# taz.de -- Fossile vs. grüne Inflation: Ökowende treibt Preise kaum | |
> Vor der russischen Invasion diskutierten Volkswirt:innen über eine | |
> „grüne Inflation“. Doch die fossilen Energien sind das eigentliche | |
> Problem. | |
Bild: Seit der russischen Invasion sind die Benzinpreise stark gestiegen | |
Greenflation versus Fossilflation – worum geht es? | |
Ihren Höhepunkt erreichte die Debatte Mitte Februar. Die hohen | |
Inflationsraten hatten die Öffentlichkeit alarmiert, | |
Wirtschaftsforscher:innen und Politiker:innen suchten | |
Erklärungen. Populär wurde der Begriff „grüne Inflation“ und mehr noch d… | |
entsprechende englische Kofferwort [1][„Greenflation“]. Damit gemeint ist, | |
dass die sozial-ökologische Transformation – neben den bekannten Effekten | |
aus der Pandemiebekämpfung und den Lieferengpässen – für einen wesentlichen | |
Teil der Teuerung verantwortlich sein soll. „Das wird ein gewaltiger | |
Kostentreiber für die Wirtschaft und befeuert die Inflation“, machte etwa | |
Hans Werner Sinn Stimmung, Ex- Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts | |
Ifo. Ruchir Sharma, Chefanalyst der US-Investmentbank Morgan Stanley, | |
sprach sogar vom [2][„Entgleisen der Klimapolitik“]. | |
Dagegen verwehrte sich etwa Marcel Fratzscher. Der Präsident des Deutschen | |
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte: „Der Klimawandel an sich | |
und auch durch ihn ausgelöste Handelskonflikte stellen die größte Bedrohung | |
für die Preisstabilität dar.“ Mauricio Vargas, Finanzexperte der | |
Umweltorganisation Greenpeace, erklärte: „Grüne Technologien spielen nur | |
eine ganz marginale Rolle bei der Preisbildung, das wahre Problem sind die | |
fossilen Energieträger und unsere Abhängigkeit davon.“ Statt von einer | |
„grünen“ müsse man von einer „fossilen Inflation, einer Fossilflation,�… | |
sprechen. Energieexpertin Claudia Kemfert vom DIW geht so weit zu sagen: | |
„Investitionen ins Energiesparen senken Energiekosten. Die Kosten für neue | |
Technologien wie Elektromobilität sinken kontinuierlich; sie wirken also | |
nicht inflationär, sondern allesamt deflationär.“ | |
Was sind die Fakten? | |
Wenn es um die „grüne Inflation“ geht, werden in der Regel zwei Faktoren | |
genannt: steigende Preise für bestimmte Rohstoffe und der CO2-Preis auf | |
fossile Energieträger. Tatsächlich werden für den Ausbau der Erneuerbaren | |
Energie, für Digitalisierungsmaßnahmen und E-Mobilität diverse Mineralien | |
und Seltene Erden gebraucht, die schon jetzt teuer sind und bei steigender | |
Nachfrage noch teurer werden. Es geht um Kobalt und Lithium für die | |
Batterieproduktion oder Platin und Iridium für die Herstellung von | |
Wasserstoff. Die [3][Boston Consulting Group hat in einer Studie | |
untersucht, welche Preiseffekte ihr Einsatz in acht besonders | |
rohstoffintensiven Branchen hat]: Sie sind überschaubar. Ein Auto etwa, das | |
aus grünem Stahl hergestellt wird, ist nur 2 Prozent teurer als eins aus | |
herkömmlichem Stahl. Eine große Unwägbarkeit sind aber geopolitische | |
Entwicklungen, die den Zugang zu den Rohstoffen erschweren oder verteuern | |
können. | |
Einfacher verhält es sich mit dem CO2-Preis. 2021 kostete der Ausstoß einer | |
Tonne CO2 25 Euro, aktuell 30 Euro, bis 2025 steigt der Preis schrittweise | |
