# taz.de -- Eindrücke aus Moskau: Angst, Unsicherheit, Trotz | |
> Im Moskauer Siegespark zeigen sich viele Befragte unbeeindruckt von den | |
> Entwicklungen um die Ukraine. Doch einige geben sich auch kampfbereit. | |
Bild: Soldatendenkmal im Moskauer Siegespark (Archivbild) | |
MOSKAU taz | Plötzlich ist die Angst da. Die Unsicherheit. Und auch der | |
Trotz. Nach der [1][Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin] am | |
Montag, nach der Anerkennung der Separatistengebiete in der Ostukraine und | |
der Zustimmung des Parlaments zum Einsatz russischer Soldaten im Ausland, | |
ist die russisch-transatlantische Krise auch in Russland das bestimmende | |
Thema in den Gesprächen der Menschen. | |
Waren sie bis vor Kurzem noch recht gelassen oder gleichgültig, unterhalten | |
sie sich nun im Supermarkt, auf den Spielplätzen, in den Parks über | |
Truppenstärken, über Putins aufgedunsenes Gesicht, über die „Politik“, w… | |
sie es nennen. „Was für einen Stuss sagte er denn da?“, „Was tun unsere | |
Mächtigen uns nur an?“, „Ich habe Angst vor dem Morgen“, sagen sie. Aber | |
auch: „Wir haben es den Amerikanern gezeigt.“ | |
Im Siegespark im Moskauer Westen posieren am Mittwoch Männer und Frauen vor | |
den Soldatendenkmälern für Fotos. Junge Paare spazieren durch den | |
Nieselregen, Großmütter ermahnen ihre Enkel*innen, nicht allzu rasant auf | |
ihren Rollern herumzufahren. „Mama, was sind denn das für Stöcke in den | |
Händen der Männer?“, fragt ein Mädchen in rosafarbener Winterjacke. Sie | |
klettert auf das Podest des Bronzedenkmals für die „Helden des Ersten | |
Weltkriegs“, gleich am Eingang zum Park. | |
Drei Jahre alt ist sie, die abschüssige Fläche des Mahnmals mit der | |
Nachbildung von Offizieren, Krankenschwestern und einer riesigen russischen | |
Flagge, nutzt sie als Rutsche. Sie jauchzt – und wundert sich. „Komische | |
Stöcke, wirklich.“ Die Mutter geht in die Hocke, nimmt ihre Tochter in den | |
Arm und sagt: „Das sind keine Stöcke, das sind Waffen. Jemand, der sehr | |
böse ist, hat das Haus dieser Männer überfallen, also haben sie sich | |
zusammengetan und sind losgezogen, um für ihr Haus einzustehen. Dafür | |
brauchen sie ihre Gewehre, Pistolen, Geschosse. Sie wollen ihr Haus | |
behalten, deshalb kämpfen sie, manche sterben dabei. Und wenn diese Waffen | |
nicht helfen, holen sie noch andere Männer, die noch mutiger sind. Mit noch | |
größeren Waffen.“ | |
Das Mädchen schaut fragend und rennt weg, ihre Zwillingsschwester einholen. | |
„Man kann den Kindern gar nicht früh genug erklären, wie wichtig es ist, | |
sich vor Feinden zu verteidigen“, sagt Alexandra, die Mutter. | |
Es ist Feiertag in Russland, Tag des Vaterlandsverteidigers. Die Busse sind | |
mit Fähnchen geschmückt, im Radio läuft Militärmusik. Zu Sowjetzeiten | |
bastelten Mädchen wie Jungen für Brüder, Väter und Großväter am 23. Febru… | |
Panzer aus Streichholzschachteln, sangen Armeelieder, marschierten zum | |
Appell. Bastelstunden in Museen, Kindergärten und Schulen gibt es bis | |
heute. Thema: Militär. So wollen auch Alexandra und ihr Mann ihren | |
Zwillingen im sogenannten Museum des Sieges die Geschichte ihres Landes | |
erklären. | |
## „Wenn es Krieg gibt, dann ist es eben so“ | |
„Eine Geschichte der Sieger“, wie die 36-Jährige im Park sagt. Ihren | |
Nachnamen will sie nicht nennen, der Mann arbeite schließlich für den | |
russischen Staat, es könne Probleme geben. „Ich bin für Frieden, und | |
manchmal muss man für den Frieden in den Krieg ziehen“, sagt sie. Wenn | |
Putin rufe, fügt sie hinzu, werde sie nicht zögern. „Wenn es Krieg gibt, | |
dann ist es eben so. Es kommt, wie es kommen muss. Wir sind auf alles | |
gefasst.“ Alexandra hat über Putins Rede lediglich gelesen. „Wir stellen | |
uns auf härtere Zeiten ein, aber wir sind an so etwas schon gewöhnt“, sagt | |
sie. | |
Auch Alexei und seine Freunde, die sich im Siegespark versammeln, um | |
weiterzuziehen und zu feiern, glauben, dass es Russland nach dem Schritt | |
der Anerkennung der sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk | |
wirtschaftlich schlechter gehen wird. „Aber was ist schon die Ukraine? Das | |
Land ist russisch. Nur weil da fünf Prozent meinen, dass sie den | |
Amerikanern huldigen wollen, lassen wir uns doch nicht in die Knie | |
zwingen“, sagt Alexei. Der 45-jährige Jurist ist Kosake. Seit Jahren stärkt | |
der Kreml die patriotische Gruppierung. „Es wird Krieg geben, ja, kurz und | |
schmerzlos, nach drei Tagen nehmen wir das Land ein, das feige Kiewer | |
Regime wird wegrennen“, sagt er, seine Freunde nicken. | |
Im Siegespark sind sich viele der Stärke Russlands gewiss. „Gewalt ist | |
legitim, um sich zu verteidigen“, sagen sie und wiederholen damit einen | |
Satz, den Putin zur Bekräftigung seines Tuns in der Ukraine erst am | |
Dienstag äußerte. Andere laufen weg, sobald sie auf Putins Rede | |
angesprochen werden. „Sie wissen ja, Kritik am Staat kann böse enden“, sagt | |
eine Frau. Das russische Fernsehen sendet im Tagesverlauf immer wieder eine | |
[2][Karte der Ukraine], die Moderatoren erklären, welche Gebiete dabei | |
„Geschenke“ des Zarenreichs, der Sowjetunion, Russlands waren. So bleibt | |
von der Ukraine nur eine kleine gelbe Fläche übrig. | |
## Dienst am Vaterland | |
„Der wahre Aggressor ist Amerika. Die Ukraine ist nur ein Instrument, um | |
Russland klein zu halten“, sagt Anna Pham im Siegespark. Sie wiederholt | |
wörtlich das propagandistische russische Narrativ: In den Augen der | |
29-Jährigen ist Russland das einzige Land, das den USA Paroli bieten könne, | |
und Putin der einzige Mann in der Welt, der den „Mut und den Willen“ habe, | |
den „Verwerfungen des Westens“ zu widerstehen. „Ich bin mir durchaus | |
bewusst, dass unsere Regierung wenig für uns tut, aber …“, sagt sie – und | |
wettert weiter gegen Washington. | |
Ihr Freund Kirill äußert die Sorge, dass sie, von Beruf Ärzte, im Krieg | |
eingesetzt werden könnten. „Dann ist es eben so! Es ist unser Dienst an | |
unserem Vaterland“, herrscht ihn die Moskauerin an. | |
Putin spricht derweil im Fernsehen – von russischen Waffen, die | |
„ihresgleichen in der Welt suchen“. | |
23 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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