| # taz.de -- G20-Prozess nach Laserpointer-Einsatz: Polizei-Piloten mit Glasaugen | |
| > Ein 27-Jähriger soll einen Polizeihubschrauber geblendet haben. Doch das | |
| > Gericht hat Zweifel an der Geschichte. Hat die Besatzung gelogen? | |
| Bild: Polizeihubschrauber über Hamburg: Wurden die Piloten wirklich geblendet? | |
| Hamburg taz | Was können Polizisten sich erlauben? Trotz Videoaufnahmen | |
| prügelnder Polizisten beim G20-Gipfel in Hamburg ist bisher keiner der | |
| uniformierten Täter verurteilt worden. Obwohl Zeugen und Geschädigte mehr | |
| als 100 Anzeigen eingereicht haben, hat die Staatsanwaltschaft elf Monate | |
| später gegen keinen einzigen Beamten Anklage erhoben. Die Strafverfolgung | |
| konzentriert sich auf die Verdächtigen aus der linken Szene. | |
| Einer der spektakuläreren Strafprozesse in der Folge von G20 wirft nun eine | |
| neue Frage auf: Wie dreist dürfen Polizisten bei Zeugenaussagen lügen, ohne | |
| dass ihnen etwas geschieht? Der Fall ist bekannt: Es geht um den | |
| mutmaßlichen Laserangriff auf einen Polizeihubschrauber, der am Vorabend | |
| des Gipfeltreffens über Altona kreiste. | |
| „Mordversuch“, titelte die Boulevardpresse damals. Ein 27-jähriger | |
| Tatverdächtiger habe einen Laserpointer auf einen Polizeihubschrauber | |
| gerichtet und die Piloten geblendet. Er habe den Absturz des Hubschraubers | |
| billigend in Kauf genommen. Es war die schwerste Anschuldigung im | |
| Zusammenhang mit den G20-Ereignissen. Der Tatverdacht lautete auf | |
| „versuchten Mord“. Amtsrichter Johann Krieten unterschrieb den Haftbefehl | |
| und schickte den Familienvater in Untersuchungshaft. Dort blieb Nico B. | |
| fast fünf Monate. | |
| Der Prozess wird ihm schließlich wegen „versuchten gefährlichen Eingriffs | |
| in den Luftverkehr“ und „gefährlicher Körperverletzung“ gemacht. Der er… | |
| Pilot habe „mehrere Sekunden lang“ nichts mehr sehen können, heißt es in | |
| der Anklageschrift. Der Täter habe „in dem Bewusstsein“ gehandelt, eine | |
| „konkrete Gefährdung des Hubschraubers und der Besatzung herbeiführen zu | |
| können“, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. | |
| ## Aus Polizeiaussagen werden Tatsachen gemacht | |
| Der Angeklagte selbst äußerte sich zu dem Geschehen nicht. Die Hamburger | |
| Morgenpost stellte die Theorie auf, er habe mit dem Laserangriff gegen den | |
| Hubschrauberlärm protestieren wollen. Seine vierjährige Tochter habe | |
| deshalb nicht schlafen können. | |
| Die polizeilichen Ermittlungen sind in der Hand der „Soko Schwarzer Block“, | |
| die nach dem G20 von der Hamburger Polizei eingerichtet wurde. Nichts | |
| spricht allerdings dafür, dass der Angeklagte an den in Teilen | |
| gewalttätigen Straßenprotesten beteiligt war. | |
| Der Prozess begann Ende November vor dem Amtsgericht Altona. Die Welt | |
| berichtet über den Ablauf des Tatgeschehens aus Sicht der Piloten, im | |
| Indikativ. „Gegen 22.47 Uhr wurde der Hubschrauber mit einem grünen | |
| Laserstrahl angegriffen (…) Das Licht in der Kabine des | |
| Polizeihubschraubers färbte sich grün. Pilot Michael M. klagte: ‚Ich bin | |
| am Auge getroffen worden!‘ Er fragte seinen Kollegen: „‚Kannst du | |
| übernehmen?‘ Doch Co-Pilot Erich H. konnte es nicht. Auch er war mit dem | |
| Laserstrahl im rechten Auge getroffen worden (…) Der erste Pilot Michael | |
| M. konnte mehrere Sekunden lang nichts sehen. Er drehte den Hubschrauber | |
| nach rechts aus dem Laserstrahl, um einer weiteren Blendung zu entgehen. | |
| Während des Blindflugs verlor ‚Libelle2‘ etwa 300 Fuß (rund 100 Meter) an | |
| Höhe. Erst dann hatte der Pilot den Hubschrauber wieder im Griff,“ schreibt | |
| die Zeitung am 30. 11. 2017. | |
| Presse und Staatsanwaltschaft folgten den Angaben der Polizisten im | |
| Cockpit: vom Laserstrahl am rechten Auge getroffen, bis zu zehn Sekunden | |
| nichts gesehen, 300 Fuß Höhenverlust, Kollision mit anderen Fluggeräten | |
| wäre möglich gewesen. „Bei dieser Aktion hätte es viele Tote geben können… | |
| resümierte die Bild. | |
| ## Die Richterin ist von den Äußerungen nicht überzeugt | |
| Ein halbes Jahr, 17 Prozesstage und ein Gutachten später stellt sich der | |
