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# taz.de -- Experte zu Bildungsungerechtigkeit: „Es bräuchte klarere Standar…
> Kinder aus ärmeren Familien besuchen seltener das Gymnasium, hat die
> Iglu-Studie gezeigt. Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani fordert mehr
> Transparenz.
Bild: Aladin El-Mafaalani
taz: Herr El-Mafaalani, laut der [1][aktuellen Iglu-Studie] bekommen Kinder
aus einkommensschwachen Haushalten seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium,
weil die Latte für sie höher liegt. Sie müssen deutlich besser lesen können
als Kinder reicher Eltern. Überrascht sie das?
Aladin El-Mafaalani: Nein. In der Studie gibt es keine Überraschungen, nur
traurige gesicherte Befunde.
Wie lässt sich der Zusammenhang erklären?
Zum einen können Lehrkräfte die Kinder unbewusst falsch einschätzen, etwa
weil sie selbst akademisch geprägt sind und dadurch die Talente von
ebenfalls akademisch geprägten Kindern eher erkennen. Teilweise entscheiden
sich Lehrkräfte auch bewusst gegen eine Gymnasialempfehlung, weil sie
befürchten, dass Kinder aus ärmeren Haushalten auf einem Gymnasium
schlechter klarkommen. Das heißt also: Wenn ein Kind im Hinblick auf die
Leistungseinschätzung an der Grenze liegt, können leistungsferne Aspekte
eine Rolle spielen. Beide Varianten der Ungleichbehandlung sind nicht in
Ordnung. Ein Problem dabei ist aber: Ließe man die Eltern alleine
entscheiden, würde es noch unfairer sein.
Die Eltern entscheiden ungerechter als die Lehrkräfte?
Genau. Reiche Eltern entscheiden sich eher für ein [2][Gymnasium], obwohl
ihr Kind gar nicht so leistungsstark ist. Ärmere Eltern entscheiden sich
nicht selten gegen ein Gymnasium, obwohl ihr Kind eine Gymnasialempfehlung
hat. Die Iglu-Studie bezieht sich dabei nur auf die Fähigkeit zu lesen. Das
ist aber natürlich nicht der einzige Faktor, der die Entscheidung der
Eltern beeinflusst.
Warum entscheiden sich ärmere Eltern denn noch gegen das Gymnasium?
Die Eltern befürchten, dass sie ihren Kindern auf einem Gymnasium nicht
helfen können, weil sie selbst etwa nur eine Hauptschule besucht haben. Sie
sorgen sich, dass ihre Kinder sich dann alleine durchkämpfen müssen. Die
Eltern meinen teils auch, dass nur Kinder von Anwältinnen, Ärzten und
Lehrerinnen Gymnasien besuchen. Das ist in der Realität natürlich nicht
mehr so. Der größte Teil der Kinder besucht heute ein Gymnasium.
Dennoch fragen sich diese Eltern: Kann mein Kind in diesem Umfeld Anschluss
finden? Auch eigene Gefühle von Scham und Hilflosigkeit spielen da mit
rein. Viele Eltern, die selbst eine Hauptschule besucht haben, sind dann
damit zufrieden, dass ihre Kinder auf eine Realschule gehen, auch wenn sie
das Potenzial für ein Gymnasium hätten. So entfernen sich die Kinder auch
weniger von ihnen.
Gilt das auch für Kinder aus migrantischen Haushalten?
Nein, es lässt sich feststellen, dass migrantische Eltern ihren Kindern
eher mehr zutrauen. Auch die Iglu-Ergebnisse weisen darauf hin.
Wie erklären Sie das?
Migrant:innen sind mutiger. Migration erfordert ein relativ hohes Maß an
Risikobereitschaft. Entsprechend kann man feststellen, dass
Migrant:innen tendenziell höhere Erfolgserwartungen an ihre Kinder
haben.
Was muss sich ändern, damit die Empfehlungen für das Gymnasium gerechter
werden?
Das aktuelle System ist naturwüchsig und unsystematisch. Was die konkrete
Ausgestaltung angeht, will ich mich nicht festlegen. Die Empfehlungen
müssen aber in jedem Fall transparenter werden. Aktuell werden die
Entscheidungen je nach Gegend und Schule sehr unterschiedlich gefällt. Die
regionalen Abweichungen sind zum Teil enorm, selbst innerhalb eines
Bundeslandes.
Es bräuchte klarere Standards, denn die Entscheidungen von Eltern und
Lehrkräften basieren aktuell auf viel mehr als nur den fachlichen
Kompetenzen der Kinder: [3][Lehrkräfte] bewerten ja auch die Heftführung,
das Sozialverhalten, die Disziplin und die mündliche Mitarbeit der Kinder.
Wir müssen uns fragen, ob das wünschenswert ist. Denn in diesen Bereichen
unterscheiden sich Kinder aus verschiedenen Milieus einfach. Das gilt es zu
reflektieren. Und noch wichtiger: Über 25 Prozent der Kinder erreichen
nicht die Mindestlernziele. Das ist ein großes Problem.
17 May 2023
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## AUTOREN
Moritz Müllender
## TAGS
Bildungschancen
Bildungssystem
Schule
GNS
Gymnasium
soziale Ungleichheit
Integration
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Bildung
Arbeiter
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