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# taz.de -- G20-Prozess in Hamburg geplatzt: Corona bringt Prozess zu Fall
> Heranwachsende sollten sich für die bloße Teilnahme an einer
> G20-Demonstration verantworten. Nun ist das Rondenbarg-Verfahren
> geplatzt.
Bild: Bundesweit demonstrierten Linke ihre Solidarität mit den Angeklagten des…
Hamburg taz | Der Druck auf das Verfahren war denkbar hoch: ein
Pilotprozess gegen fünf Heranwachsende, die zum Tatzeitpunkt minderjährig
waren und sich dafür verantworten sollen, dass sie [1][auf einer
Demonstration gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg mitgelaufen] seien.
Einer Demo, aus der heraus Straftaten begangen wurden – allerdings nicht
von den Angeklagten selbst. Dem Prozess, der unter Ausschluss der
Öffentlichkeit stattfand, sollen noch vier weitere Verfahren folgen gegen
insgesamt fast 80 Menschen. Nun aber ist das Rondenbarg-Verfahren geplatzt.
Das Hamburger Landgericht begründet die Entscheidung mit der
Coronapandemie: Die anhaltend hohen Infektionszahlen, die neuen
Virusvarianten und der verlängerte Lockdown seien Bedingungen, unter denen
die Kammer es nicht für vertretbar hält, die Hauptverhandlung weiter
durchzuziehen, bestätigte der Gerichtssprecher Kai Wantzen.
Die Angeklagten und ihre Verteidiger*innen wohnen in Stuttgart,
Mannheim, Köln/Bonn und Halle und hätten mitten in Zeiten eingeschränkter
Mobilität einmal pro Woche durch die ganze Republik fahren müssen.
Allerdings hatte die Kammer die Termine schon seit Mitte Dezember
ausgesetzt. Bislang haben überhaupt erst zwei Termine stattgefunden.
Der Komplex Rondenbarg, der wohl die letzte Etappe der juristischen
Aufarbeitung des G20-Gipfels sein wird, trägt nicht nur deshalb eine große
politische Dimension in sich, weil hier einem großen Teil aller im Rahmen
der G20-Proteste Festgenommenen der Prozess gemacht werden soll. Mit dem
Urteil könnte der vorsitzende Richter der Jugendkammer Georg Halbach auch
Rechtsgeschichte schreiben.
## Psychische Beihilfe und ein gemeinsamer Tatplan
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf das Ansinnen, alle
Demoteilnehmer*innen für alle aus dem Aufzug verübten Straftaten zu
bestrafen. Wer einen Stein oder einen Böller warf und wer lediglich ein
paar Reihen dahinter stand, wäre nach dieser Auffassung egal: Alle hätten
demnach einen gemeinschaftlichen Tatplan verfolgt und mindestens psychische
Beihilfe geleistet; sie seien deshalb des schweren Landfriedensbruchs
schuldig, der versuchten gefährlichen Körperverletzung, Sachbeschädigungen
und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte.
Eine ähnliche Konstruktion hatte die Staatsanwaltschaft auch [2][schon im
G20-Verfahren um die Krawalle an der Elbchaussee bemüht]. Die Richterin
war dem aber nur in Teilen gefolgt. Anders als am Rondenbarg war dort ein
hoher Sachschaden aus dem Demozug heraus angerichtet worden.
In der Straße Rondenbarg im Stadtteil Bahrenfeld hingegen ging nichts zu
Bruch, außer den Knochen der Demonstrant*innen. Die bis dahin friedliche
Demo wurde plötzlich von zwei Seiten durch Polizeieinheiten mit
Wasserwerfern angegriffen, darunter die [3][als besonders brutal
berüchtigte Blumberger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit] der
Bundespolizei. 14 G20-Gegner*innen kamen ins Krankenhaus, die anderen
wurden festgenommen.
Die Verteidiger*innen der Rondenbarg-Angeklagten hatten von Anfang an
gefordert, die Hauptverhandlung wegen der Pandemie gar nicht erst zu
eröffnen. „Es war auch im Dezember schon Wahnsinn, junge Leute durch die
ganze Republik zu jagen, während die restliche Welt versucht, ihre
Mobilität einzuschränken“, sagt der Verteidiger Matthias Wisbar. Die Kammer
lehnte entsprechende Anträge jedoch ab.
Dass sie sich nun doch der Sicht der Verteidiger*innen anschließt, ist
aus Sicht der Betroffenen zwar vernünftig, aber kein Grund zu feiern.
Schließlich soll der Prozess weitergehen – irgendwann, wenn die
Pandemielage es zulässt. Laut der offiziellen Sprachregelung des Gerichts
wurde die Hauptverhandlung jetzt „einstweilen abgebrochen und auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben“. Allerdings muss dann wieder von vorn
begonnen und die Anklage neu verlesen werden.
## Der Zeitpunkt in der Pandemie sei nicht das einzig Skandalöse
„Die zermürbende Situation, dass dieses Verfahren über uns schwebt und uns
in unserer Lebensplanung stark einschränkt, bleibt“, sagt Yannik U., einer
der Betroffenen. Die Aussicht auf die Wiedereröffnung des Verfahrens im
Sommer oder Herbst stimmt ihn nicht gerade positiv: „Nach dem vierten
G20-Jahrestag alles wieder aufzurollen ist totaler Humbug“, sagt er. Die
lange Verzögerung könnte sich allerdings strafmildernd auswirken. Aus Sicht
von Yannik U. wäre das einzig Richtige, die Verfahren jetzt komplett
einzustellen.
So sieht es auch die [4][Rote Hilfe], die den Prozess unter anderem mit
Soli-Kundgebungen und [5][regelmäßigen Updates auf einem Blog] begleitet.
„Schon die Eröffnung des Gerichtsverfahrens im Dezember 2020, knapp
dreieinhalb Jahre nach dem G20-Gipfel, war unverhältnismäßig, da für
Jugendverfahren ein Beschleunigungsgrundsatz gilt“, sagt Anja Sommerfeld
vom Bundesvorstand der Organisation.
Doch der Zeitpunkt sei nicht das einzig Groteske und Skandalöse an dem
Verfahren. Die Anklage stelle auch die Ereignisse vom 7. Juli 2017 komplett
auf den Kopf: „Dort wurde eine legitime Demonstration von der Polizei
angegriffen, brutal zerschlagen und zahlreiche Demonstrierende verletzt“,
sagt Sommerfeld. Dass nun die Angegriffenen auf der Anklagebank sitzen,
während kein einziger Polizist wegen der Gewalt bei den G20-Protesten
angeklagt wurde, sei zynisch.
27 Jan 2021
## LINKS
[1] /G20-Prozess-in-Hamburg/!5731316
[2] /G20-Elbchaussee-Prozess-jetzt-oeffentlich/!5689867
[3] /Beruechtigte-deutsche-Polizeieinheit/!5285266
[4] https://www.rote-hilfe.de/
[5] https://rondenbarg-prozess.rote-hilfe.de/
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Repression
Versammlungsrecht
Justiz
Demonstration
G20-Prozesse
Sozialarbeit
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