| # taz.de -- Fotoserie „Zeitungsleser:innen“: Ein Display aus Papier und Tin… | |
| > Der Fotojournalist Eddy Posthuma de Boer fotografierte über Jahrzehnte | |
| > Menschen beim Zeitungslesen. Das Museum für Kommunikation zeigt die | |
| > Serie. | |
| Bild: Nicht viel los, Zeit zum Zeitunglesen: Ein thailändischer Verkäufer in … | |
| Berlin taz | Das Smartphone ist im öffentlichen Raum allgegenwärtig. Ob in | |
| der U-Bahn, beim Warten, beim Essen, beim Gehen oder sogar in der Kneipe – | |
| überall sind Menschen in ihre Handydisplays vertieft, mit Kopfhörern im Ohr | |
| perfekt abgekapselt von der Außenwelt. Ach, wie schön war es [1][im | |
| analogen Zeitalter], als Menschen ausgelassen in den Öffis plauderten und | |
| ständig neue Freundschaften an der Bushaltestelle schließen. Oder? | |
| Die Foto-Ausstellung „Zeitungsleser:innen“, die ab Mittwoch im Museum für | |
| Kommunikation zu sehen ist, zeigt: Das Bedürfnis, sich im Trubel der | |
| Großstadt für einige Minuten in eine andere, medienvermittelte Welt | |
| zurückzuziehen, gab es schon lange vor dem Smartphone. Drei Männer warten | |
| an einer Bushaltestelle; obwohl sie dicht beieinanderstehen, nehmen sie | |
| kaum Notiz voneinander und sind völlig in ihre Zeitungen vertieft. Diese | |
| 1985 in Westberlin aufgenommen Szene könnte auch von heute sein, wenn man | |
| die Zeitungen durch Smartphones ersetzen würde. | |
| Rund 80 Fotografien des 2021 verstorbenen niederländischen Fotojournalisten | |
| Eddy Posthuma de Boer stellt das Museum in Mitte noch bis zum Januar aus. | |
| Über die Jahrzehnte fotografierte Posthuma de Boer Menschen beim | |
| Zeitunglesen. Die über fast alle Kontinente hinweg entstandenen Aufnahmen | |
| zeichnen ein gefühlvolles Bild [2][einer heute stark an Bedeutung | |
| verlierenden Medienpraktik.] | |
| Beim Betrachten der Bilder wird deutlich, warum das Smartphone die | |
| gedruckte Zeitung so einfach ersetzten konnte. Taxifahrer in New York, die | |
| mit geöffneter Fahrertür zeitunglesend auf Kunden warten. Ein Gondoliere in | |
| Venedig, der sich langgefläzt in seinem Boot eine Pause gönnt. Ein | |
| Geschäftsmann, der in einem verlassenen Fahrgeschäft hockend auf dem Dach | |
| eines Tokioter Hochhauses vermutlich dem Stress des Alltags entfliehen | |
| will, indem er ein paar Seiten durchblättert: Kurze, leicht verdauliche | |
| Informationshappen, die sich auch in eine Raucherpause quetschen lassen, | |
| und die allgegenwärtige Verfügbarkeit sind Qualitäten, mit der die | |
| Tageszeitung schon im Analogen hervorstach und die nun vom Smartphone | |
| perfektioniert wurden. | |
| ## Zeitunglesen war männlich | |
| Doch das Zeitungslesen, auch das wird in der Ausstellung deutlich, hat ganz | |
| eine ganz eigene soziale Dimension. Es sind bis auf wenige Ausnahmen | |
| Männer, die Posthuma de Boer abgelichtet hat. Kein Zufall, denn zum | |
| Selbstbild des modernen Mannes gehört, über das politische Tagesgeschehen | |
| informiert zu sein. Wer am Stammtisch mitreden will, muss Zeitung lesen. | |
| Wer Zeitung liest, zeigt anderen, dass er mitreden kann. | |
| Frauen hingegen mussten damals mehr noch als heute [3][den überwiegenden | |
| Teil der Sorgearbeit, wie Kindererziehung oder Hausarbeit übernehmen.] Für | |
| eine genüssliche Zeitungspause bleibt da häufig keine Zeit. Eine Aufnahme | |
| aus einem thailändischen Ladengeschäft aus den 1980er Jahren verdeutlicht | |
| diese Ungerechtigkeit: Während der Mann in die Lektüre vertieft ist, stillt | |
| die Frau das Baby. | |
| Ob dem öffentlichen Zeitungslesen nachzutrauern ist, bleibt dabei jedem | |
| selbst zu überlassen. Wer weiß, vielleicht sehen wir in 30 Jahren eine | |
| Ausstellung über Smartphone-Zombies in U-Bahnen. | |
| „Zeitungsleser:innen“, Ausstellung im Museum für Kommunikation, Leipziger | |
| Straße 16. | |
| 22 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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