| # taz.de -- Forscher über den Aufstieg der AfD: „Rechts überholen geht nich… | |
| > Von keinem Thema profitiert die AfD so stark wie von Migration, | |
| > beobachtet der Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Die Union sieht er | |
| > in Gefahr. | |
| Bild: Nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg 2024 mobilisiert… | |
| taz: Herr Vorländer, Sie haben schon 2018 in einer Studie nahegelegt, dass | |
| Migration zwar ein Verstärker für den Aufstieg rechtspopulistischer oder | |
| extrem rechter Parteien sein kann, aber nicht die Ursache ist. Sehen Sie | |
| das heute immer noch so? | |
| Hans Vorländer: Ja. Generell kann man sehen, dass das Thema Migration sehr | |
| stark von der AfD besetzt worden ist in den letzten zehn Jahren. Und es | |
| bleibt auch Katalysator: Wir haben auch danach noch eine Reihe von Studien | |
| zu Polarisierungsdynamiken gemacht. Und da taucht das Thema Migration immer | |
| an vorderster Stelle auf – nicht nur in Deutschland, sondern auch in | |
| anderen Ländern. Es ist das essenzielle Thema für das Geschäftsmodell von | |
| Parteien wie der AfD. | |
| taz: Was waren die genauen Ergebnisse ihrer jüngsten Studie? | |
| Vorländer: 80 Prozent unserer Befragten bescheinigen der Zuwanderung das | |
| höchste Spaltungspotential – ein viel größeres als Klimawandel, der | |
| Ukrainekrieg, Umverteilung oder Gleichheit. Die Wahrnehmung von Migration | |
| ist dabei aber sehr differenziert: Einerseits sagen die Befragten mit | |
| großer Mehrheit, die Zuwanderung von Ausländern soll beschränkt werden. | |
| Andererseits wird die Fachkräftezuwanderung mehrheitlich begrüßt. | |
| Offensichtlich richtet sich die Ablehnung im ersten Fall gegen die als | |
| irregulär wahrgenommene Migration. Mit ihr wird dann wohl assoziiert, dass | |
| hier Zuwanderung vornehmlich in die Sozialsysteme erfolgt und eine | |
| Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt entsteht, dass also Verteilungskonflikte | |
| angesichts knapper Ressourcen auf dem Rücken der aufnehmenden Gesellschaft | |
| ausgetragen werden. | |
| taz: Tatsächlich trifft ja die Wohnungsnot marginalisierte Gruppen am | |
| meisten. Und dass Zuwanderung in Sozialsysteme stattfinden würde, | |
| [1][stimmt ja auch nicht]. Wie also lässt sich Aufstieg von Parteien wie | |
| der AfD erklären? | |
| Vorländer: Ein Syndrom an Vorstellungen über Kontrollverlust und Ängsten, | |
| gemischt mit Ressentiments, dass man die Kontrolle über sein Leben, die | |
| Politik oder über nationale Entscheidungsprozesse verliert. Es gibt | |
| ökonomische Dimensionen, soziale Dimensionen und demografische Dimensionen. | |
| Das Vertrauen in politische Institutionen und die Demokratie nimmt ab, | |
| ebenso das Vertrauen in die demokratische Problemlösungsfähigkeit und in | |
| die Parteien. Dazu kommt dann auch noch eine kulturelle Dimension – was man | |
| so allgemein unter Kulturkämpfen verhandelt. Menschen haben das Gefühl, | |
| dass bestimmte Eliten, die sich links, grün oder urban definieren, andere, | |
| etwa ländlich geprägte Traditionalisten bevormunden. Parteien wie die AfD | |
| behaupten, dass man mittels einfacher Antworten zurückfindet zum | |
| vermeintlich vergangenen paradiesischen Zustand, wo alles sehr viel besser | |
| war. Sie ignorieren und verschweigen die Komplexität von Problemen. | |
| taz: Die AfD befeuert den öffentlichen Diskurs zu Migration, er ist | |
| vielfach angstgetrieben und teils sogar komplett entkoppelt von Fakten. | |
| Inwieweit lassen sich demokratische Parteien und Medien vor den Karren der | |
| AfD spannen? | |
| Vorländer: Der Mediendiskurs ist für die Wahrnehmung der Welt und der | |
| Probleme enorm wichtig, man kann ihn gar nicht unterschätzen. Wenn Menschen | |
| ein Deutungsmuster angeboten wird, fühlen sie sich erleichtert, weil sie | |
| glauben, die Problemlagen auf einmal verstehen zu können. Politik, aber vor | |
| allem auch Medien, haben an der Zuspitzung dieses Themas einen erheblichen | |
| Anteil – was die Darstellung von vermeintlich höherer Kriminalität, | |
| angeblichem Sozialmissbrauch oder Arbeitsverweigerung angeht. Hinzu kommt | |
| die Fragmentierung der politischen Öffentlichkeit durch soziale Medien, wo | |
| es ja eigentlich nur noch um solche Dinge geht. Wir haben dadurch eine | |
| größer werdende selbsttragende Unterstützungsöffentlichkeit für | |
| Rechtspopulisten und rechtsextreme Gruppierungen. So entsteht | |
| Normalisierung im öffentlichen Diskurs. | |
| taz: Wieso steckt so viel Verhetzungspotenzial in Migration? | |
| Vorländer: Migration ist auch ein Brennglas für Probleme, die wir in | |
| Deutschland haben. Wir haben bereits angespannte Mietmärkte und vielerorts | |
