# taz.de -- Film über Nazi-Jäger: Die Dame ist keine Dame | |
> Der Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ erzählt von Bauers Versuch, | |
> Adolf Eichmann aufzuspüren. Nur queer ist er leider nicht. | |
Bild: Fritz Bauer (Burghart Klaußner) mit der Akte Eichmann. | |
Wenn ein Biopic über einen Staatsanwalt „Der Staat gegen Fritz Bauer“ | |
heißt, muss das ironisch gemeint sein. Bekanntlich war die deutsche Justiz | |
nach dem Krieg ein Hort ehemaliger Nazirichter. Und der hessische | |
Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war der Einzige, der ernsthaft versuchte, | |
die Justiz von Nationalsozialisten zu säubern, woran er gescheitert ist. | |
Davon erfährt der Zuschauer in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ allerdings | |
genauso wenig wie über den Auschwitz-Prozess, der zu Recht als das größte | |
Verdienst Fritz Bauers gilt. | |
Bauer hoffte, mit dem größten Strafverfahren der Nachkriegszeit eine | |
erzieherische Wirkung auf die Deutschen ausüben zu können. Am Anfang des | |
Spielfilms stehen Originalaufnahmen einer Diskussionsrunde, in der Bauer | |
mit jungen Leuten über alte und neue Nazis und die Demokratie diskutiert. | |
„Der Staat gegen Fritz Bauer“ konzentriert sich auf Bauers Versuch, Adolf | |
Eichmann aufzuspüren. Bauer weiß, dass die Regierung Adenauer daran kein | |
Interesse hat. Das Kanzleramt wird von Hans Globke geleitet, einem der | |
Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze. Adenauer muss befürchten, dass | |
Globkes Name bei einem Prozess gegen Eichmann genannt werden könnte. Bauer | |
versucht erst gar nicht, Eichmann mit Hilfe deutscher Behörden festsetzen | |
zu lassen. Er informiert den Mossad, was dazu führte, dass Eichmann in | |
Jerusalem und nicht in Frankfurt vor Gericht gestellt wurde. | |
Hier zeigt sich, dass der Titel des Films ganz ernst gemeint ist, der laut | |
Regisseur Lars Kraume „den archaischen Kampf eines Außenseiters gegen ein | |
übermächtiges System“ zeigt. Das vielleicht bekannteste Zitat Bauers | |
lautet, wenn er sein Dienstzimmer verlasse, betrete er feindliches Ausland. | |
## Schwäbische Diktion | |
„Der Staat gegen Fritz Bauer“ erzählt die Eichmann-Story nachvollziehbar, | |
wenn auch mit unnötig exotisierenden Ausflügen nach Argentinien und Israel | |
und grob geschnitzten Altnazifiguren. Burghart Klaußner aber holt das | |
Maximum aus der Hauptfigur heraus, die ihm das Drehbuch vorgibt. Fritz | |
Bauer entstammte einer schwäbischen jüdischen Familie, er wurde 1903 in | |
Stuttgart geboren. Klaußner nähert sich der Diktion Bauers auf eigene Weise | |
an und interpretiert ihn lebendig als den einsamen, aber hoch | |
intelligenten, kommunikativen, der Jugend zugewandten und humorvollen Mann, | |
der er war. | |
Das Problem dieses Films liegt woanders. „Der Jude ist schwul“, freut sich | |
im Film einer seiner Gegenspieler und verweist so auf eine Kontroverse um | |
das offizielle Bauer-Bild, die im vergangenen Jahr das Feuilleton | |
beschäftigt hat. | |
Es wurde nicht nur darüber debattiert, ob Bauer wirklich schwul war, ob er | |
seine Sexualität auslebte und ob das etwas zur Sache tut. Es wurde auch der | |
Frage nachgegangen, ob Fritz Bauer nach dem Krieg zum Judentum öffentlich | |
Distanz gehalten hat, weil er Atheist war oder weil er als Deutscher | |
anerkannt werden wollte. | |
Das eine schließt das andere nicht aus. Wichtiger und politisch brisanter | |
