängerte und ihm so Zeit | |
| blieb, um soziale Fähigkeiten wie Empathie zu entwickeln. Auch kulturelle | |
| Techniken bildeten sich in diesen gewonnen Stunden am Feuer – wie das | |
| Kochen. Kein Wunder, dass uns das bis heute so gut schmeckt. | |
| 17 Jul 2022 | |
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| [4] https://www.stokeberlin.com/ | |
| [5] https://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaft-das-abendliche-lagerfeuer-b… | |
| ## AUTOREN | |
| Leonard Maximilian Schulz | |
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