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# taz.de -- Gourmetküche trifft Kreislaufwirtschaft: Viele kleine Schritte in …
> Im Spitzenrestaurant Amass wird Müll vermieden, Fleisch und Gemüse
> komplett genutzt, regional gewirtschaftet. Das ist nachhaltig und
> schmeckt.
Bild: Im Garten des Amass wuchert nicht nur der Beifuß
Kopenhagen taz | Hier und da eine leere Halle, ein paar Handwerksbetriebe,
dazwischen Schotterflächen. Früher wurden hier, nordöstlich von Kopenhagens
Zentrum, Schiffe gebaut. Die Werften sind längst dicht, doch in einem
mehrstöckigen Klinkerbau eröffnete der US-Amerikaner Matt Orlando vor
sieben Jahren ein Restaurant: das Amass. Der frühere Küchenchef des
[1][bekannten Kopenhagener Sternerestaurants Noma] verbindet
Spitzengastronomie mit Kreislaufwirtschaft.
„Wir haben hier viel Platz zum Ausprobieren“, begründet Kim Wejendorp die
Standortwahl im Industriegebiet. Zusammen mit einer Gärtnerin ist Wejendorp
im Amass zuständig für Innovationen und Zukunftsforschung. Und die beginnt
direkt vor dem Restaurant, im 500 Quadratmeter großen Garten. Vor oder nach
dem Essen können die Gäste hier herumspazieren, zwischen Dutzenden aus
Holzkisten gebauten Hochbeeten im Urban-Gardening-Style. Kräuter und
Gemüsepflanzen wachsen hier wild durcheinander, was auch den Insekten
gefällt.
Der Fenchel ist zwei Meter hoch geschossen – kein Problem. Blüten und Saat
sind ebenfalls schmackhaft: „Wir nutzen die Dinge in ihrem gesamten
Lebenszyklus“, sagt Wejendorp, während er hier und da ein Blättchen abzupft
und kostet. An vielen Stellen wuchern Beifuß oder Melde. Was die meisten
Leute als Unkraut bezeichnen, schätzen die Köche im Amass als interessante
Zutat. Und unter dem Holzboden des Gewächshauses schwimmen Karpfen. Das
Wasser mit ihren Exkrementen wird nach oben gepumpt und düngt die Minze,
die aus senkrechten Metallrohren wuchert.
## Beton- und Graffitioptik
Im Gastraum mit den hohen Fenstern gibt sich das Amass urban, verbindet
Beton- und Graffitioptik. Die Speisekarte ist klein und wird gewechselt,
sobald die Zutaten verkocht sind. Für die Gerichte verwenden die acht
Köchinnen und Köche möglichst viel Regionales und Saisonales.
Als ersten Gang vielleicht eine karamellisierte Milch-Karotten-Tarte mit
Wasserkresse, Haselnuss und Frischkäse und später gegrillter
Spaghetti-Squash mit Muschelsoße, Meerrettich und gesalzener Kürbissaat?
Die Küchencrew steht mit vielen ihrer Lieferanten im ständigen Kontakt, um
den Kochplan abzusprechen. Bäuerinnen und Fischer können sich darauf
verlassen, einen bestimmten Teil ihrer Ernte oder ihres Fangs bei Amass
loszuwerden.
Auch Wejendorp ist gelernter Koch. Geboren in Neuseeland, ist er die meiste
Zeit seines Lebens durch die Welt getingelt. „Anderswo ist es
selbstverständlich, möglichst alles zu verwenden. Hier in Europa haben wir
Lebensmittel billig gemacht und die Köche fokussieren sich auf die Teile,
die sie gerade für ein Gericht haben wollen. Den Rest schmeißen sie einfach
in den Müll.“
Mit einer pantomimischen Armbewegung wischt der 40-Jährige alles vom Tisch.
Maximal die Hälfte der Mengen, die in Restaurantküchen angeliefert werden,
landen am Schluss auf den Tellern. Bei Amass sind es inzwischen 75 Prozent,
schätzt Wejendorp.
