| # taz.de -- Politik-Dokumentarfilm „Aggregat“: „Machen Sie sich einen Kno… | |
| > Wie funktioniert Demokratie? Marie Wilkes Doku-Film „Aggregat“ beobachtet | |
| > still und präzise zwischen Workshops und Infoständen. | |
| Bild: Stille Bilder für das Geschäft der Demokratie – hier ein Modell des R… | |
| „Wir spielen Bundestag!“ Das wäre durchaus eine Idee für ein künftiges | |
| Spiel des Jahres. Alle Generationen können teilnehmen, man muss keine | |
| Pantomime machen. Der Reichstags-Gong ertönt, und einer oder eine schlägt | |
| in der Rolle des Bundestagspräsidenten ein Gesetz zur Abstimmung vor. Etwa | |
| über den Butteranteil im Dresdner Stollen, der auf mindestens 30 Prozent | |
| festgeschrieben werden soll. Aufforderung zum Handheben für das | |
| „Bundesbutterstollengesetz“, liebevoll verkürzter Arbeitstitel: BuBuStoG. | |
| Prompt finden sich Ablehner und Befürworter in allen Fraktionen. So macht | |
| Demokratie Spaß, oder? | |
| In einer der ersten Szenen ihrer Demokratie-in-Arbeit-Dokumentation | |
| „Aggregat“ zeigt Marie Wilke eine solche „Bundestagssimulation“, wie si… | |
| einem Besucherzelt irgendwo außerhalb Berlins mit interessierten, | |
| entspannten Touristen stattfindet. Professionell-freundliche Moderatoren | |
| leiten an und erläutern die Vorgänge; die Stimmung ist heiter, aus den | |
| Lautsprechern ertönt ein Ausschnitt aus einer Rede von Angela Merkel: „Wir | |
| wollen niemanden zurücklassen!“ | |
| Später am Infostand beklagt sich ein Bürger über die Länge der Henkel an | |
| der mit Bundesadler bedruckten Stofftasche, die hier verschenkt wird. | |
| „Machen Sie sich einen Knoten rein!“, schlägt der freundliche junge Mann | |
| hinterm Tresen als Problemlösung vor. „Das sieht dann aber doch sehr | |
| zigeunerisch aus – und wir sind ja ordentliche Leute!“, antwortet der | |
| Bürger scherzhaft. Szenen aus Deutschland anno 2016 und 2017. | |
| Wilkes „Aggregat“ gehört zu jener Sorte Dokumentarfilm, die alles anders | |
| macht als etwa Michael Moore, aber das mit Sorgfalt, Bedacht und großer | |
| Inspiration. Statt lautstarkem Engagement gibt es hier stille Beobachtung, | |
| statt Ich-Erzählung eine Reihe nur durch Schwarzbild unterbrochener | |
| Sequenzen, die jeweils einen Ort und das Geschehen dort dokumentieren: | |
| beschriebene Bundestagssimulation, ein Workshop zum Umgang mit | |
| rechtspopulistischen Argumenten, Demonstrationen, auf denen „Festung | |
| Europa“ und „Lügenpresse“ skandiert wird, SPD-Bundestagsabgeordnete bei | |
| Ortsterminen in ihrem Wahlkreis, Redaktionssitzungen in taz und Bild und | |
| einiges mehr. | |
| Die unterkühlte äußere Form mag darüber hinwegtäuschen, wie stark das | |
| Engagement der Filmemacherin, ihres Kameramanns Alexander Gheorghiu und | |
| ihres Co-Cutters Jan Soldat tatsächlich ist: Ihnen gelingt mit „Aggregat“ | |
| eine so präzise wie erhellende Bestandsaufnahme des gegenwärtigen | |
| politischen Diskurses in der Bundesrepublik, dessen, „was so abgeht in den | |
| Köpfen“ – dass man sich danach tatsächlich animiert fühlt. | |
| ## Auch den Gegenargumenten Platz einräumen | |
| Sicher, den Pegida-Klagen und „Wutbürger“-Einwänden wurde zuletzt viel | |
| Platz in den Medien eingeräumt. Man kennt die rhetorischen Figuren mit | |
| ihrer latenten oder völlig unversteckten Ausländerfeindlichkeit und dem | |
| beständigen Fingerzeig auf „die“, die nicht zu integrieren seien und es | |
| sich hier unverdient gutgehen lassen. Was Wilkes Film vom herkömmlichen | |
| TV-Feature unterscheidet, ist die Rahmensetzung: „Aggregat“ räumt auch den | |
| Gegenargumenten und mehr noch dem Ringen um solche Platz ein. | |
| Nicht, dass alles schon getan sei, wenn man einer Litanei über „mir wird | |
| die Rente gekürzt, damit es denen gut geht“ ein einfaches „die Renten | |
| wurden doch in Wahrheit erhöht, uns geht es besser denn je, wir können doch | |
| was abgeben“ entgegnet. Die Reaktionen, die man auf diese sachlichen | |
| Hinweise bekommt, sind die eigentlich interessanten. Sie verraten etwas | |
| über die sogenannten Narrative, jene Erzählungen, die sich ungeschrieben, | |
| in Form von oral history, verbreiten, sich unhinterfragt festsetzen und | |
| gleichsam unbewusst die Wahrnehmungen der Wirklichkeit und damit das | |
| politische Denken des Einzelnen bestimmen. | |
| 2 Dec 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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| taz.gazete | |
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