| # taz.de -- Flucht und Arbeit: Lost in Translation | |
| > Amjad Alabathas hat in Syrien Zahnmedizin studiert. Hier arbeiten darf er | |
| > noch lange nicht. Warum der Arbeitsmarkt es Geflüchteten so schwer macht. | |
| Bild: Übersetzungsleistung: Amjad Alabathas lernt Deutsch, um irgendwann als Z… | |
| Amjad Alabathas steht auf dem Balkon seiner Einzimmerwohnung im achten | |
| Stock eines Hochhauses am Stadtrand von Erfurt und raucht. „Ich habe neun | |
| Jahre lang studiert, um Zahnarzt zu werden. Nach anderthalb Jahren in | |
| Deutschland habe ich nicht mal in einem Amazon-Lager einen Job gefunden“, | |
| sagt der 29-jährige Syrer. Es ist ein nebliger Tag, vom Balkon gegenüber | |
| weht eine Deutschlandflagge. | |
| Der junge großgewachsene Mann hat ein freundliches Gesicht. Er spricht in | |
| ruhigem Ton auf Englisch, scherzt zwischendurch, wird dann schnell wieder | |
| ernst. „Ich glaube, dass Deutschland theoretisch ein gutes Land zum Leben | |
| und Arbeiten ist. Nur habe ich davon bisher nicht viel mitbekommen“, sagt | |
| er und blickt auf die Plattenbauten, die ihn umgeben. | |
| Auf den ersten Blick läuft die Integration geflüchteter Menschen in den | |
| deutschen Arbeitsmarkt seit 2015 ziemlich gut. Laut einer [1][Studie des | |
| Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung] (IAB) haben rund zwei | |
| Drittel der Geflüchteten, die vor zehn Jahren kamen, inzwischen einen Job | |
| gefunden. Ihre Beschäftigungsquote ist demnach fast so hoch wie die der | |
| deutschen Gesamtbevölkerung. Etwa die Hälfte der beschäftigten Geflüchteten | |
| arbeitet heute als Fachkraft. | |
| Doch nicht alles läuft rund. Nur etwas mehr als ein Drittel der | |
| geflüchteten Frauen, die 2015 kamen, ist heute erwerbstätig. Viele | |
| Asylsuchende sind kurz nach ihrer Ankunft auf Sozialleistungen angewiesen, | |
| nur ein Bruchteil von ihnen arbeitet im ersten Jahr. Laut IAB-Studie | |
| verdienen die vollzeitbeschäftigten Geflüchteten, die vor zehn Jahren | |
| kamen, im Schnitt gerade einmal 70 Prozent des mittleren Verdienstes | |
| Vollzeitbeschäftigter in Deutschland. Damit liegt ihr | |
| Durchschnittseinkommen nur knapp über der Niedriglohnschwelle. Yuliya | |
| Kosyakova, Co-Autorin der IAB-Studie und Professorin für | |
| Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg, sagt: | |
| „Geflüchtete haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt mit strukturellen | |
| Nachteilen zu kämpfen.“ | |
| Amjad Alabathas drückt seine Zigarette aus, kocht Kaffee und füllt ihn in | |
| Gläser. Vor wenigen Tagen ist er in die kleine Wohnung gezogen. Möbel und | |
| Umzugskisten stehen noch etwas verloren herum. Die weißen Wände sind nackt, | |
| Alabathas Worte hallen beim Sprechen wider. Der junge Mann erzählt vom | |
| Studium an der Universität Damaskus, von seinem Kindheitstraum, Zahnarzt zu | |
| werden, von Nächten in der Bibliothek und Schichten in der Zahnarztpraxis, | |
| in der er nach dem Studium für einige Monate arbeitete. „Ich habe Zähne | |
| gezogen, Kronen gesetzt und Wurzelbehandlungen durchgeführt. Das war mein | |
| Traum“, sagt er. | |
| Weil ihm die Einberufung zum Militärdienst drohte, entscheidet sich | |
| Alabathas Ende 2023, Syrien zu verlassen. Er schlägt sich durch, | |
