# taz.de -- Gärtnern in Berlin: Millionenschweres Gemüse | |
> Die Gärten der Stadt sind gut für Klima und Erholung. Aber auch das, was | |
> dort aus der Erde geholt wird, ist laut einer Studie Gold wert. | |
Bild: Urban-Gardening: Prinzessinnengärten in Kreuzberg | |
BERLIN taz | Was die Berliner Klein- und Gemeinschaftsgärtner*innen | |
in ihren Gärten anbauen, reicht im Jahr locker für die Verköstigung von | |
50.000 Menschen – also jede dritte Kreuzberger*in oder den gesamten | |
Ortsteil Alt-Hohenschönhausen. Auf dem Markt wären diese Lebensmittel etwa | |
zehn Millionen Euro wert. | |
Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung des Berliner Instituts | |
für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Projektleiter Jesko Hirschfeld | |
erklärt: „Indem wir die Leistungen von Grünflächen abbilden und mit einem | |
Geldwert beziffern, wollen wir sichtbar machen, wie stark [1][die Menschen | |
in der Stadt von Gärten und Parks] profitieren.“ | |
In dem Forschungsprojekt „GartenLeistungen“ hat das Institut im Auftrag des | |
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit Akteuren | |
aus Gärten, Parks und aus der Berliner Verwaltung eine umweltökonomische | |
Bewertung des Hauptstadt-Grüns vorgenommen. Demnach haben vor allem [2][die | |
Gärten] nicht nur einen großen Wert für das Klima der Großstadt und die | |
Erholung der Menschen. | |
Auch der wirtschaftliche Nutzen sei nicht zu unterschätzen. Den vom | |
Wohnungsbau bedrohten Kleingartenanlagen könnten die Ergebnisse auch eine | |
bessere Position in der politischen Diskussion über Flächennutzung | |
verschaffen. | |
## 3,3 Prozent der Landesfläche | |
Derzeit gibt es [3][1.051 Kleingartenanlagen] mit 70.953 Parzellen in | |
Berlin, die zusammen eine Gesamtfläche von 29 Millionen Quadratmeter | |
aufweisen. Hinzu kommen 106 Gemeinschaftsgärten mit 362.000 Quadratmetern | |
Fläche. Damit machen die Berliner Gärten rund 3,3 Prozent der Landesfläche | |
aus. Die durchschnittliche Parzelle weist eine Größe von 345 Quadratmetern | |
auf. | |
Davon werden nach Ermittlung der Wirtschaftsforscher*innen gerade mal | |
fünf Prozent für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt. „Die reine | |
Anbaufläche ist mit 140 Hektar etwa halb so groß wie das Tempelhofer Feld“, | |
erläutert Lea Kliem als Autorin der Studie. „Wenn wir davon ausgehen, dass | |
die Hobbygärtner*innen einen kleinen bis mittelgroßen Ertrag | |
erreichen, kommen wir auf 7.600 Tonnen Gemüse, Kartoffeln und Kräuter pro | |
Gartensaison.“ | |
Die Nutzung kann mit Eroberung der dritten Dimension noch gesteigert | |
werden: Mit „vertikalen Gärten“ könnte die „essbare Stadt“ nach | |
Einschätzung des IÖW mehr Lebensmittel lokal und klimafreundlich | |
produzieren. Das wurde in einem „Reallabor“ der TU Berlin mit Salatpflanzen | |
ausprobiert. Das Blattgemüse wuchs übereinander in Säulengestellen und | |
wurde mit gereinigtem Regen- oder Abwasser versorgt. Pro Saison deckte die | |
Anlage auf nur zwei Quadratmetern den Salatbedarf von 28 Personen. „Die | |
urbane Nahrungsmittelproduktion hat mit Vertikalgärten im wahrsten Sinne | |
des Wortes noch Luft nach oben“, erklärt Lea Kliem. | |
„Noch wertvoller als das lokal produzierte Gemüse eines urbanen Gartens | |
sind jedoch seine sozialen und kulturellen Leistungen“, heben die Ökonomen | |
des unabhängigen Umwelt-Instituts in ihrer Untersuchung hervor. Konkret | |
illustrieren sie das am Beispiel des Weddinger Gemeinschaftsgartens | |
„Himmelbeet“. Als nachbarschaftlicher Treffpunkt mit kulturellen Angeboten | |
und naturnaher Erholungsraum stifte der Garten gemäß der Öko-Buchführung | |
des IÖW „einen gesellschaftlichen Nutzen von 1,5 Millionen Euro jährlich“. | |
## Erholungs- und Lernorte | |
Das Gartenprojekt „Himmelbeet“ musste über Jahre um seinen Standort in | |
Wedding fürchten und erhielt erst kurz vor der Räumung Ende 2021 eine | |
Zusage für die neue Fläche an der Ecke Garten-/Grenzstraße. Über 300 | |
Hochbeete, Pflanzen, Materialien und das Café-Gebäude müssen umziehen. „Wir | |
hoffen, dass wir in diesem Frühling mit dem Aufbau starten können und | |
freuen uns auf die neue Saison“, sagte Marion De Simone von der | |
Himmelbeet-Initiative. | |
Neben Berlin haben die Ökoforscher auch die Situation der grünen Areale in | |
der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart untersucht. In einer | |
repräsentativen Umfrage in Berlin und Stuttgart wurde erhoben, welche | |
Angebote als besonders wertvoll empfunden werden. | |
Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Stadtbewohner*innen besucht | |
regelmäßig oder hin und wieder urbane Gärten. „Eine ruhige Atmosphäre, ei… | |
große Vielfalt an Pflanzen und Tieren und die Nähe zum Wohnort – das | |
wünschen sich zwei Drittel der Befragten für Gärten in ihrer | |
Nachbarschaft“, heißt es in der Untersuchung. Mehr als die Hälfte der | |
Teilnehmenden fänden außerdem auch noch Angebote zur Umweltbildung und | |
Gemeinschaftsaktivitäten wichtig. | |
Das Fazit der Forscher*innen: „Im Interesse ihrer Bürger*innen sollten | |
Städte keine Mühe scheuen, urbane Gärten zu unterstützen.“ Als Erholungs- | |
und Lernorte, als soziale und interkulturelle Treffpunkte bereichern und | |
prägen sie die Nachbarschaft. | |
12 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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