| # taz.de -- Film „The Wife“ von Björn Runge: Blick zurück im Text | |
| > Es hätte eine wundervolle Satire auf den Literaturbetrieb werden können. | |
| > Stattdessen bleibt „The Wife“ werktreu und damit altmodisch. | |
| Bild: Anruf aus Schweden: Szene aus „The Wife – Die Frau des Nobelpreisträ… | |
| Wer die eine oder andere Schriftstellerbiografie gelesen hat, weiß, dass | |
| diese Szene sich Jahr um Jahr Anfang Oktober wohl tatsächlich so abspielt: | |
| Autoren, die als Kandidaten für den Nobelpreis gehandelt werden, sitzen | |
| weltweit nervös vor ihren Telefonen. Und wenn er dann kommt, [1][der Anruf, | |
| und eine Stimme mit schwedischem Akzent] verspricht, eine wichtige | |
| Nachricht zu übermitteln, dann werden wohl wirklich einige Angst haben, | |
| einem Streich aufzusitzen und deshalb eine Art „Beweis“ fordern. | |
| So wie das der fiktive Schriftsteller Joe Castleman (Jonathan Pryce) in | |
| „The Wife – Die Frau des Nobelpreisträgers“ tut. Das Angebot, eine Nummer | |
| für einen überprüfenden Rückruf zu erhalten, lehnt Castleman dann aber doch | |
| ab. Statt dessen bittet er um kurze Geduld, damit seine Frau das zweite | |
| Telefon aufnehmen (die Geschichte spielt im Jahr 1992) und mithören kann. | |
| Joan Castleman (Glenn Close) erscheint auf den ersten Blick wie das Ideal | |
| einer ihrem Mann zur Seite stehenden Ehefrau. Bis kurz vor dem Anruf hatte | |
| sie ihn mit den geübten, nicht nur freundlichen Methoden einer langjährigen | |
| Partnerin zu beruhigen versucht.Nun aber sitzt sie mit dem Telefonhörer am | |
| Ohr in der Küche und scheint sich nicht richtig freuen zu können. | |
| Erst als der nette Schwede zum Schluss, nach zahlreichen Gratulationen und | |
| Höflichkeiten speziell ihr, der Ehefrau, noch einen Rat gibt, findet sie in | |
| ihre Rolle zurück: Sie solle darauf achten, dass ihr Mann von der Flut der | |
| zu erwartenden Anrufe nicht überwältigt werde. Joan bedankt sich mit | |
| spöttischer Artigkeit, schließlich handelt es sich bei ihr um eine | |
| Meisterin des Fachs „Ehefrau“, der man so etwas kaum sagen muss. | |
| ## Ehren für den Mann – Shoppingtipps für Frau | |
| Auch was im Anschluss so passiert in „The Wife – Die Frau des | |
| Nobelpreisträgers“ könnte eine wahre Geschichte sein: Das Haus des | |
| Schriftstellers wird gestürmt von namhaften Gratulanten, von denen kaum | |
| einer je vergisst, auch der duldsamen Ehefrau eine Aufwartung zu machen. | |
| Jede Einzelne davon ist zugleich Kompliment und Demütigung. Das Muster | |
| setzt sich fort während der Reise nach Stockholm, wo Joe gleichsam als | |
| Majestät und Joan als seine fleißige Helferin geehrt wird. | |
| Ihm werden Vorträge und die Bekanntschaft anderer Preisträger in Aussicht | |
| gestellt, ihr verspricht man Hilfe beim Sightseeing und Shoppen. Das alles | |
| hätte auch einen wundervollen Stoff für eine Satire auf den | |
| Literaturbetrieb abgeben können, aber die Nähe zur wahren Geschichte, die | |
| eingehalten wird, um das „Geheimnis“ im Herzen der Handlung weniger | |
| offensichtlich zu machen, steht der Ironie leider im Weg. | |
| Dass bei den Castlemans nicht alles so ist, wie es scheint, wird spätestens | |
| klar, als mit Nathaniel Bone (Christian Slater) ein besonders neugieriger | |
| Journalist in Stockholm auftaucht. Nathaniel hat es sich in den Kopf | |
| gesetzt, Joe Castlemans Biografie zu schreiben. Bei seinen Recherchen ist | |
| er offenbar auf einige Widersprüche gestoßen. In Rückblenden erinnert sich | |
| Joan daran, wie sie als junge Studentin Joe als Dozent eines Schreibkurses | |
| kennenlernte. Es stellt sich heraus, dass damals ihr Verhältnis noch ein | |
| anderes war: Joe war ein großer Fan von Joans Schreibversuchen. | |
| ## Zahlreiche Schichten von ambivalenten Gefühlen | |
| Die Romanvorlage für Björn Runges Verfilmung stammt von Meg Wolitzer und | |
| wurde bereits 2003 veröffentlicht. Es ist nicht ihr bester Roman, was vor | |
| allem der allzu durchsichtigen Plot-Konstruktion geschuldet ist. Die Frage, | |
| ob Joe Castleman seinen Nobelpreis tatsächlich verdient hat, ist quasi | |
| schon mit der ersten Szene beantwortet. Und die viel interessantere, weil | |
| kompliziertere Frage, wie Ehefrau Joan sich ob der „unverdienten“ Ehrung | |
| ihres Gatten verhalten wird, wird sowohl im Roman als auch jetzt im Film | |
| durch das lange Hinauszögern der „überraschenden Wendung“ absichtlich | |
| unklar gehalten. | |
| So gibt sich Glenn Close zwar alle Mühe, unter der Oberfläche der | |
| erwartbaren Genervtheiten einer unterstützenden, duldsamen Ehefrau | |
| zahlreiche Schichten von ambivalenten Gefühlen erkennbar zu machen. Aber | |
| mit jedem Schritt Aufklärung fragt sich der Zuschauer mehr und mehr, warum | |
| eine Frau wie Joan sich überhaupt auf einen Mann wie Joe lebenslang | |
| eingelassen hat. | |
| Das Buch immerhin beschäftigt sich über weite Strecken mit dem Bild der | |
| „Ehefrau“ und zeigt dabei nicht nur ironisch die geschlechtliche Rigidität | |
| dieses Konzepts auf: Jene Art von emotionaler, organisatorischer und | |
| physischer Unterstützung, wie sie eine für ihren Mann engagierte „Ehefrau“ | |
| zu leisten im Stande ist, lässt sich nur „weiblich“ vorstellen. Dabei macht | |
| Wolitzer in der Vorlage das Modell so schmackhaft, dass man wünscht, es | |
| gäbe ein Patent dafür, das auch schreibende Frauen nutzen könnten. | |
| Im Film fällt diese Reflexion leider weitgehend weg. Stattdessen versucht | |
| das Drehbuch eine deutlichere Antwort dafür zu finden, warum Joan Joes | |
| Eitelkeiten mitmacht. Wobei die in der Vorlage schon wenig überzeugenden | |
| Hinweise, Joan habe realistischerweise nicht daran geglaubt, dass man sie | |
| als [2][„female writer“ je ernst nehmen würde], im Film nun erst recht | |
| hoffnungslos altmodisch wirken. | |
| 3 Jan 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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