| hauptsächlich zu Fuß, durch die Türkei und über den Balkan, kommt | |
| schließlich im hessischen Gießen an. „Das waren Wochen voller Angst und | |
| Kälte“, sagt Alabathas über die Flucht und schaudert beim Gedanken daran. | |
| Nach einigen Tagen in Gießen wird Alabathas erst in eine | |
| Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl gebracht und landet schließlich in | |
| Obermehler, einem kleinen Ort im Thüringer Unstrut-Hainich-Kreis. In einer | |
| zur Sammelunterkunft umfunktionierten Sowjetkaserne, vier Stunden Fußmarsch | |
| vom nächsten Bahnhof entfernt, verbringt Alabathas ein Jahr. | |
| Auf Fotos der Sammelunterkunft sind beige Betonklötze, ein kleines Stück | |
| Rasen und der Thüringer Wald zu sehen. „In Obermehler gibt es wortwörtlich | |
| nichts. Keine Ablenkung, keine Jobs, keine Perspektive. Es war die Hölle“, | |
| erzählt Alabathas. Einen Sprachkurs konnte er nicht besuchen, zu weit | |
| entfernt war die nächste Sprachschule. Zeitweise [2][lebten über 800 | |
| Asylsuchende] in dem 1.400-Einwohner-Dorf. Bei den Landtagswahlen 2024 | |
| holte die AfD hier fast [3][40 Prozent der Stimmen]. 2019 schoss ein | |
| Unbekannter auf die Unterkunft und rief dabei [4][ausländerfeindliche | |
| Parolen]. Im vergangenen Jahr sprang ein Asylsuchender aus Angst vor seiner | |
| Abschiebung aus dem vierten Stock der Sammelunterkunft und [5][überlebte | |
| schwer verletzt]. „Ich bin fast verrückt geworden“, sagt Alabathas. | |
| Studienautorin Kosyakova sagt, bei der Verteilung der Geflüchteten müssten | |
| Sprachkursangebote und die Arbeitsmarktlage vor Ort miteinbezogen werden. | |
| Für geflüchtete Frauen sei zudem die Kinderbetreuungsinfrastruktur wichtig, | |
| sagt die Wissenschaftlerin, um neben der Care-Arbeit, die sie häufiger als | |
| Männer übernehmen, Sprachkurse und Weiterbildungsangebote besuchen zu | |
| können. | |
| Außerdem finden Kosyakova und ihre Kolleg:innen in ihrer Studie einen | |
| Zusammenhang zwischen der Anzahl rechtsextremer Demonstrationen in einem | |
| Ort und den Beschäftigungsquoten und Löhnen Geflüchteter dort. Gerade in | |
| Dörfern wie Obermehler wird das angespannte gesellschaftliche Klima | |
| zunehmend zum Problem. Zumal Wohnsitzauflagen Geflüchtete je nach | |
| Aufenthaltstitel und Bundesland teilweise jahrelang an Regionen binden. | |
| Dass die wenigsten Asylsuchenden kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland | |
| arbeiten, liegt auch daran, dass sie es lange gar nicht dürfen. Für | |
| mindestens drei Monate nach der Einreise gilt ein Beschäftigungsverbot. Wer | |
| verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, muss ein halbes | |
| Jahr warten. Ist die Frist abgelaufen, das Asylverfahren aber noch nicht | |
| abgeschlossen, muss für jedes einzelne Jobangebot eine Arbeitserlaubnis bei | |
| der Ausländerbehörde beantragt werden. In der Praxis dauert die Bearbeitung | |
| dieser Anträge häufig so lange, dass [6][Jobangebote in der Zwischenzeit | |
| verfallen]. | |
| Die Bundesregierung hat sich zwar vorgenommen, Beschäftigungsverbote | |
| zeitlich zu begrenzen. Ein dreimonatiges Verbot soll wohl aber bestehen | |
| bleiben. Laut Bundesarbeitsministerium soll das die „vorrangige | |
