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# taz.de -- G20 vor Gericht: Polizeiangriff auf Persönlichkeitsrechte
> Das Hamburger Landgericht rügt den Verlauf von Ingewahrsamnahmen im
> Rahmen des G20-Gipfels in 24 Fällen als „rechtswidrig“.
Bild: Sollen die Polizei beworfen haben: Demonstranten auf dem Dach des Hauses …
Hamburg taz | Der Wind dreht sich. Nach der gerichtlichen Verurteilung
zahlreicher G20-AktivistInnen steht nun zunehmend das Verhalten der Polizei
während des Gipfels vor knapp einem Jahr auf dem juristischen Prüfstand.
Zwar hat die Staatsanwaltschaft noch immer keine Anklage gegenüber einem
Beamten erhoben, dem Körperverletzung im Amt vorgeworfen wird, verhandelt
aber werden die Beschwerden zahlreicher DemonstrantInnen, die „in
Gewahrsam“ genommen und in die Gefangenensammelstelle (Gesa) in Harburg
gebracht worden sind. Tenor der bisherigen Urteile: Die Polizei verletzte
vielfach Recht und Gesetz.
So urteilte die Zivilkammer 1 des Hamburger Landgerichts bei 24
Beschwerden, die amtsrichterliche Prüfung des Freiheitsentzugs sei nicht
„unverzüglich“, wie es das Gesetz vorschreibt, sondern viel zu spät
geschehen. Statt höchstens zwölf Stunden habe es in den vorgelegten Fällen
zwischen 15 und 40 Stunden gedauert, bis die Festnahmen richterlich
bewertet wurden. Die Ingewahrsamnahmen seien deshalb bis zum richterlichem
Beschluss „rechtswidrig“ gewesen.
Rechtswidrig seien auch „Durchsuchungen der Betroffenen bei vollständiger
Entkleidung ohne konkreten Anlass“ gewesen, sagt Gerichtssprecher Kai
Wantzen. Da alle Betroffenen bei ihrer Festnahme durchsucht worden seien,
habe eine „Veranlassung für einen derart schwerwiegenden Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht bestanden“.
Auch hätten „die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, ihre Notdurft
unter Aufsicht zu verrichten“. Diese Maßnahme, sagt Wantzen, sei „durch
keinen sachlichen Grund gerechtfertigt gewesen“.
## Nicht die erste Rüge
Das Urteil ist nicht das erste seiner Art. Vor zwei Wochen hatte das
Hamburger Verwaltungsgericht, die Ingewahrsamnahme von acht italienischen
G20-Gegnerinnen, die keiner Straftat beschuldigt wurden, als „rechtswidrig“
gegeißelt. Obwohl nicht Gegenstand des Verfahrens, hatte der Vorsitzende
Richter auch die Schikanen gegenüber den KlägerInnen in der Gesa – etwa
permanente nächtliche Kontrollen – als unrechtmäßig eingestuft.
Unter den 38 Betroffenen, die derzeit vor den Zivilkammern 1 und 9 gegen
den Verlauf ihres Ingewahrsams klagen, sind vier Personen, die am späten
Abend des 7. Juli im Zusammenhang mit Aktionen festgesetzt wurden, die vom
Dach des Hauses Schulterblatt 1 ausgingen, das mehr als ein Dutzend
DemonstrantInnen über ein von der Polizei ungesichertes Baugerüst erklommen
hatten.
Die Polizei griff in dieser Nacht trotz Plünderungen und Brandlegungen am
Schulterblatt nicht ein, da sie nach eigenem Bekunden in einen „Hinterhalt
gelockt“ und vom Dach des Hauses an der Straßeneinmündung mit
Molotowcocktails beworfen worden sei: Leib und Leben der Polizeikräfte
wären bei einem Einrücken aufs Schulterblatt gefährdet gewesen.
## Eher Böller als Molotow-Cocktails
Schon kurz nachdem die Polizei Wärmebilder vom Dach des Hauses präsentiert
hatte, die von einem Hubschrauber aufgezeichnet worden waren, hatten
Experten darauf hingewiesen, dass die dokumentierte Wärmeentwicklung
einzelner Wurfgeschosse nur zu einem handelsüblichen Böller, nicht aber zu
einem Molotow-Cocktail passe.
Doch auch davon ist nun nicht mehr die Rede: Wie erst jetzt bekannt wurde,
erhob die Staatsanwaltschaft bereits am 7. Februar diesen Jahres Anklage
gegen zwei 26-jährige Männer, die sich auf dem Gerüst vor dem Haus
aufgehalten haben sollen.
„Den beiden Angeklagten wird tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte,
versuchte gefährliche Körperverletzung und Hausfriedensbruch vorgeworfen“,
sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach dertaz. Sie sollen, wie
Gerichtssprecher Wantzen sagte, eine Flasche auf Polizisten geworfen, oder
auch nur zu einem solchen Wurf ausgeholt haben.
Bemerkenswert: Auch viereinhalb Monate nach der Anklageerhebung hat das
Gericht die Anklage noch immer nicht zugelassen, einen hinreichenden
Tatverdacht nicht bestätigt. Noch bemerkenswerter: Bislang reicht es
offenbar zu keiner weiteren Anklage gegen eine der zwölf oder 13 Personen,
die von einer Spezialeinheit festgenommen wurden und die für das Bewerfen
der Polizei verantwortlich sein sollen, das ein Vordringen der
Einsatzkräfte aufs Schulterblatt angeblich unmöglich machte.
„Mir ist keine weitere Anklage gegen eine dieser Personen bekannt“, räumte
Gerichtssprecher Wantzen ein und auch Frombach hat keine Kenntnis von solch
einem Verfahren: Sie könne dazu „leider in der Kürze der Zeit nichts
sagen“.
19 Jun 2018
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
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