weiter, dann wird neu entschieden. Laut einer [4][Studie der KfW Research] | |
trug der CO2-Preis 2021 direkt 0,63 Prozentpunkte zur allgemeinen | |
Inflationsrate bei, für die Jahre bis 2027 rechnen die Autor:innen mit | |
einem kumulierten Anteil von 1,49 Prozentpunkten. Nicht eingerechnet ist | |
dabei, dass der CO2-Preis ja auch wirkt, also etwa weniger klimaschädliche | |
Produkte konsumiert und weniger in entsprechende Anlagen investiert wird: | |
Inklusive solcher Rückkopplungseffekte, so die Autor:innen, dürfte der | |
Aufschlag die Teuerungsrate laut KfW bis 2027 lediglich um 0,15 | |
Prozentpunkte erhöhen. | |
Welchen Einfluss hat der russische Angriff auf die Ukraine auf die Debatte? | |
Seit dem 24. Februar sind die „Greenflation“-Warner sehr ruhig geworden. | |
Denn jetzt zeigt sich, dass das eigentliche Problem die Abhängigkeit von | |
den fossilen Energien ist – und das nicht nur wegen ihrer | |
Klimaschädlichkeit. Weil die alte Bundesregierung die Energiewende so wenig | |
ambitioniert umgesetzt hat, dass Deutschland weiterhin Öl und Gas | |
importieren muss, können die wenigen Lieferanten – wie Russland – nun die | |
Preise quasi diktieren. Schon 2021 hatte sich der Gaspreis vervierfacht, in | |
der Folge stiegen die Börsenstrompreise, der Einsatz von teurem Kohlestrom | |
wurde attraktiver – und das trieb dann wieder den Preis für | |
CO2-Emissionsrechte nach oben. | |
Da der Krieg und die Sanktionen gegen Russland noch andere Verwerfungen mit | |
sich bringen, fürchten nicht wenige Ökonom:innen nun sogar eine | |
[5][Stagflation], also eine hohe Inflation mit gleichzeitiger Rezession – | |
eine womöglich lange andauernde Situation mit vielen Firmenpleiten und | |
Arbeitslosen. Wie schlimm es wird, hängt vom Fortgang des Krieges und den | |
weiteren Sanktionen ab. Einige Ökonom:innen rechnen mit einer 7 vor dem | |
Komma. | |
Bei einem vollständigen Öl- und Gasimportstopp aus Russland, warnen | |
Wirtschaftsverbände wie Gesamtmetall, könne die Inflationsrate sogar | |
zweistellig werden. Rudolf Hickel, einer der Gründer der Gruppe Alternative | |
Wirtschaftspolitik, sagt: „Jetzt haben wir ein Problem, das alle anderen in | |
den Hintergrund drängt.“ Auch Greenpeace-Finanzexperte Vargas findet: „Die | |
fossile Inflation zeigt ihre hässliche Fratze und wir sind ihr | |
ausgeliefert.“ Er plädiert jedoch dafür, die derzeit so offensichtliche | |
Erkenntnis, dass die fossile Abhängigkeit weder für das Klima noch für die | |
Versorgungssicherheit gut ist, zu nutzen. „Wir müssen jetzt den Umbau mit | |
Vehemenz vorantreiben und auf keinen Fall den Braunkohlebergbau oder | |
Atomkraftwerke wieder hochfahren.“ | |
Welche Vorschläge gibt es, um die Inflation in den Griff zu bekommen? | |
Monetaristen wie Ex-Ifo-Chef Sinn weisen in Richtung der Europäischen | |
Zentralbank als Hüterin der Preisstabilität. Sie fordern ein schnelles Ende | |
der lockeren Geld- und Niedrigzinspolitik, mit der die EZB die Wirtschaft | |
zuletzt in der Euro- und anschließend der Pandemiekrise unterstützt hat. | |
Genau davor warnen aber eher keynesianisch orientierte Ökonomen wie Hickel. | |
„Die EZB kann nichts gegen die Teuerung tun“, sagt er. „Sie kann die | |
Inflation nur über die Geldmenge steuern – wir haben aber aktuell nicht das | |