| Durchführung des Asylverfahrens“ sichern, so heißt es in einer Mail an die | |
| taz. Expertin Kosyakova hält solche Verbote für wenig sinnhaft. „Je länger | |
| das Beschäftigungsverbot, desto unwahrscheinlicher wird eine erfolgreiche | |
| Integration in den Arbeitsmarkt.“ | |
| ## Zu weit bis zur Frühschicht bei Amazon | |
| Amjad Alabathas atmet tief ein und aus. Nach sechs Monaten Arbeitsverbot | |
| habe er schnell begonnen, sich auf Aushilfsjobs in Lagern von Amazon und | |
| Zalando im Umkreis zu bewerben. Ohne Erfolg. Der Weg von der | |
| Sammelunterkunft zum Lager wäre schlicht zu weit gewesen, um rechtzeitig | |
| bei der Frühschicht zu erscheinen, erzählt Alabathas. Unterstützung bei der | |
| Jobsuche habe er keine bekommen. Aus einem Koffer zieht er einen | |
| durchsichtigen Ordner. Darin bewahrt der studierte Zahnarzt seine Zeugnisse | |
| und Urkunden auf. Rote Stempel und goldene Siegel zieren die Papiere, die | |
| er auf dem Sofa ausbreitet. „Ich habe dieses ganze Zeug über den Balkan | |
| getragen. Viel gebracht hat mir das bisher nicht.“ | |
| Als Zahnarzt kann Alabathas aktuell nicht arbeiten, erst muss er seinen | |
| Abschluss in einem komplizierten Verfahren anerkennen lassen. Dafür muss er | |
| fließend Deutsch lernen, dann eine Fachsprachenprüfung ablegen und | |
| möglicherweise eine sogenannte Ausgleichsmaßnahme absolvieren, um | |
| Unterschiede zwischen seiner Ausbildung in Syrien und der geforderten in | |
| Deutschland auszugleichen. Insgesamt könnte das mehrere Jahre dauern. Falls | |
| ein Dokument fehlt, zieht sich alles noch deutlich länger hin. Alabathas | |
| schiebt die Papiere wieder zurück in den Ordner. „In Syrien hängt man sich | |
| den Universitätsabschluss an die Wand. Hier lasse ich ihn lieber im Schrank | |
| liegen.“ | |
| Die schleppende Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist eine | |
| Hauptursache für die niedrigen Löhne Geflüchteter in Deutschland. Im | |
| Dezember 2024 verständigten sich Bund und Länder auf eine Strategie, um | |
| Anerkennungsverfahren zu vereinfachen. Digitalisieren, Kompetenzen bündeln, | |
| [7][Antragsverfahren weniger kompliziert] gestalten, so lassen sich die | |
| geplanten Maßnahmen in etwa zusammenfassen. Ob die gewünschten Effekte | |
| erzielt werden, bleibt abzuwarten. | |
| Handlungsbedarf besteht jedenfalls: Während 2024 so viele Anträge auf | |
| Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gestellt wurden wie noch nie, | |
| ist der Anteil der Abschlüsse, die als voll gleichwertig anerkannt werden, | |
| seit 2015 gesunken. Im vergangenen Jahr waren es noch 43 Prozent, wie das | |
| Bundesbildungsministerium auf taz-Anfrage mitteilt. Die Bearbeitung des | |
| Antrags, noch bevor es überhaupt losgehen kann mit einem Sprachkurs, dauert | |
| im Schnitt gut zwei Monate. Geflüchtete Frauen sind häufig besonders von | |
| dieser Bürokratie betroffen, weil sie in Berufen arbeiten, für die eine | |
| staatliche Anerkennung erforderlich ist – etwa in der Pflege. | |
| Doch politisch wird vor allem daran gearbeitet, Migration zu begrenzen. Die | |
| Abweisung Asylsuchender an den deutschen Außengrenzen, die Aussetzung des | |
| Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und eine härtere | |
| Abschiebepraxis gehören zur langen Liste der Asylrechtsverschärfungen der | |
