# taz.de -- Forscherin über Klimakrise und Rassismus: „Nicht alle sitzen im … | |
> In der Klimakrise spiegeln sich Ungerechtigkeiten wie Rassismus, sagt die | |
> Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen. Darauf müsse die Bewegung reagieren. | |
Bild: Nach Überschwemmungen transportieren Menschen in Kenia ihren Hausrat auf… | |
taz: Frau Ituen, Sie haben mal gesagt, Fridays for Future habe die | |
nördliche Perspektive schon im Namen. Wieso? | |
Imeh Ituen: Der Name verweist auf die Zukunft. Er lässt die Klimakrise wie | |
ein Problem aussehen, das vor allem jüngere Menschen oder kommende | |
Generationen betrifft. Das blendet aus, dass Menschen im globalen Süden | |
seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben. Das hat | |
hier im Norden noch nicht wirklich Gehör gefunden und das spiegelt sich | |
auch in diesem Begriff „for Future“ wider. | |
Die Klimaaktivistin Tonny Nowshin hat kürzlich in einem [1][Gastbeitrag in | |
der taz] angeprangert, dass die deutsche Klimabewegung die Perspektiven von | |
Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) oft nicht richtig ernst | |
nehme. Sehen Sie das auch so? | |
Ja, aber das ist auch nicht überraschend. Die Klimabewegung hier ist | |
überwiegend weiß – warum sollte diese Zusammensetzung nicht zu denselben | |
Problemen führen wie im Rest der Gesellschaft auch? | |
Wichtig ist, dass das in der Bewegung immer mehr anerkannt wird. Ich sehe | |
da Fortschritte, allerdings erlebe ich auch immer wieder Enttäuschungen. | |
Ich werde zum Beispiel oft gebeten, erst mal zu erklären, ob es Rassismus | |
in der Klimabewegung überhaupt gibt, und wenn dem so sei, was die Schritte | |
zu einer Klimabewegung ohne Rassismus sind. | |
Sie sollen also die Komplettlösung präsentieren. | |
Genau, dabei habe ich natürlich nicht alle Antworten parat. Wie auch? Es | |
geht hier um eine Alternative zu einem System, das sich über Jahrhunderte | |
entwickelt hat. Hinter dieser Diskussion steht häufig der Gedanke: Wir | |
kämpfen doch schon gegen die Klimakrise, manchmal auch ein bisschen gegen | |
den Kapitalismus – und jetzt sollen wir auch noch den Rassismus abschaffen? | |
In der Klimakrise spiegeln sich aber nun mal alle Ungerechtigkeiten, die es | |
sonst auch gibt: Rassismus, aber zum Beispiel auch Sexismus. Deswegen ist | |
es so spannend, für Klimaschutz und vor allem Klimagerechtigkeit zu | |
kämpfen. Das richtet sich gegen alle Dimensionen von Unterdrückung. | |
Letztendlich hängt das alles zusammen und muss intersektional gedacht | |
werden. | |
Es ist zum geflügelten Wort geworden, dass beim Klimawandel alle im selben | |
Boot säßen, weil niemand nicht betroffen sein wird. Stimmt das nicht? | |
Ich finde, das Bild passt nicht. Es ist doch so, dass die reichen Länder | |
des Nordens die Klimakrise größtenteils verursacht haben, die | |
Hauptleidtragenden leben aber im Süden. | |
Ich saß neulich auf einem Podium. Dort fiel der Vergleich, wir säßen schon | |
alle in einem Boot, aber das Boot habe halt verschiedene Etagen. Die ganz | |
unten haben schlechtere Chancen, wenn das Boot sinkt. Aber selbst dieses | |
Boot kann ich mir nicht vorstellen. Wie viele Stockwerke soll das denn | |
haben? Nein, das Bild passt nicht, auf dieser Welt sitzen nicht alle im | |
selben Boot. | |
Früher haben die Vereinten Nationen deshalb beim Klimaschutz ganz strikt in | |
Entwicklungs- und Industrieländer unterschieden, nur Letztere waren zum | |
Klimaschutz verpflichtet. Mit dem Paris-Abkommen hat sich das geändert. Da | |
die Emissionen weltweit auf null fallen müssen, ist das doch grundsätzlich | |
sinnvoll, oder? | |
