# taz.de -- Eröffnung des Humboldt Forums: „Was für ein Monster“ | |
> Bei einer Demonstration gegen das neu eröffnete Humboldt Forum erklärt | |
> der tansanische Aktivist Mnyaka Sururu Mboro, warum dies ein „Trauertag“ | |
> sei. | |
Bild: Eine Aktivistin als „lebendes Denkmal“ steht auf einer Brücke vor de… | |
Berlin taz | Eine Minute nach zwölf Uhr, die Glocken des Berliner Doms sind | |
noch nicht ganz verhallt, ist sie plötzlich da. Wo sich eben noch Touristen | |
vor der Brüstung der Rathausbrücke in Stellung brachten, um die der Spree | |
zugewandte moderne Fassade des Humboldt Forums gut ins Handybild zu | |
bekommen, steht nun eine junge Schwarze Frau, den Blick starr in die Ferne | |
gerichtet. Wie ein lebendes Denkmal posiert sie auf dem Brückenkopf, das | |
schwarze Kleid flattert um den schlanken Körper, in der linken Hand trägt | |
sie einen Speer mit schwarzer Fahne. Ein paar Touristen nehmen sie gleich | |
mit ins Bild. | |
Auf der Steinbank vor der Brüstung zu Füßen der Frau sitzt Mnyaka Sururu | |
Mboro. Der tansanische Aktivist ist der Vater der Aktivistin, ein alter | |
Kämpfer gegen das Humboldt Forum und für mehr dekoloniale Erinnerung in der | |
Stadt. Schon vor mehr als 15 Jahren, 2005, erzählt er, hätten sie in | |
schwarzer Kleidung und mit schwarzen Fahnen an diesem Platz gestanden – | |
beziehungsweise auf der anderen Seite des Gebäudes, das damals noch der | |
Palast der Republik war. | |
Mit dem Trauermarsch, so Mboro, „haben wir an den Maji-Maji-Krieg vor 100 | |
Jahren erinnert, eine richtige Inszenierung war das mit Schlacht und | |
Feuer“. Die schwarzen Fahnen seien das Zeichen der Maji-Maji-Krieger | |
gewesen, die gegen die deutschen Kolonialherren kämpften. Der Krieg gegen | |
die Aufständischen hat nach Historiker-Schätzungen bis zu 500.000 Menschen | |
das Leben gekostet. „Was ganz interessant ist“, meint Mboro: Die | |
Überlebenden, die nach einer „Politik der verbrannten Erde“ hungrig und | |
obdachlos umhergeirrt seien, hätten damals ein riesiges Dinosaurier-Skelett | |
gefunden. „Auch das haben sich die Deutschen geholt, die Überlebenden | |
mussten die Knochen-Pakete zum Hafen tragen“, erzählt er kopfschüttelnd. | |
Der Brachiosaurus brancai ist heute die Attraktion im Naturkundemuseum. | |
So bringt die Denkmal-Aktion gleich ein paar Argumente der Gegner des | |
Humboldt Forums auf den Punkt. Nicht nur würden mit dem rekonstruierten | |
Schloss, in dem der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. wohnte, „die | |
deutschen Kolonialherren gewürdigt“, wie Mboro eine Stunde später bei der | |
Demo vor dem Lustgarten sagen wird. Auch der Inhalt des Schlosses, die | |
ethnologischen Ausstellungen vor allen, die zwar nicht an diesem Dienstag, | |
aber doch in zwei Monaten eröffnet werden, sind für ihn Anlass, von diesem | |
Tag als einem „Trauertag“ zu reden. | |
## Wessen Stadt ist das? | |
Gegen halb eins steigt Amina Koß vom Sockel und macht sich mit ihrem Vater | |
und weiteren Aktivist*innen von Berlin Postkolonial auf den Weg zum | |
Protest am Lustgarten. Sie sei in Berlin geboren und aufgewachsen, erzählt | |
sie. „Aber wenn ich sehe, dass Hunderte Millionen Euro für Prunk und Pracht | |
des Kolonialismus ausgegeben werden, frage ich mich, ob das noch meine | |
Stadt ist.“ Wofür man diesen Wiederaufbau brauche, fragt sie rhetorisch. | |
„Es ist Teil von Berlin, das viele Gebäude nicht mehr stehen, die Lücken | |
haben einen Grund, den wir nicht vergessen sollten!“ | |
Ein älterer Herr spricht Koß auf ihre Darstellung und die schwarze Fahne | |
an. Sie erklärt den Hintergrund, auch dass bis heute Tausende Schädel von | |
geköpften Aufständischen in den Depots hiesiger Museen lagern und früher | |
teils für „rassistische Forschungen“ herhalten mussten. „Bis heute warten | |
die Menschen in Tansania darauf, dass sie zurückgebracht und beerdigt | |
werden können“, sagt Koß. Der Mann hört gebannt zu, dann bedankt er sich. | |
„Ich höre das zum ersten Mal, ich bin schwer erschüttert“, sagt er. | |
Auf der Nordseite des Humboldt Forums laufen die letzten Vorbereitungen für | |
die feierliche Eröffnung mit Politiker*innen-Reden und Sektempfang. | |
[1][Die Schloss-Kritiker] haben sich bereits gegenüber vor der malerischen | |
Kulisse des Lustgartens positioniert und halten ihre Transparente und | |
Plakate für die zahlreichen Fotografen in die Höhe. Rund 100 | |
Aktivist*innen mögen es sein, und als Tahir Della von der Initiative | |
Schwarzer Menschen in Deutschland um 13 Uhr die Veranstaltung für eröffnet | |
erklärt, stimmen sie fröhlich in den zuvor eingeübten Schlachtruf ein: | |
„Tear it down – and turn it upside down.“ | |
## Was feiert ihr da? | |
Der Spruch zielt auf die jüngste Forderung der Protestbewegung, formuliert | |
von der relativ neuen C[2][oalition of Cultural Workers against the | |
Humboldt Forum (CCWAH)]: das Humboldt Forum zu definanzieren. Das Haus sei | |
„das revisionistischste Gebäude der Stadt“ erklärt eine Rednerin der CCWA… | |
Die Gelder, die dafür nun fließen sollen (wohl rund 60 Millionen jährlich), | |
„müssen umgeleitet werden für die Dekolonialisierung der Stadt“. | |
Anschließend bringt Mboro mit einer emotionalen Rede die Gefühle wohl | |
vieler Anwesender auf den Punkt, zumindest folgt seinen Worten vielfaches | |
Kopfnicken und Topfklopfen. „Was für ein Monster!“, nennt er der das | |
Schloss. Und fragt in Richtung der noch leeren Bühne gegenüber, wo gleich | |
die Politiker*innen und Staatsgäste Platz nehmen werden. „Was feiert | |
ihr da?“ Die geraubten Inhalte, die koloniale Hülle, die Gebeine in den | |
Depots, Mboro meint: „Sie sollten sich schämen, was Sie da veranstalten!“ | |
20 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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