# taz.de -- Eröffnungswochenende der Ruhrtriennale: Sprache ist immer auch Her… | |
> Eine künstlerische Revolte gegen den Westen bei der Ruhrtriennale? | |
> Zumindest finden sich postkoloniale und migrantische Motive im Programm. | |
Bild: Fehlt in westlichen Geschichtsbüchern: die Rekrutierung von Afrikaner*in… | |
Seit dem Start vor 16 Jahren hat keine Kontroverse in diesem Ausmaß die | |
Eröffnung der Ruhrtriennale überschattet. Losgetreten hat die politische | |
Diskussion die künstlerische Leiterin Stefanie Carp selbst. Die Intendantin | |
lud die schottische Pop-Band Young Fathers ein, [1][die mit der | |
israelkritischen Bewegung BDS sympathisiert]. Die Abkürzung steht für | |
„Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ gegen den Staat Israel. Nach | |
einer ersten Welle der Empörung lud Carp die Musiker aus, um sie später | |
wieder einzuladen. Schließlich sagte die Band selbst ab. | |
Das Festival hatte nun seinen Antisemitismus-Eklat, der den Sommer über | |
immer wieder befeuert wurde. Bis zur Eröffnung: NRWs Ministerpräsident | |
Armin Laschet (CDU) ließ ausrichten, der offiziellen Eröffnung mit Carp und | |
allen Aufführungen fernzubleiben, um ein „Zeichen in der um die | |
Ruhrtriennale entflammten Debatte um Antisemitismus zu setzen“. Ein Novum | |
in der Geschichte des mit 13 Millionen subventionierten Kunstfestivals, das | |
ein prestigeträchtiges Aushängeschild für das Bundesland ist. So ließen es | |
sich die Ministerpräsident*innen in den letzten Jahren nicht nehmen, | |
gemeinsam mit der künstlerischen Leitung vor die Kameras zu treten. | |
Stefanie Carp, für drei Jahre als künstlerische Leiterin berufen, sah sich | |
noch am Tag der Eröffnung scharfem Gegenwind ausgesetzt. Der Zentralrat der | |
Juden plädierte öffentlich für eine Ablösung der Intendantin. Diese wehrte | |
sich in Interviews und bezeichnete die Vorwürfe als „übertrieben und | |
unverhältnismäßig“. | |
Und das Programm aus internationalen Künstler*innen, darunter viele aus dem | |
afrikanischen und arabischen Raum? Es trat bei dem Wirrwarr fast in den | |
Hintergrund. Bis schrilles Sirenengeheul ertönte. So klingt der Gesang zu | |
Beginn von „The Head and the Load“ unter der Regie von William Kentridge, | |
endlich der künstlerische Auftakt der diesjährigen Ruhrtriennale. Mit ihm | |
wurde ein Kapitel ins Gedächtnis katapultiert, das in den westlichen | |
Geschichtsbüchern fehlt: die rücksichtslose Rekrutierung von | |
Hunderttausenden afrikanischen Einwohner*innen durch die Kolonialmächte | |
während des Ersten Weltkriegs. | |
## Ein Panorama in Bewegung | |
Der südafrikanische Künstler und Anti-Apartheid-Aktivist mobilisiert dafür | |
in der Duisburger Kraftzentrale einen multimedialen Marsch aus Musik, Tanz, | |
Schattenspielen, Animationen, Archivaufnahmen, Performance, Projektionen – | |
ja, es kann nicht alles überblickt werden auf dieser rund 80 Meter | |
umfassenden Breitbandbühne in der einstigen Industriehalle. Überforderung | |
und Verwirrung gehören zum Programm dieser Prozession, die dadaistische | |
Motive aufgreift: etwa Kurt Schwitters’ „Ursonate“ oder Tristan Tzara | |
(übersetzt in isiZulu). | |
Da proklamieren uniformierte Kolonialherren-Karikaturen in einem | |
Kauderwelsch, in dem sich Dadaismus und Chaplins „Großer Diktator“ die Hand | |
geben. Sprache ist immer auch Herrschaft und diese ist wiederum Triebfeder | |
der europäischen Geschichte. Kentridges Collage lässt dieses | |
Zeichenmaterial wie Sprengstoff explodieren, das Gerede der europäischen | |
Machthaber wird als überdimensionales „Kabooom“ auf die Leinwand gehämmer… | |
als münde es aus Gewehren. | |
„Wir müssen etwas anderes finden“, das verkündet am Ende ein Herr im gelb… | |
Jackett über diese Geschichte des afrikanischen Kontinents, der bis heute | |
schwer an der Geschichte der Kolonialzeit trägt. Eine künstlerische Revolte | |
gegen den Westen bei der diesjährigen Ruhrtriennale? Zumindest finden sich | |