ist aber etwas anderes: Bauer kannte den Vorwurf allzu gut, sein Kampf für | |
die juristische Aufarbeitung der Naziverbrechen sei nur dem „typisch | |
jüdischen“ Wunsch nach Rache geschuldet - und eben nicht seiner | |
Überzeugung, dass nur eine Demokratisierung und Selbstaufklärung der | |
deutschen Gesellschaft in Zukunft so etwas wie eine nationalsozialistische | |
Diktatur unmöglich machen würde. | |
## Schwule Juristen | |
Schließlich stritt man sich darum, ob Bauers angebliches, im November 1933 | |
in einem Naziblatt veröffentlichtes „Treuebekenntnis“ zum „Führer“ der | |
Preis für seine Entlassung aus dem KZ war, die dem Sozialdemokraten die | |
Flucht nach Dänemark ermöglichte. | |
Regisseur Lars Kraume glaubt, dieses Bekenntnis habe Bauer so belastet, | |
dass es fortan zum „inneren Motor“ für sein Handeln geworden sei. Mit | |
seinem Film will er die „Erlösungsgeschichte“ eines Mannes erzählen, „d… | |
nach dem Zweiten Weltkrieg als kaputter Pessimist nach Deutschland | |
zurückkommt und im Kampf gegen das kollektive Vergessen seine Bestimmung | |
findet.“ | |
Der Hang zum assoziativen Psychologisieren hat die Drehbuchautoren Lars | |
Kraume und Olivier Guez wohl auf die Idee gebracht, ihrem Film-Bauer einen | |
jungen Staatsanwalt zur Seite zu stellen, in dem sich die | |
Adenauer-Repression verdichten soll. Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) ist | |
verheiratet, aber kinderlos, weil er schwul ist wie sein Chef. Die Kollegen | |
vom Hollywood Reporter haben süffisant angemerkt, dass sich die beiden | |
schwulen Juristen gemäß Drehbuch an ihren überkandidelten Socken erkennen. | |
Dann trifft Angermann die sich androgyn gebende, aber dabei umso femininer | |
wirkende Victoria (Lilith Stangenberg), die in einem Amüsierlokal arbeitet, | |
in dem auch Schwule verkehren. Er verliebt sich in sie, weil er auf | |
irgendeine, dem Zuschauer nicht nachvollziehbare Weise gespürt zu haben | |
scheint, dass die Dame gar keine Dame ist: Eines Nachts öffnet Victoria | |
ihre verblüffend stämmigen Beine und präsentiert ein männliches | |
Geschlechtsteil. | |
## Zweideutige Lieder | |
Wer diese Szene sieht, hält sie erst für eine Wunschvorstellung Angermanns. | |
Schwule Männer verlieben sich in der Regel nicht in Frauen, auch dann | |
nicht, wenn sie zweideutige Lieder singen. Eine andere Lesart scheint im | |
Setting dieses im Stil einer öffentlich-rechtlichen Prime-Time-Produktion | |
gedrehten Films schlicht zu ausgedacht: Wenn Victoria eine transsexuelle | |
Figur sein sollte, hätte man sie anders einführen müssen und nicht einen | |
Phallus ex machina hervorzaubern dürfen. Regisseur Kraume sagt, man habe | |
sich für Stangenberg entschieden, weil die zuvor gecasteten Männer nicht | |
elegant in Stöckelschuhen laufen konnten. | |
Dieser Missgriff in Story und Inszenierung ist umso bedauerlicher, als die | |
Motivation von Kraume und Guez nicht falsch ist. Fritz Bauer setzte sich | |
sein Leben lang für eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts ein. | |
Noch zwanzig Jahre nach dem Krieg galt in der Bundesrepublik der | |
berüchtigte Paragraf 175 in der von den Nationalsozialisten verschärften | |
Fassung, die für „unzüchtige Handlungen“ zwischen Männern eine | |
Gefängnisstrafe vorsah. Die Reform von 1969 hat Fritz Bauer nicht mehr | |
erlebt. Abgeschafft wurde der Paragraf 175 erst 1994. | |
1 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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