| vergangenen Monate und Jahre. | |
| Dabei prägt die Unterscheidung zwischen „illegaler Migration“ und | |
| „qualifizierter Zuwanderung“ Kommunikation und Politik der Bundesregierung. | |
| [8][CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann] sagte im August: „Wir müssen die | |
| illegale Migration in die Sozialsysteme stoppen und reguläre Zuwanderung in | |
| den Arbeitsmarkt fördern.“ Bundeskanzler Friedrich Merz sprach im Oktober | |
| von einem „Stadtbild“, in dem er Migranten als potenzielle Störenfriede | |
| zeichnete. | |
| Auch dieser Diskurs trägt wohl dazu bei, dass Geflüchtete vor allem kurz | |
| nach ihrer Ankunft Schwierigkeiten bei der Jobsuche haben. Expertin | |
| Kosyakova sagt: „Eine Migrationspolitik, die auf Abschottung abzielt, hat | |
| negative Konsequenzen für den Spracherwerb, die Arbeitsmarktintegration, | |
| soziale Teilhabe und die psychische Gesundheit Geflüchteter.“ | |
| Im Hochhaus am Erfurter Stadtrand schlägt ein Windstoß die Balkontür zu, | |
| Amjad Alabathas zieht sich einen Pullover über. „Ich hatte dunkle Gedanken. | |
| Wenn es nichts gibt, auf das man hinarbeiten kann, wird man traurig und | |
| einsam“, erzählt er. Die Angst vor einer Abschiebung habe ihn gelähmt. | |
| Auch, weil er mitbekommen habe, wie immer mehr Menschen um ihn herum erst | |
| in den Fahrzeugen von Polizei und Ausländerbehörden, dann in | |
| Abschiebefliegern verschwunden seien. „Ich konnte nichts tun, außer an die | |
| Decke zu starren und abzuwarten“, sagt er. | |
| Für die deutsche Wirtschaft könnte all das zum Problem werden. In | |
| zahlreichen Branchen wird händeringend nach Fach- und Hilfskräften gesucht, | |
| die im Inland kaum zu finden sind, weil die deutsche Gesellschaft immer | |
| älter wird. Bis 2028 könnten deshalb rund 770.000 Stellen in Deutschland | |
| unbesetzt bleiben, wie das [9][Institut der deutschen Wirtschaft | |
| ausgerechnet hat]. | |
| Yuliya Kosyakova betont: „Humanitäre Aufnahme dient in erster Linie dem | |
| Schutz von Menschen, nicht der Lösung unseres Fachkräftemangels.“ | |
| Gleichzeitig tragen Geflüchtete in besonderem Maße dazu bei, das | |
| Fachkräfteproblem zu lindern: In Branchen, denen Personal fehlt, sind sie | |
| deutlich überrepräsentiert. Ohne sie würden schon jetzt Tausende Jobs in | |
| Pflegeeinrichtungen, IT-Abteilungen, Ingenieurbüros und Restaurants | |
| unbesetzt bleiben. | |
| Am Neckar, der durch die Heilbronner Innenstadt fließt, reihen sich | |
| Flammkuchenrestaurants an Dönerläden. Es regnet in Strömen, dicke Tropfen | |
| sammeln sich auf den Tischen vor den Restaurants. Im MoschMosch, einem | |
| japanischen Nudelrestaurant, ist es warm, helle Holztische und Bänke, rote | |
| Wände und Teppiche füllen den Gastraum; es duftet nach frittiertem Hähnchen | |
| und Knoblauch. Mohamed Hajjar, 43 Jahre alt, dünnes Haar, eckige Brille und | |
| breites Lächeln, begrüßt Kund:innen, huscht von einem Tisch zum nächsten. | |
| „Ich kenne den Laden in- und auswendig“, sagt er, als er sich mal hinsetzt, | |
| um eine Pause zu machen. Wenn er spricht, meint man, einen schwäbischen | |
| Singsang zu erahnen. | |
| Der Vater von vier Kindern kommt aus Syrien und lebt seit zehn Jahren in | |