Problem, dass zu viel Geld unterwegs ist, wir haben eine kosteninduzierte | |
Inflation.“ | |
Eine Kehrtwende in der Zinspolitik würde also hier nichts helfen, dafür | |
aber die Konjunktur abwürgen. Die EZB habe schon „genau das richtige | |
gemacht“, findet Greenpeace-Experte Vargas: Indem sie angekündigt habe, | |
dass sie die Anleiheaufkaufprogramme langsam auslaufen lassen werde, habe | |
sie signalisiert, „dass sie bereit ist, etwas für die | |
Preiswertstabilisierung zu tun“. Wie Hickel hält er es jedoch für wichtig, | |
dass die EZB sich weiterhin in Richtung grüne Geldpolitik orientiere. „Beim | |
Kauf von Firmenanleihen sollte sie klimafeindliche Unternehmen | |
diskriminieren“, sagt Vargas. „Sinnvoll sind auch Risikoabschläge bei der | |
Refinanzierung von klimaschädlichen Konzernen.“ | |
Welche Rolle kommt der Finanz- und Steuerpolitik zu? | |
Von der Bundesregierung hängt nun viel ab: Sie kann die sozialen Kosten der | |
steigenden Preise abfedern. Dazu liegen eine Reihe Vorschläge auf dem | |
Tisch. Teils würden sie am meisten diejenigen entlasten, die besonders viel | |
konsumieren – wie eine Spritpreisdeckelung, eine höhere Pendlerpauschale | |
oder eine Mehrwertsteuersenkung. Teils sollen sie vor allem Menschen | |
unterstützen, die ohnehin wenig Geld haben, wie eine an Wohngeld gekoppelte | |
Energiezulage. Und teils geht es darum, mit Pro-Kopf-Prämien alle | |
gleichermaßen zu entlasten. | |
„Vor allem Preissubventionen wie der Tankrabatt oder eine Senkung der | |
Mineralölsteuer ändern jedoch nicht das Energiesystem und sind deshalb | |
zumindest nicht nachhaltig, im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv“, | |
sagt Greenpeace-Experte Vargas. „Dann nämlich, wenn ein hoher | |
Energieverbrauch belohnt wird.“ Er wünscht sich deshalb „einen echten | |
Booster für die Energiewende“, nachdem der Großteil der von | |
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich versprochenen | |
„[6][200 Milliarden Euro für das Klima“ tatsächlich keine neuen, sondern | |
bereits für den sozial-ökologischen Umbau eingeplante Mittel] waren. | |
Vargas warnt davor, sich vom Umstieg von russischem auf US-amerikanisches | |
Frackinggas zu viel zu versprechen: „Systematisch ändert das nichts. Es ist | |
immer noch klimaschädliche Energie und die Abhängigkeit bleibt – was ist | |
zum Beispiel, wenn sich Fracking durch entsprechenden politischen Willen | |
ernsthaft verteuert?“, sagt Vargas. „Wir sollten also nicht kopflos | |
Kapazitäten und Strukturen aufbauen, die in 5 Jahren wieder überflüssig | |
sind, wo dann aber ein Rückbau extrem schwer durchzusetzen ist.“ Wie auch | |
DIW-Ökonomin Kemfert empfiehlt er, die Energiewende zu beschleunigen – und | |
gleichzeitig Energie zu sparen. | |
26 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2022/html/ecb.sp220317_2~dbb3582f0… | |
[2] https://www.rnd.de/politik/klima-rohstoffe-fuer-energiewende-werden-knapp-g… | |
[3] https://www.bcg.com/press/21january2021-supply-chain-decarbonization-offers… | |
[4] https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente… | |
[5] /Archiv-Suche/!5838170&s=Stagflation&SuchRahmen=Print/ | |
[6] /Klimaschutzplaene-der-Ampel-Koalition/!5839675 | |
## AUTOREN | |
Beate Willms | |
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