Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bei Energieimport-Stopp aus Russland: Warnung vor Einbruch wie 2020
> Ökonom:innen streiten noch über die Auswirkungen eines möglichen
> Lieferstopps russischer Energie. Einige warnen vor größeren Verwerfungen
> als 2020.
Bild: Gasspeicher wie dieser dürften leer stehen, sollte kein Gas mehr aus Rus…
Berlin taz | Die vergangenen zwei Jahre der Coronapandemie haben gezeigt,
wie sich eine tiefe Wirtschaftskrise bewältigen lässt. 2020 brach das
Bruttoinlandsprodukt um 5 Prozent ein. Über solche Größen reden
Ökonom:innen auch jetzt wieder. Welchen Schaden würden die hiesigen
Firmen, Beschäftigten und Privathaushalte erleiden, falls Russland kein Gas
mehr liefert, [1][weil der Westen nicht in Rubel zahlen will] – oder falls
die Bundesregierung doch noch ein Import-Embargo als Sanktion einsetzt?
Die Wirtschaftsforschung diskutiert hin und her. Eine Seite, unter anderem
Moritz Schularick von der Universität Bonn, sagt, der Energieboykott sei
„handhabbar“. Die Wirtschaft breche dann vielleicht um 3 Prozent pro Jahr
ein. Die andere Seite, unter anderem Sebastian Dullien vom Institut für
Makroökonomie in Düsseldorf, warnt vor einer Verharmlosung der Folgen.
Die Debatte findet auch auf politischer Ebene statt. Etwa Norbert Röttgen
(CDU) fordert eine härtere Gangart gegenüber der russischen Regierung.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) prognostiziert dagegen Schäden
„schwersten Ausmaßes“, wenn man die russischen Energielieferungen schnell
kappe.
Aber kann die Politik in dieser Diskussion nicht Schlüsse aus der
Coronakrise ziehen? Im April 2020 waren sechs Millionen Beschäftigte – ein
Siebtel aller Arbeitnehmer – in Kurzarbeit. Trotzdem stürzte das Land nicht
in die Katastrophe, denn die Bundesregierung übernahm die Verluste. Im
Prinzip kamen die ausgefallenen Löhne damals von der Bundesagentur für
Arbeit. Das kostete 2020 und 2021 etwa 46 Milliarden Euro. Vielen
Unternehmen ersetzte der Staat ebenfalls einen Teil ihrer Einnahmen, um sie
am Leben zu halten.
## Kurzarbeit wie 2020 wäre eine Lösung
Eine ähnliche Reaktion würde vermutlich in diesem Jahr auf eine große
Energiekrise folgen. Sollten beispielsweise sechs Millionen Beschäftigte
faktisch arbeitslos werden und die Bundesagentur ihre Gehälter im Rahmen
der Kurzarbeiter-Regelung weiterzahlen, beliefen sich die jährlichen Kosten
auf eine vergleichbare Größenordnung wie in der Coronakrise. Hinzu kämen
weitere Entlastungen zugunsten von Privathaushalten und Firmen angesichts
zusätzlich steigender Energiepreise. Unter dem Strich liefe das vielleicht
auf 100 bis 150 Milliarden Euro zusätzlicher Staatsschulden pro Jahr
hinaus.
Das mag erschreckend klingen, ist gesetzlich aber möglich und stellt nicht
die Stabilität der Staatsfinanzen infrage. Zum Vergleich: Im laufenden Jahr
will die Ampel-Koalition sowieso neue Kredite von 200 Milliarden Euro
aufnehmen. Geht es also eigentlich nur um zusätzliche Staatsschulden, mit
denen sich der Energieboykott gegenüber Russland erkaufen und abfedern
ließe?
„Eher nein“, sagt Andreas Fischer vom Institut der deutschen Wirtschaft
(IW) in Köln. „Einerseits kann es einige Jahre dauern, bis wir die
[2][Lücke beim Import von Erdgas] schließen.“ Ähnlich wie die
Bundesregierung geht Fischer von einer Übergangszeit von mindestens zwei
Jahren aus, die überbrückt werden müssten.
Zweitens hält der Ökonom „die potenziellen Folgen eines Energieboykotts für
gravierender als die der Coronakrise“. [3][Außer der
Veranstaltungswirtschaft] mit einer Million Jobs war während der
vergangenen zwei Jahre keine Branche komplett und dauerhaft geschlossen.
## Erdgas ist auch Rohstoff
Dagegen warnt nun Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft
Bergbau, Chemie, Energie, dass etwa die gesamte Produktion bei
Chemiekonzern BASF und zahlreichen weiteren Firmen in Ludwigshafen
„runtergefahren“ würde, sollte kein Erdgas mehr kommen. Das könnte
„Hunderttausende Arbeitsplätze kosten“, so Vassiliadis.
Das liegt daran, dass Gas nicht nur der Gewinnung von Energie, sondern auch
als Rohstoff dient. „Es dient als Energie für die Wärmerzeugung, aber auch
als Grundstoff für die Produktion, etwa von Ammoniak in der
Düngerherstellung“, erklärt Ökonom Fischer. So könnten zahlreiche
Unternehmen nicht mehr arbeiten, wenn die Vorprodukte fehlen. Allein die
Chemie-, Ernährungs- und Metallindustrien kommen zusammen auf zwei
Millionen Arbeitsplätze. Belastbare Schätzungen, wie viele Jobs in der
Energiekrise gefährdet wären, gibt es jedoch noch nicht.
30 Mar 2022
## LINKS
[1] /Putin-will-Gas-in-Rubel-bezahlt-kriegen/!5843921
[2] /LNG-Vereinbarung-zwischen-EU-und-USA/!5844407
[3] /Corona-und-die-Berliner-Restaurants/!5827520
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Boykott
Erdgas
Erdöl
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
fossile Energien
Kostenloser Nahverkehr
LNG
Schwerpunkt Fridays For Future
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vorbereitungen auf Gasknappheit: Europas Kippmoment ist da
Nun ist klar: Das Gas reicht in Deutschland nicht mehr für alle Zwecke aus.
Energie wird zwar nicht versiegen – aber deutlich teurer werden.
Energieexperte Halver über Gasstopp: „Politisch lange sehr blauäugig“
Der Energieexperte Robert Halver warnt vor langfristigen Schäden für die
Industrie. Es könne zum Exodus deutscher Firmen kommen.
9 Euro ÖPNV-Fahrkarte der Ampelregierung: Neues Ticket womöglich schon im Mai
Das von der Bundesregierung angekündigte 9-Euro-Monatsticket für den ÖPNV
soll bald kommen. Viele Details sind aber noch unklar.
Mindestens drei neue Flüssiggasterminals: Habeck setzt auf LNG
Wegen der hohen Abhängigkeit von russischem Gas sollen mindestens drei der
umstrittenen Terminals für Flüssiggas gebaut werden.
Fossile vs. grüne Inflation: Ökowende treibt Preise kaum
Vor der russischen Invasion diskutierten Volkswirt:innen über eine
„grüne Inflation“. Doch die fossilen Energien sind das eigentliche Problem.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.