| Deutschland. 2015 fing er im MoschMosch als Hilfskoch an. „In Syrien war | |
| ich Damenschneider, vom Kochen habe ich kaum etwas verstanden“, erzählt er. | |
| Nach einem Sprachkurs und einigen Monaten in einer Sammelunterkunft habe er | |
| von freien Jobs in einem Restaurant, nicht weit von der Unterkunft, gehört. | |
| Das MoschMosch ist ein Franchise, insgesamt gibt es zwölf Filialen. Als die | |
| Eröffnung des Restaurants in Heilbronn 2015 bevorstand, fehlte Personal. | |
| Also ging man auf die Agentur für Arbeit zu, um Geflüchtete für die Jobs zu | |
| gewinnen, so erzählt es Personalleiter Andreas Zimmermann der taz. | |
| Die Behörde zeigte sich interessiert, ein Kennenlerntreffen mit einigen | |
| Asylsuchenden wurde vereinbart. „Wir haben da keine knallharten | |
| Bewerbungsgespräche veranstaltet, sondern die Menschen erst mal in einem | |
| entspannten Setting kennengelernt“, so Zimmermann. Die Fähigkeiten und | |
| Erfahrungen, die die Geflüchteten mitgebracht hätten, habe man von Anfang | |
| an als wertvolle Ressource und nicht als Last wahrgenommen. Ein Großteil | |
| der Mitarbeitenden, die zur Eröffnung der Filiale eingestellt wurden, war | |
| nur wenige Monate vorher in Deutschland angekommen. | |
| Sowohl für das Unternehmen als auch für die Geflüchteten war das ein | |
| Glücksfall. Mohamed Hajjar erinnert sich: „Ich war erleichtert, endlich | |
| mein eigenes Geld verdienen zu können.“ Die Abhängigkeit von | |
| Sozialleistungen habe ihn belastet, das Jobangebot im MoschMosch einen | |
| Ausweg geboten. Am ersten Tag sei er ziemlich aufgeregt zur Arbeit | |
| gekommen. „Ich konnte kaum Deutsch sprechen und hatte keine | |
| Gastroerfahrung. Ich hatte Angst, zu versagen.“ Doch Hajjar lernte schnell, | |
| Udonnudeln zu garen, Soßen abzuschmecken und Teller auf den Unterarmen zu | |
| balancieren. Auch sein Deutsch sei zügig besser geworden. „Das, was man | |
| lernt, wenn man jeden Tag mit Kunden in Kontakt ist, kann einem der beste | |
| Deutschkurs nicht beibringen.“ | |
| Im Unternehmen erkannte man, dass Hajjar Talent hat, auch als | |
| Führungskraft. In Syrien hatte er eine Schneiderei mit mehreren | |
| Mitarbeitern geleitet. In Heilbronn wurde er erst zum Küchenchef, dann zum | |
| Restaurantmanager befördert. Heute ist er für Lebensmittelhygiene, | |
| Dienstpläne und Mitarbeiterkommunikation zuständig, übernimmt gleichzeitig | |
| Schichten in Küche und Service. „Dass ich ein Restaurant leite, macht mich | |
| stolz“, sagt Hajjar und lässt den Blick über die Tische schweifen, | |
| kontrolliert, ob alle Gäste glücklich sind und nickt dann zufrieden. | |
| Inzwischen sei Heilbronn zu seinem Zuhause geworden, zwei seiner Kinder | |
| wurden hier geboren. „Ohne meine Arbeit wäre ich niemals so gut | |
| angekommen“, sagt Hajjar. Im Restaurant habe er Freunde kennengelernt und | |
| eine Willkommenskultur erlebt. | |
| ## „Frau Merkel und wir Syrer“ | |
| Der 43-Jährige blickt zurück: „Ich habe Glück, dass ich 2015 gekommen bin. | |
| Damals wurden Flüchtlinge noch freundlich begrüßt.“ Die Bilder von | |
| Menschen, die Geflüchtete an Bahnhöfen mit Kuscheltieren und Plakaten | |
| freudig empfingen, würden ihn bis heute bewegen. „Wenn man das Gefühl hat, | |
| nicht gleich wieder rausgeschmissen zu werden, tut man viel dafür, richtig | |