| eine marode Infrastruktur. Wir brauchen mehr Kitaplätze, mehr bezahlbare | |
| Wohnungen und eine besondere Beschulung von Menschen, die von zu Hause aus | |
| kein Deutsch sprechen. Das sind alles wichtige Aufgaben, die über die | |
| besondere Integrationsproblematik hinaus Defizite anzeigen in den deutschen | |
| Regelsystemen. Da wirkt Migration wie ein Sündenbockmechanismus. Der | |
| Zuwanderung werden die Probleme zugeschrieben – was nicht heißen soll, dass | |
| in diesem Bereich nicht wirklich auch Herausforderungen für Politik und | |
| Gesellschaft bestehen. Aber Migration wird zur Chiffre für alles, was | |
| schiefläuft oder unerledigt ist. Die Suggestion wird erzeugt, dass es ohne | |
| Migration viel besser aussähe. Und ein solches Frame dient der politischen | |
| Mobilisierung. | |
| taz: Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland sagte über die Migration | |
| von 2015, dass sie ein „Geschenk“ für die AfD war. Hat er damit recht? | |
| Vorländer: Diese Formulierung würde ich mir nicht zu eigen machen, aber die | |
| AfD hat von diesen Entwicklungen profitiert und ihr Politik- und | |
| Geschäftsmodell monothematisch darauf ausgerichtet und damit einen | |
| richtigen Boost bekommen. Die AfD hat eingesammelt, was an Unzufriedenheit, | |
| Ressentiment, Protest da war und von den anderen Parteien – in der Sprache | |
| der AfD von den „Altparteien“ – nicht repräsentiert wurde. | |
| taz: Sie waren Vorsitzender des Sachverständigenrates für Integration und | |
| Migration. Was bedeutet Migration denn wirklich für Deutschland? | |
| Vorländer: Tatsächlich sind zwei Drittel der Flüchtlinge, die wir 2015 | |
| aufgenommen haben, in Arbeit, viele davon allerdings im Niedriglohnsektor | |
| in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Für qualifizierte Zuwanderung | |
| haben wir zu viel bürokratische, administrative Hindernisse, die | |
| verhindern, dass Menschen schnell in den Arbeitsmarkt kommen. Bei der | |
| Migration könnte gerade die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt | |
| klarmachen, dass die Zuwanderung etwas ist, von dem Deutschland profitiert. | |
| Der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich würde doch zusammenbrechen, wenn | |
| dort keine Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten würden. | |
| taz: Wie sollte man mit der AfD und ihrem Hauptmobilisierungsfeld umgehen? | |
| Vorländer: Das Beste wäre, Probleme zu adressieren und zu lösen, etwa durch | |
| Investitionen in bessere Infrastruktur und Bildung. Der Ansatz der neuen | |
| Koalition war ja richtig – nur sieht man jetzt, dass mit den neuen Schulden | |
| offenbar hauptsächlich Löcher gestopft werden. | |
| taz: Der vorrangige Umgang mit der AfD war bisher eher eine Abschottung | |
| gegenüber Migration. | |
| Vorländer: Das Problem war, dass viele glaubten, man müsse einen harten | |
| Kurs in der Migrationsfrage fahren, um der AfD das Thema zu entwinden. Das | |
| aber ist gescheitert. Die AfD wächst weiter. Dafür sind dann die | |
| Befürworter dieses harten Kurses in die Polarisierungsfalle hineingelaufen, | |
| die die AfD so hervorragend zu bedienen weiß und von der vor allem sie | |
| profitiert. Das war auch die Lektion, die Merz lernen musste, als er zu | |
| Beginn des Wahljahres 2025 glaubte, einen Antrag der Union zur | |
| Migrationsfrage verabschieden zu müssen und dabei eine Mehrheit nur mit der | |
| AfD zustande kam. Da hat er sich vorführen lassen. | |
| taz: Aber warum kommt das in einem gewissen Teil der Politik und der Medien | |
| nicht an? | |
| Vorländer: Weil man mit Emotionen viel einfacher mobilisieren kann. | |
| Probleme emotional zu adressieren, nicht den Verstand, sondern den Bauch | |
| oder das Ressentiment anzusprechen, ist sehr viel einfacher, als die | |
| Komplexität von Problemen zu erklären. Wer aber bei Migration explizit | |
| zuspitzt, kann damit nicht gewinnen. Das gilt gerade für | |
| Mitte-rechts-Parteien, die glauben, sie müssten die AfD rechts überholen. | |
| Das geht nicht gut. Erfahrung aus anderen Ländern zeigen, dass dann | |
| konservative Parteien zerrieben werden zwischen einer demokratischen Mitte | |
| und den Rechtspopulisten und Rechtsexremen. | |
| taz: Wie sollten konservative Parteien sich dann verhalten? | |
| Vorländer: Sie sollten zeigen, dass sie die politischen Probleme besser | |
| lösen können, und sie müssen klarmachen, dass die Rechtsradikalen keine | |
| Lösungen anbieten, nur Stimmungen erzeugen und Ressentiments mobilisieren. | |
| 23 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://iab.de/presseinfo/10-jahre-fluchtmigration-beschaeftigungsquote-von… | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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