| # taz.de -- Film über ostdeutsche Supermarktliebe: Nur der Gabelstapler bleibt | |
| > „In den Gängen“ zeigt die Liebe zweier Angestellter im Supermarkt. So | |
| > romantisch war es noch nie zwischen Joghurt und Reinigungsmitteln. | |
| Bild: Gabelstapler-Fun: Marion (Sandra Hüller) und Christian (Franz Rogowski) | |
| Wie schön so ein Gabelstapler aussehen kann. Langsam gleitet er durch | |
| menschenleere Gänge – vorbei an Regalen mit Dosenmais, Joghurt und | |
| Reinigungsmitteln. Es ist kurz nach Ladenschluss in einem Supermarkt. Die | |
| letzten Kunden sind gerade gegangen. Der Filialleiter dimmt das Licht der | |
| Neonröhren und legt eine CD auf, dann haucht er in ein Mikrofon: | |
| „Willkommen in der Nacht“. Der Strauß-Walzer erklingt im Markt und das | |
| Personal ist allein mit den Produkten, die es mit den Staplern in die | |
| Regale räumt. Einen von ihnen lenkt Christian, gespielt von Franz Rogowski, | |
| er ist der Neue in den Gängen. | |
| Thomas Stubers Film spielt in einer vertrauten Welt – in einem von ungefähr | |
| 35.000 Supermärkten in Deutschland. Beinah jeder von uns hat einen um die | |
| Ecke oder im nächsten Dorf. Supermärkte gelten dennoch als unpersönliche | |
| Nicht-Orte, die die meisten von uns schnell betreten und wieder verlassen. | |
| Als Konsumtempel voller geschickt arrangierter Produkte und Werbesprüche, | |
| die den Kunden möglichst tief ins Portemonnaie greifen lassen. Die | |
| Marktmitarbeiter bleiben weitgehend unsichtbar, beantworten Fragen wie „Wo | |
| sind die Cornflakes?“ oder „Ist das im Angebot?“ | |
| In genau dieser Welt muss sich Protagonist Christian nun zurechtfinden – | |
| mit all ihren Regeln. Dafür wird ihm Bruno an die Seite gestellt. Er ist | |
| über 50, arbeitet schon lange im Gang für Getränke und kennt alle Insider | |
| im Markt, welche Gabelstapler die besten sind und wo man am besten | |
| Raucherpause macht. | |
| Wenn in Filmen Arbeitsplätze gezeigt werden, dann oft Büros oder Hörsäle. | |
| „In den Gängen“ zeigt ein anderes Milieu. Der Film zeigt Menschen, die ihr | |
| halbes Leben in einem Supermarkt verbringen. Selbst wenn nicht alle | |
| Erfahrungen positiv sind – die Arbeit, der Ort und die KollegInnen bedeuten | |
| ihnen etwas. Man hat vermutlich Kämpfe ausgefochten, Umstellungen | |
| durchlebt, Jubiläen gefeiert und auch die ein oder andere | |
| zwischenmenschliche Erfahrungen gesammelt. Eine heimliche Liebe zum | |
| Beispiel, wie die, die Christian und Marion erleben. | |
| ## Rogowski spielt wie auf rohen Eiern | |
| Eines Tages erhascht Christian beim Getränkeeinräumen einen Blick auf | |
| Marion, gespielt von Sandra Hüller, im Gang nebenan und verknallt sich. | |
| Aber wie soll er sie ansprechen? Christian ist ein Stiller, sagt in der | |
| ersten Filmhälfte vielleicht 100 Wörter. Die Figur funktioniert vielmehr | |
| über vorsichtige Blicke und Gesten, über langsames Vortasten im Kontakt mit | |
| anderen. Rogowski spielt wie auf rohen Eiern, dafür ist Marion, anders als | |
| Hüllers bisherige Figuren, laut und forsch. Irgendwann nähern sich die | |
| beiden einander an. Da ist das erste unbeholfene Gespräch vor dem | |
| Kaffeeautomaten. Und das Yes-Törtchen mit Kerze, das Christian zu Marions | |
| Geburtstag serviert. | |
| Diese Szenen könnten kitschig sein, doch der Ort verhindert das zum Glück: | |
| Trinken Christian und Marion doch ihren Kaffee aus Plastikbechern und | |
| zerteilen das Törtchen fix mit einem Cuttermesser. Das ist schön, aber auch | |
| schön bodenständig. Gleichzeitig versteht es Regisseur Stuber, die | |
| Supermarktliebe in Bild und Ton atmosphärisch einzufangen. Die oft | |
| gleitende Kamera kommt im richtigen Moment zum Stehen. Die Beats von | |
| US-Musiker Son Lux verleihen dem Ganzen eine gewisse Coolness. Und immer | |
| wieder spannt der Film den Zuschauer auf die Folter, indem er einzelne | |
| Plots vage hält. So erfährt man nie genau, warum Marion plötzlich den | |
| Supermarkt verlässt. | |
| Das ähnelt dem Erzählstil von Clemens Meyers Kurzgeschichte „In den | |
| Gängen“, die als Vorbild für den Film dient. In seine Erzählung ließ der | |
| Autor eigene Erfahrungen einfließen, denn er hat früher selbst als | |
| Gabelstaplerfahrer in einem Großmarkt bei Leipzig gearbeitet. Der halbe | |
| Cast und auch Stuber kommen aus dem Osten und der Film wurde größtenteils | |
| in Sachsen und Sachsen-Anhalt gedreht. | |
| „In den Gängen“ ist auch ein Ostfilm. Die Wende schwingt immer mit. Vor | |
| allem in der Figur des Bruno. Während einer der vielen gemeinsamen | |
| Raucherpausen erzählt Bruno am Rande des Kundenparkplatzes wehmütig von | |
| seiner Zeit als Lkw-Fahrer vor dem Mauerfall. Was für ein tolles Gefühl das | |
| damals war, unterwegs zu sein, und wie er heute nicht sofort einschlafen | |
| kann, wenn er aus dem Mikrokosmos des Marktes kommt. Dieser Figur nähert | |
| sich der Film mit viel Ruhe und Respekt – kaum kommt es zum Klamauk einer | |
| der vielen bekannten Ossi-Komödien. Vielmehr macht sich eine | |
| Nach-der-Wende-Lakonie breit. | |
| Ein eindeutiges Happy End bietet „In den Gängen“ nicht an. Nicht für Brun… | |
| leider. Und auch bei Christian und Marion läuft nicht alles rund. Stuber | |
| lässt größtenteils offen, was aus seinen Hauptfiguren wird. Die | |
| ZuschauerInnen bleiben mit den großen existenziellen Themen Liebe, Tod und | |
| Arbeit nach 120 Minuten allein zurück. Nur der Gabelstapler, der bleibt. | |
| Christian fährt weiter die Flure entlang, vorbei an Dosenmais, Joghurt und | |
| Reinigungsmitteln. Arrangiert die Produkte geschickt und trinkt in den | |
| Pausen Kaffee aus Plastikbechern. Der Neue ist er jetzt nicht mehr. | |
| 23 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christine Stöckel | |
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