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# taz.de -- Fußball-Krimi im Zeichen des Regenbogens: Herz und Elend
> Mit viel Glück kann sich die DFB-Elf gegen Ungarn für das Achtelfinale
> qualifizieren. Besonders ist das Spiel auch, weil es politisch aufgeladen
> ist.
Bild: Geste des Spiels: Leon Goretzka zeigt homophob aufgefallenen ungarischen …
Am Ende hatte die Liebe gewonnen. Das Herz, das Leon Goretzka den finsteren
Gesellen in der ungarischen Fankurve zeigte, nachdem er gerade das die
deutsche Fußballnation erlösende 2:2 erzielt hatte, knüpfte ein Band
zwischen den beiden großen Geschichten, die dieses Spiel geschrieben hat.
Gerade hatte der Mittelfeldspieler des FC Bayern München das Ausscheiden
der Deutschen in der Vorrunde der Europameisterschaft durch seinen Treffer
kurz vor Schluss der Partie verhindert, da erinnerte er noch einmal
eindrucksvoll daran, [1][dass dieses Spiel im Zeichen des Regenbogens
gestanden hatte].
Das Herz, das er ausgerechnet jenen zeigte, die den ganzen Tag lang
versucht hatten, durch ihr martialisches Auftreten, durch ihre Sprüche und
ihre Drohgebärden München in Angst und Schrecken zu versetzen, war der
versöhnliche Höhepunkt eines aufreibenden Tages. Das war so dramatisch, so
kitschig fast, dass man glatt hätte vergessen können, wie elend der
Auftritt der deutschen Mannschaft lange Zeit war.
Die hatte sich gewiss einiges vorgenommen und sinnierte am Nachmittag vor
dem Anpfiff über den Matchplan gegen Ungarns weit hinten verteidigende
Fünferkette, als sich im eigentlich so friedlichen und wohlstandsgrünen
Münchner Stadtteil Haidhausen die ungarischen Fans versammelten, vor denen
vor dem Spiel so sehr gewarnt worden war. Wie sie darauf reagieren würden,
dass sich Deutschland an diesem Tag selbst zur Regenbogennation erklärt
hat, war eine der spannendsten Fragen des Tages.
Im Biergarten des Hofbräukellers am Wiener Platz lief so manche Mass Bier
durch die Kehlen der ungarischen Fans in ihren schwarzen T-Shirt-Uniformen.
Wackere Aktivistinnen hatten sich vor dem Biergarten postiert und zeigten
die Regenbogenfarben. Ein Großaufgebot der Polizei war nötig, um ihnen zu
signalisieren, dass ihnen nichts passieren würde.
“Viktor! Viktor! Viktor!“, skandierten sie, als sie sich formierten, um
sich auf den Weg ins Stadion zu machen. Rote und grüne Feuertöpfe sorgten
für eine Atmosphäre, wie sie der Wiener Platz, wo sich sonst gut und teuer
gekleidete Münchnerinnen und Münchner zum unvermeidlichen Aperol Sprizz
nach Feierabend versammeln, vielleicht noch nie gesehen hat. Dass die
ungarischen Fans das politische Spiel angenommen haben, das lief, seit
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter die Uefa aufgefordert hatte, die
EM-Arena in den Regenbogenfarben als Protest gegen die homofeindliche
Gesetzgebung Ungarns erstrahlen zu lassen, war schnell zu erkennen. Die
Stadt München beflaggte das Rathaus mit Regenbogenfahnen, überall in der
Innenstadt wurden bunte Winkelemente verteilt und sorgten für eine nie
dagewesene Spieltagsstimmung in München.
## „Deutschland, Deutschland, homosexuell“
“Deutschland – Pussy!“, riefen die wilden Männer, von denen nicht wenige
T-Shirts mit dem Aufdruck “Hooligan“ trugen. Sie posierten noch einmal
besonders aggressiv, bevor sie von der Polizei in die Busse verfrachtet
wurden, mit denen man sie zum Stadion transportierte. “Deutschland,
Deutschland, homosexuell!“, auch das riefen einige ungarische Fans und
zeigten Stinkefinger in Richtung Polizei und natürlich den Dutzend
Aufrechten, die mit Regenbogensonnenschirmchen oder bunten Fähnchen
winkten. Dass die Polizei die Aktivistinnen aufgefordert hat, den Platz zu
verlassen, weil man nicht für ihre Sicherheit sorgen könne, gehört zu den
Tiefpunkten dieses Nachmittags.