## 90 Prozent der Zutaten sind bio
Haut, Blut und Innereien werden ebenso verwendet [2][wie das Kraut von
Möhren]. „Wir bombardieren unsere Gäste nicht mit Informationen,
schließlich kommen sie vor allem her, um ein gutes Essen zu genießen“, sagt
Kim Wejendorp. Doch wer Interesse hat, bekommt Auskunft: 90 Prozent der
Zutaten sind bio. Allerdings sei bio kein Garant für Umweltfreundlichkeit,
betont Wejendorp und verweist auf weitgereiste Avocados, die den Menschen
anderswo das Wasser wegschlürfen. „Wenn man sich überlegt, wo etwas
herkommt, dann fängt das eigene Denken an – und das verändert sich dann
immer weiter.“
Ein Lernprozess, der aus vielen kleinen Schritten besteht. Schon lange wird
etwa das Wasser, das in Karaffen oder Flaschen auf den Tischen des Amass
stehen geblieben ist, zum Schrubben des Küchenfußbodens oder zum Wässern
der Hochbeete verwendet. Das spart einige tausend Liter Frischwasser und
dem Betrieb 2.600 Euro im Jahr.
Vor zwei Jahren hat das Amass seine Forschungsabteilung gegründet und Kim
Wejendorp steht nicht mehr mit am Herd, sondern recherchiert und hat Zeit,
gründlich nachzudenken. Im Vergleich zu den ersten Jahren haben sich die
Abfallmengen um 75 Prozent reduziert. Die Kopenhagener Uni bekommt
sämtliche Verbrauchsdaten, Studierende errechnen daraus den ökologischen
Fußabdruck und machen Verbesserungsvorschläge.
## Rind- und Lammfleisch sind tabu
Vor Kurzem hat das Restaurant entschieden, ganz auf Rindfleisch zu
verzichten, nachdem klar war: Zwei Prozent aller Zutaten waren für 25
Prozent der Klimabelastungen verantwortlich. „Fleisch ist sehr wertvoll und
es sollte das kosten, was seine Herstellung tatsächlich kostet. Wir setzen
es deshalb nur noch sehr sparsam ein“, sagt Wejendorp.
Fünf Gerichte sind immer vegetarisch oder vegan, nur je ein Angebot gibt es
mit Fisch und eines mit Hühner-, Enten- oder Schweinefleisch; Lammfleisch
ist schon seit vier Jahren tabu. „Als Nächstes gucken wir uns Käse, Milch
und Milchprodukte genauer an.“
Das Amass arbeitet viel mit Universitäten zusammen, Besitzer Matt Orlando
sitzt auch im Beratergremium für das EU-Projekt „Foodshift 2030“, das die
Ernährungswende in Europa vorantreiben will. Gerade läuft die Bewerbung für
ein Forschungsvorhaben zum Thema Fischfutter. Die Idee: Die Restaurants
liefern den Züchtern sämtliche Fischabfälle, diese füttern damit die
nächste Generation.
## Kaffee ist eine Ausnahme
In der Küche herrscht strenge Mülltrennung, alle organischen Abfälle werden
entweder kompostiert, als Hühnerfutter weitergegeben oder zu Biogas
verarbeitet. Vieles lässt sich sogar unmittelbar weiterverwenden. Das Aroma
von Kaffeesatz eignet sich gut für gebackene Rote Bete, verrät Kim
Wejendorp. Außerdem lassen sich auf dem nährstoffreichen Abfall Edelpilze
züchten. Denn, ja: Während schwarzer Tee von der Getränkekarte gestrichen
wurde, gibt es im Amass weiterhin Kaffee. Der ist zwar bio und fair, aber
auch weit gereist. „Kaffee nicht mehr anzubieten, hätten die Kunden nicht
akzeptiert“, sagt Wejendorp.
In den Regalen des Restaurants stehen große Weckgläser, in denen
fermentierte Möhren, Rote Bete, Kürbisse und eingelegte Pflaumen in allen
Farben leuchten. „Auch im Winter soll es ja nicht nur Kohl und Kartoffeln
geben“, sagt Kim Wejendorp und grinst. Seine zentrale Botschaft: Ein
Restaurant nachhaltig zu betreiben, kostet am Ende nicht mehr.
Zwar ist die Entwicklung neuer Abläufe zeitaufwändig und mühsam – aber nach
der Umstellung wird es an vielen Stellen billiger. Weil mehr auf den
Tellern und weniger im Müll lande, gleichen sich die Kosten für erhöhten
Arbeitsaufwand am Ende aus. „Und das wird die Zukunft sein, ob es den
Leuten gefällt oder nicht“, sagt Kim Wejendorp, erwähnt kurz seine kleine
Tochter – und lächelt zufrieden.
3 Nov 2020
## LINKS
[1] /Gehobene-Kueche/!5104770
[2] /Kochen-nach-dem-Leaf-to-Root-Prinzip/!5525476
## AUTOREN
Annette Jensen
## TAGS
Restaurant
Kopenhagen
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Zero Waste
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