| Fall ganz anders dar. Der taz liegt ein „rechtlicher Hinweis“ des | |
| Amtsgerichts Altona vor. Darin schreibt die Vorsitzende Richterin: „Das | |
| Gericht ist derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon | |
| überzeugt, dass der Pilot Herr M. und der Copilot Herr H. von einem | |
| Laserstrahl getroffen worden sind, so wie es in der Anklage beschrieben | |
| wird. Zum jetzigen Zeitpunkt würde das Gericht eine etwaige Verurteilung | |
| des Angeklagten darauf nicht stützen.“ | |
| Was ist geschehen? In der Hauptverhandlung sind Widersprüche und | |
| Gegenbeweise aufgetaucht, die die Glaubwürdigkeit der beiden | |
| Hubschrauberpiloten in Frage stellen. Die Verteidiger Oliver Klostermann | |
| und Bernd Wagner werteten den in die Bordkamera eingebauten Höhenmesser | |
| aus. Dieser zeigte keinen Höhenverlust des Hubschraubers in Folge der | |
| „Laserattacke“. Der Höhenmesser sei „immer kaputt“, soll Pilot M. sich… | |
| Gericht gerechtfertigt haben. | |
| Zweifel an der Version der Hubschrauberbesatzung weckte auch die Analyse | |
| der im Cockpit aufgezeichneten Wortwechsel. Als Reaktion auf den angeblich | |
| lebensgefährlichen Angriff habe laut Audiodatei der von der bayerischen | |
| Polizei zum G20 nach Hamburg abgestellte Pilot seelenruhig im Hinblick auf | |
| den Angreifer gesagt: „Jetzt gucken wir mal, wo der Depp sitzt.“ So | |
| schildert es Verteidiger Wagner. Auf einen „schlagartigen Höhenverlust“ | |
| oder gar einen drohenden Absturz liefere die Audiodatei „keine Hinweise“. | |
| Der bayerische Pilot und sein Hamburger Copilot hatten beide eine | |
| sekundenlange Blendung „des rechten Auges“ beschrieben. Dieser Darstellung | |
| mochte der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige nicht ohne Weiteres | |
| folgen. Das sei nur glaubwürdig, wenn beide Piloten links ein Glasauge | |
| hätten, teilte der Gutachter mit. Denn entweder würden beide Augen | |
| geblendet oder keines. Im Übrigen bezweifelte der Sachverständige | |
| grundsätzlich, dass der Strahl eines Disco-Lasers, wie er in der Wohnung | |
| des Angeklagten sichergestellt wurde, über eine Entfernung von 1.500 Metern | |
| die Hubschrauberbesatzung blenden und für mehrere Sekunden ihrer Sehkraft | |
| berauben konnte. Das mutmaßliche Corpus Delicti war ein handelsüblicher | |
| Disco-Laser, den man laut Verteidigung für 11 Euro legal bei Amazon | |
| bestellen kann. | |
| ## Verteidiger vermutet abgesprochene Aussagen | |
| Auffällig, ergänzt Verteidiger Bernd Wagner, sei das Aussageverhalten der | |
| Hubschrauberbesatzung gewesen. So habe Pilot M. in einer ersten Vernehmung | |
| zu Protokoll gegeben, es habe „keine konkrete Gefahr“ für den Hubschrauber | |
| bestanden und damit auch keine Notwendigkeit für ihn, das Steuer zu | |
| übergeben. In einer späteren Einlassung habe der Pilot dann gesagt, er sei | |
| bis zu 10 Sekunden geblendet worden, habe schlagartig an Höhe verloren, | |
| habe nichts mehr gesehen und habe das Steuer auch nicht an seinen Kollegen | |
| übergeben können. „Der Hamburger Copilot hat diese Angaben bis in die | |
| Details der Wortwahl wiederholt“, berichtet Wagner. Zum Beispiel habe er | |
| genau wie der Pilot ausgesagt, er sei nach der Laserattacke „matschig“ im | |
| Kopf gewesen. | |
| Im Hubschrauber flog noch ein dritter Polizist mit, dessen Aufgabe darin | |
| bestand, die Bordkamera zu bedienen. Der Beamte bestätigte vor Gericht die | |
| Schilderungen seiner beiden Kollegen. „Es kommt sehr selten vor, dass es | |
| der Verteidigung gelingt, den Wahrheitsgehalt von sich gegenseitig | |
| bestätigenden Aussagen dreier Polizisten zu erschüttern“, meint | |
| Strafverteidiger Wagner. | |
| Nach seiner Auffassung müsste die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen | |
| die drei Polizisten wegen Falschaussage vor Gericht einleiten. Das hat die | |
| Staatsanwaltschaft bislang nicht getan. „Ermittlungsverfahren gegen die | |
| beiden Piloten sind von Amts wegen bislang nicht eingeleitet worden. Eine | |
| abschließende Prüfung wird nach vollständiger Würdigung aller Beweismittel | |
| erfolgen“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Zu der „noch nicht | |
| abgeschlossenen Beweisaufnahme“ wolle die Staatsanwaltschaft im Übrigen | |