| anzukommen“, sagt Hajjar. Den vielzitierten Satz von Ex-Kanzlerin Angela | |
| Merkel habe er noch im Ohr. „Ich finde, wir haben es ganz gut geschafft. | |
| Also Frau Merkel und wir Syrer“, sagt er und grinst. | |
| Auch Amjad Alabathas will endlich ankommen. Nach Abschluss seines | |
| Asylverfahrens sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen, erzählt er. Alabathas | |
| ist subsidiär schutzberechtigt, darf eine Wohnung suchen und zieht nach | |
| einigen Monaten an den Erfurter Stadtrand. Seitdem lernt er täglich | |
| deutsche Vokabeln und Grammatik, besucht einen Sprachkurs. Möglichst | |
| schnell will er nun einen Job finden. Mittlerweile, so sagt er, sei das zu | |
| einer Art Überlebensstrategie geworden. Seit dem Sturz von Diktator Assad | |
| in Syrien werden Forderungen nach Abschiebung dorthin lauter. „Wer | |
| arbeitet, wird vielleicht nicht als Erstes abgeschoben. Hoffe ich | |
| zumindest“, sagt Alabathas, seine Stimme bricht, er räuspert sich, rückt | |
| seine Brille zurecht. | |
| Mohamed Hajjar guckt auf die Uhr. Er muss noch etwas vorbereiten, | |
| Schichtpläne durchgehen, gucken, ob in der Küche alles passt. „Ich bin | |
| Syrer und Schwabe. Ich weiß, was ich jeden Tag leiste. Dass ich | |
| zurückgeschickt werde, kann ich mir nicht vorstellen.“ Weil er inzwischen | |
| die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, mache er sich kaum Sorgen. Wie | |
| über geflüchtete Menschen gesprochen werde, findet er trotzdem nicht fair. | |
| „Die Menschen, die wie ich 2015 gekommen sind, haben sich ins Zeug gelegt | |
| und alles dafür getan, ein Teil der Gesellschaft zu werden. Das wird nicht | |
| anerkannt.“ Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, sollten auch | |
| arbeiten, findet Hajjar. „Ihr dürft aber nicht vergessen, dass wir auch | |
| Menschen sind“, sagt er. | |
| Die Bilder von Menschenmengen am Bahnhof und den hoffnungsvollen Satz von | |
| Angela Merkel kennt auch Amjad Alabathas. Mittlerweile, so sagt er, würden | |
| auch Neonazi-Aufmärsche und AfD-Parolen sein Bild von Deutschland prägen. | |
| „Schaffen“ will Alabathas es trotzdem. Auf dem Couchtisch liegt ein Zettel, | |
| auf dem der junge Mann einige deutsche Sätze notiert hat. „Was arbeiten | |
| Sie?“ steht unten auf dem Blatt. „Ich hoffe, eines Tages antworten zu | |
| können: Ich arbeite als Zahnarzt“, sagt Alabathas. | |
| 27 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://doku.iab.de/kurzber/2025/kb2025-17.pdf | |
| [2] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/report-mainz/send… | |
| [3] https://wahlen.thueringen.de/datenbank/wahl1/wahl.asp?wahlart=LW&wJahr=2024… | |
| [4] https://www.sueddeutsche.de/panorama/obermehler-fluechtlingsunterkunft-aus-… | |
| [5] /Sicherheitspaket-der-Ampel/!6041119 | |
| [6] https://www.proasyl.de/news/der-steinige-weg-in-den-arbeitsmarkt-fuer-geflu… | |
| [7] https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/pro/news-mpk-beschluss-op… | |
| [8] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/linnemann-merkel-politik-100.… | |
| [9] https://www.iwkoeln.de/studien/alexander-burstedde-jurek-tiedemann-allgemei… | |
| ## AUTOREN | |
| Joscha Frahm | |
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