Was das mit dem Spiel zu tun hat, das sich später entwickeln sollte, lässt
sich nur schwer sagen. Auf jeden Fall haben alle Mitwirkenden an diesem
Abend mehr als nur gespürt, dass da eine ganz besondere Spannung in der
Luft lag. Die vielen Regenbogenfähnchen, die die Organisator:innen
der Münchner Pride Week auf den geschwungenen Wegen von der U-Bahn zur
Arena verteilt haben, sorgten für eine in Fußballstadien selten gesehene
Farbmischung. Die biedersten Schlandianer liefen mit FFP2-Maske in den
Regenbogenfarben zum Stadion.
Die ungarischen Problemfans, die nicht über diese Pride-Meile ins Stadion
geleitet wurden, sondern auf einem anderen Weg direkt in ihre Kurve,
wandten dem Spielfeld den Rücken zu, als die deutsche Hymne erklang.
Während der ungarischen Hymne lief ein Zuschauer im deutschen Trikot eine
Regenbogenfahne schwenkend auf das Spielfeld und posierte sich vor denen,
die am wenigsten zur politisierten Stimmung vor dieser Partie beigetragen
hatte, den ungarischen Spielern. Der Applaus der meisten deutschen Fans war
ihm gewiss.
Vielleicht konnte das Spiel nicht wirklich normal werden vor diesem irren
Hintergrund. Was sich da dann auf dem Rasen abspielte, war wirklich
verrückt. “Es war eines der schwierigsten Spiele überhaupt“, meinte
Bundestrainer Joachim Löw nach dem Spiel sichtlich erleichtert. Ein paar
Minütchen haben den Ungarn zum Sieg gefehlt. Es hätte das Vorrundenaus für
die Deutschen bedeutet. Jetzt stehen sie im Achtelfinale und spielen am
Dienstag in London gegen England. Die Deutschen hoffen nun, dass sie dann
vielleicht wieder ins Fußballspielen kommen. Das ist ihnen gegen Ungarn
selten gelungen. Gegen spielstarke Gegner, meinte Manuel Neuer nach dem
Spiel, falle das der Mannschaft leichter. “Wembley liegt uns“, meinte er
noch.
Ob er wirklich glaubt, dass die Deutschen da eine Chance haben? Die
Defensive der Deutschen gibt da wenig Anlass zur Hoffnung. Bei der Führung
der Ungarn durch Ádám Szallai liefen die deutschen Abwehrspieler so
volgelwild über den Platz, als hätten sie keinen blassen Dunst, wohin sich
Ball und Gegner bewegen könnten. Das 2:1 der Ungarn durch András Schäfer
nach dem Ausgleich der Deutschen durch Kai Havertz kann man getrost als
absurd bezeichnen. Nicht ganz so absurd, wie die vielen taktischen
Umstellungen, die Löw in der zweiten Hälfte vorgenommen hat. Irgendetwas
musste er ja machen, so ungefährlich wie seinen Mannen den Ball um den
ungarischen Strafraum herumgespielt haben, meist ohne jede Gefahr.
Das defensive Mittelfeld mit Toni Kroos und Ilkay Gündogan entwickelte
keinerlei Kreativität. Robin Gosens, der nach dem Spiel gegen Portugal so
gefeiert worden war, als hätte er beim 4:2 allein auf dem Platz gestanden,
hatte einen persönlichen Begleitschutz. Einen solchen wollte Leroy Sané,
der für den angeschlagenen Thomas Müller aufgeboten worden war, immer
wieder durch Dribblings abschütteln, was fast nie gelang. Es war ein
Trauerspiel, das Löw zu beenden versuchte, indem er die halbe Mannschaft
auswechselte. Goretzka kam für Gündogan, Timo Werner für Kai Havertz,
Thomas Müller dann doch für Serge Gnabry, der blutjunge Jamal Musiala, der
erst seit Februar volljährig ist, für Gosens und Kevin Volland für Matthias
Ginter. Irgendwie sollte noch ein Tor fallen. Und irgendwie fiel es dann
auch.
Und mit dem Tor kam die Liebe. “Spread love!“, lautet die Botschaft, die
Leon Goretzka nach dem Spiel [2][via Instagram verbreitet hat], natürlich
mit den Regenbogenfarben. Da hatte sich München lange schon wieder
beruhigt. Die ungarischen Fans waren relativ geräuschlos abgezogen. 1.500
Polizeibeamte hatten dafür gesorgt, dass nichts passiert. Liebe unter
Polizeischutz.
24 Jun 2021
## LINKS
[1] /Toleranz-im-Sport/!5777618
[2] https://www.instagram.com/p/CQej7sRB6CQ/
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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