| keine Stellungnahme abgeben. Rechtsanwalt Bernd Wagner stellt der | |
| Staatsanwaltschaft ein Armutszeugnis aus. „Man stelle sich eine Frau vor, | |
| die behauptet, vergewaltigt worden zu sein,“ gibt er zu bedenken. “ Wenn so | |
| viele objektive Gegenbeweise auftauchen wie hier und sie sich so in | |
| Widersprüche verstricken würde wie die Polizisten, dann gäbe es sofort ein | |
| Verfahren wegen Falschbeschuldigung gegen diese Frau. Aber beim G20 scheint | |
| vieles anders zu sein.“ | |
| Den Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) erschüttern die neuen | |
| Erkenntnisse nicht. Bei einer Anhörung des G20-Sonderausschusses am 31. Mai | |
| wiederholte er die Behauptung, die Piloten seien „geblendet“ worden und der | |
| Fall sei „wirklich lebensgefährlich“ gewesen. Zu diesem Zeitpunkt lag der | |
| „rechtliche Hinweis“ des Amtsgerichts bereits vor. | |
| ## Nico B. könnte trotzdem verurteilt werden | |
| Die Staatsanwaltschaft will nach wie vor eine Verurteilung von Nico B. | |
| erreichen. Das Gericht hält zwar die Aussagen der Hubschrauberbesatzung für | |
| unglaubwürdig. Eine Verurteilung des Angeklagten sei, so heißt es in dem | |
| „rechtlichen Hinweis“, aber dennoch möglich. In Betracht kämen ein | |
| versuchter gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr und eine versuchte | |
| Körperverletzung. Grundlage hierfür wäre nicht mehr die von den Piloten | |
| behauptete „Blendung“, sondern das einige Momente später von der Bordkamera | |
| aufgezeichnete Geschehen. Während sich der Hubschrauber der Quelle der | |
| Laserstrahlen näherte, konnte der Bordkameramann erneuten „Laserbeschuss“ | |
| aufzeichnen. | |
| Die Verteidigung bestreitet diese von der Kamera dokumentierten | |
| „Anstrahlungen“ nicht. Allerdings hätten sie keine Relevanz, weil diese | |
| Strahlen „nur den metallenen Boden des Hubschraubers getroffen“ hätten, | |
| meint Rechtsanwalt Wagner. „Inzwischen wissen wir, dass es beim G20 | |
| Dutzende Fälle gab, in denen Menschen mit Laserpointern Polizeihubschrauber | |
| angestrahlt haben, ohne dass es zu Zwischenfällen kam. Zur Anklage wurde | |
| nur dieser eine Fall gebracht.“ | |
| An diesem Mittwoch sollen im Prozess gegen Nico B. die Plädoyers gehalten | |
| werden. | |
| 12 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Buchen | |
| ## TAGS | |
| G20-Prozesse | |
| Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
| Luftverkehr | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Laserpointer | |
| Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
| G20-Prozesse | |
| G20-Prozesse | |
| G20-Prozesse | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| G20-Prozesse | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| G20-Prozess nach Laserpointer-Einsatz: Mildes Urteil am Ende der Hysterie | |
| Ein 27-Jähriger, der während G20 einen Polizeihubschrauber per Laser | |
| attackiert haben soll, erhält eine kleine Bewährungsstrafe. | |
| Kommentar G20-Gerichtsurteil: Zweierlei Maß, geteiltes Recht | |
| Hamburgs Ankündigung, den Unrechtsstaaten dieser Welt zu zeigen, dass sich | |
| ein Gipfel auch rechtsstaatlich durchführen lässt, muss als gescheitert | |
| gelten. | |
| G20 vor Gericht: Polizeiangriff auf Persönlichkeitsrechte | |
| Das Hamburger Landgericht rügt den Verlauf von Ingewahrsamnahmen im Rahmen | |
| des G20-Gipfels in 24 Fällen als „rechtswidrig“. | |
| G20-Prozess um Laserpointer: „Ein Komplott der Polizei“ | |
| Staatsanwaltschaft fordert im G20-Laserpointer-Prozess Bewährungsstrafe, | |
| die Verteidiger plädieren dagegen auf Freispruch – und werfen der Polizei | |
| Lügen vor. | |
| G20-Aufarbeitung: Zur Jagd auf Italiener geblasen | |
| Erstmals urteilt ein Hamburger Gericht, das Vorgehen der Polizei während | |
| des G20 sei „grob rechtswidrig“ gewesen | |
| G20-Polizeigewalt nicht zu ermitteln: „Kein gezielter Wurf“ | |
| Unverhältnismäßige Polizeigewalt ist strukturell schwer aufzuklären. Das | |
| belegen die internen Ermittlungen der Hamburger Polizei nach G20. | |
| Nach Krawallen in Hamburg: Kampf um die Deutungshoheit | |
| Was geschah beim G20-Gipfel? Neun Monate nach der Gewalt in Hamburg meldet | |
| sich das autonome Zentrum Rote Flora zu Wort. |