Ich glaube aber schon, dass das ein bewusstes Bestreben des globalen | |
Nordens war, um die eigene Verantwortung zu verschleiern. Das Prinzip der | |
„Common but differentiated responsibilities“ (zu deutsch „gemeinsame, aber | |
jeweils unterschiedliche Verantwortung“, Anmerkung der Redaktion) [2][ist | |
total verschwommen]. Alle dürfen selbst festlegen, was sie leisten wollen. | |
Der Weltklimarat IPCC hat errechnet, wie viel Treibhausgas die Menschheit | |
noch ausstoßen kann, wenn die Erde sich um höchstens 1,5 oder 2 Grad | |
gegenüber vorindustriellen Zeiten aufheizen soll. Das sind ja die Ziele des | |
Paris-Abkommens. Der Vertrag klärt aber nicht, wie dieses Budget zwischen | |
den Ländern aufgeteilt wird. | |
Genau. Es gibt jetzt nur noch eine moralische Verpflichtung für die | |
Industrieländer, beim Klimaschutz voranzugehen. Das macht es schwer, | |
einzelne Staaten zur Verantwortung zu ziehen, wenn die Rechnung insgesamt | |
nicht aufgeht. | |
Es geht aber nicht nur darum, wer als Erstes seine Emissionen auf null | |
bringen muss, sondern auch um sehr viel Geld. Die Industrieländer haben | |
Angst, dass die Entwicklungsländer Entschädigungen durchsetzen könnten, | |
wenn deutlich in Verursacher und Betroffene unterschieden wird. | |
Eine vollumfängliche Haftung für die Klimakrise ist im Paris-Abkommen | |
ausgeschlossen. Muss sich das ändern? | |
Absolut. Das ist für mich ein zentraler Punkt. Es muss | |
Kompensationszahlungen aus dem Norden an Länder des globalen Südens geben. | |
Kosten und Nutzen der Treibhausgasemissionen sind ungerecht verteilt. Das | |
geht zurück auf eine Geschichte von fast sechs Jahrhunderten. | |
Normalerweise sprechen wir immer von der Industrialisierung als Startpunkt | |
der Klimakrise. | |
Nein, ich finde, der Startpunkt war schon 1454. Das ist das Jahr, in dem | |
afrikanische Menschen erstmals auf Plantagen versklavt wurden, und zwar auf | |
der Insel Madeira. Und 1492 wurde der Seeweg in die Amerikas gefunden. | |
Diese Momente markieren den Start des Zeitalters des Kolonialismus. | |
Diese Ausbeutung von Schwarzen und Indigenen Menschen sowie Menschen of | |
Color, die Genozide an ihnen, das sind die Prozesse, die überhaupt erst | |
dafür gesorgt haben, dass in Europa so viel Kapital angehäuft wurde. Das | |
hat die Industrialisierung hier ermöglicht, den Kapitalismus – und damit | |
auch die Klimakrise. Man kann dieses Problem ohne die Historie und die | |
damit verbundenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht richtig | |
verstehen. | |
Um das in der Klimabewegung voranzubringen, wurde das Berliner | |
BIPoC-Klimakollektiv Black Earth gegründet, an dem Sie mitarbeiten. Warum | |
machen Sie das nicht direkt in den bestehenden Klimaorganisationen? | |
Viele von uns haben das zuerst versucht. Wir waren zum Beispiel alle schon | |
bei den einschlägigen Klimacamps. Unsere Perspektiven waren nicht | |
repräsentiert, wir haben uns dort nicht vertreten gefühlt. Wir hatten auch | |
keine Lust, inhaltlich jedes Mal wieder bei Punkt null anzufangen: Was ist | |
überhaupt Rassismus, was ist Kolonialismus und was hat das mit der | |
Klimakrise zu tun? | |
Und natürlich haben wir auch alle irgendwelche Rassismuserfahrungen | |
gemacht. Klar, wir beschäftigen uns bei Black Earth mit den Folgen von | |
Rassismus – aber wir sind doch ganz dankbar, ihn während unserer | |
politischen Arbeit nicht ständig praktisch erfahren zu müssen. | |
10 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Klimabewegung-und-Diskriminierung/!5689986 | |
[2] /Vor-der-UN-Konferenz-in-Addis-Abeba/!5210232 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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