einige postkoloniale und migrantische Motive im Programm. Insbesondere an | |
diesem Eröffnungswochenende: Unter der Leitung von Stefanie Carp erweist | |
sich das Festival bisher als künstlerisches Laboratorium gegen Angst und | |
Alternativlosigkeit, die den politischen Gegenwartsdiskurs diktieren. | |
Dazu gehören auch erfrischend politische Projekte wie etwa die | |
Video-Installation „Vom Nutzen der Angst“ von Peggy Buth. Die Künstlerin | |
veranschaulichte erstmals 2017 im Essener Folkwang-Museum mit ihrer | |
Recherche, wie sehr im Ruhrgebiet der urbane Raum durch den | |
Thyssen-Krupp-Konzern ökonomisch durchdrungen ist – bis hin zur Verleugnung | |
der Verstrickungen des Stahlunternehmens in den Faschismus. | |
Für die Ruhrtriennale hat Buth die Installation um weitere Videokanäle | |
erweitert. In der ehemaligen Kirche St. Barbara in Duisburg-Rheinhausen, wo | |
einst die Hütten- und Bergwerke das Zentrum einer heute weitestgehend | |
deindustrialisierten Region bildeten, präsentiert sie unter anderem | |
Archivaufnahmen des längsten Arbeitskampfes in der Geschichte des | |
Bundesrepublik. | |
## Arbeitshelme bedecken den Bühnenboden | |
Der Streit um die Antisemitismus-Vorwürfe und der Festival-Boykott von | |
Armin Laschet geht währenddessen munter weiter. Vergangenen Samstag meldete | |
sich Theater-Regisseur Christoph Marthaler in einem offenen Brief zu Wort. | |
Der langjährige Wegbegleiter von Stefanie Carp steuert mit dem Musikstück | |
„Universe, incomplete“ selbst einen Beitrag für die Ruhrtriennale bei. Im | |
Namen des Ensembles wirft Marthaler dem NRW-Ministerpräsidenten vor, mit | |
seiner Entscheidung, allen Aufführungen fernzubleiben, einer kritischen | |
Auseinandersetzung mit den künstlerischen Produktionen aus dem Weg zu | |
gehen. | |
Und einen kritischen, künstlerischen Blick gab es noch am gleichen | |
Festivaltag: Der Autor Mohammad Al Attar und der Regisseur Omar Abusaada | |
sezieren in „The Factory“ den syrischen Bürgerkrieg anhand der Geschichte | |
des französischen Baustoffkonzern Lafarge im Nordosten Syriens. | |
Beide Künstler gelten als Chronisten des postrevolutionären Syriens. Die | |
Verstrickungen der einstigen Kolonialmächte werden in dieser Produktion in | |
der Tradition des dokumentarischen Theaters beleuchtet. Wie in ihren | |
bisherigen Inszenierungen (darunter etwa „Und jetzt bitte direkt in die | |
Kamera“) verzichten Autor und Regisseur nicht auf eine mediale Metaebene, | |
„The Factory“ spielt zuweilen mit der Ästhetik von TV-Dokumentationen. | |
Die freiberufliche Journalistin Maryam (Lina Murad) rekonstruiert die | |
Chronik des Unternehmens Lafarge, das im September 2014 vom IS erobert | |
wurde. Um die Geschäfte aufrechtzuerhalten, kollaborierten die Konzernchefs | |
in Paris sogar mit der dschihadistischen Miliz – auf Kosten der | |
Arbeiter*innen. | |
Maryam lässt in Interviews den syrischen Tycoon Firas, den | |
syrisch-kanadischen Geschäftsmann Amre und vor allem den Lafarge-Arbeiter | |
Ahmad (Mustafa Kur) zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein Geflecht aus | |
verschiedenen Perspektiven, in dem alle Vertreter*innen dem Publikum ihre | |
eigene Wahrheit anbieten. Trotzdem machen Al Attar und Abusaada in ihrer | |
Inszenierung erst gar keinen Hehl daraus, für wen sie Partei nehmen: | |
Leuchtende Arbeitshelme bedecken am Ende der Inszenierung die Bühne wie | |
eine allegorische Schädelstätte aus einem barocken Trauerspiel, während der | |
Fabrikangestellte Ahmad das Leid der syrischen Zivilbevölkerung | |
artikuliert. | |
Zumindest an diesem Eröffnungswochenende zieht sich ein roter Faden durch | |
das Festivalprogramm: künstlerische Anklagen gegen das Versagen und die | |
Politik der westlichen Welt. Umso bedauerlicher erscheint es, dass einer | |
ihrer Vertreter, Armin Laschet, nicht im Publikum Platz nahm. | |
13 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Benjamin Trilling | |
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