| # taz.de -- Eichsfeld in Thüringen: Warum die AfD hier keine Chance hat | |
| > „Gazastreifen von Thüringen“ nannte Ministerpräsident Ramelow das | |
| > Eichsfeld einst. AfD-Mann Höcke kandidiert lieber woanders. Wie kommt's? | |
| Bild: Zwischen Mittelalter und Anarchie: der dienstälteste deutsche Landrat, W… | |
| Heiligenstadt und Steinbach taz | Als „Gazastreifen von Thüringen“ hatte | |
| Bodo Ramelow 2009 das Eichsfeld, den nordwestlichsten Landkreis Thüringens, | |
| bezeichnet. Da war der Linke noch der politische Poltergeist, bevor er fünf | |
| Jahre später zum Landesvater avancierte. Im Landtagswahlkampf 2019 | |
| schmeichelte sich der Ministerpräsident wieder ein: „Das Eichsfeld ist | |
| immer Vorzeigekreis gewesen!“ Und Papst Benedikt sprach bei seinem Besuch | |
| 2011 gar vom „katholischen Gallien“. Woher rührt die Renitenz und Resistenz | |
| der Region? | |
| Rund 150.000 Einwohner leben in der Region zwischen Göttingen, dem Südharz | |
| und dem Hainich-Höhenzug. Den Zusammenhalt der [1][historischen | |
| Landschaft], die zum Großteil in Thüringen liegt, doch auch nach Hessen und | |
| Niedersachsen ragt, konnte selbst die DDR-Hochsicherheitsgrenze nicht | |
| schmälern. Nach der Wende waren die alten Verbindungen schnell wieder da. | |
| Als Thüringer fühlen sich die Eichsfelder nicht, sprechen oft von | |
| Fremdherrschaft in den vergangenen 200 Jahren. Bis 1802 hatte die Gegend | |
| als Exklave fast 700 Jahre lang zum kurfürstlichen Mainz gehört. Mainz | |
| liegt nur eine Rheinbreite entfernt von Hessen, aber ein 2014 aus Hessen | |
| Eingewanderter gilt im frommen Eichsfeld als Fremder. | |
| Umso makabrer, dass AfD-Landeschef Björn Höcke in Bornhagen im | |
| nordwestlichen Zipfel der Region ausgerechnet ein altes Pfarrhaus kaufte. | |
| Einen Fuß auf den heiligen Boden der Bodenständigen bekam der | |
| AfD-Chefideologe aber nie. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren gaben ihm | |
| nur 21 Prozent ihre Erststimme. Damals hatte er angekündigt, „den Erbhof | |
| der CDU sturmreif zu schießen“. | |
| ## Höcke ist geflüchtet | |
| Bei den Kommunalwahlen 2019 erreichten die extrem Rechten kaum ein Drittel | |
| der CDU-Anteile von 48,6 Prozent. Im März dieses Jahres ergriff der | |
| designierte AfD-Propagandaminister [2][Höcke] dann die Flucht. Zur | |
| Landtagswahl am 1. September sucht er sein Heil nun bei den Heil-Rufern im | |
| Wahlkreis Greiz, also im thüringischen Vogtland. | |
| Sogar der alte politische Volkswitz erwacht im Eichsfeld jetzt wieder. Es | |
| sei eine drastische Zunahme von Schulter-Operationen in Thüringen zu | |
| beobachten, wird erzählt. Bürger fürchteten, ihren rechten Arm nach der | |
| Wahl nicht hoch genug zum Führergruß heben zu können. | |
| Und das in einem manchmal spießigen Landstrich mit Dörfern, die aussehen | |
| wie mit der Zahnbürste gereinigt! Aber man versteht hierzulande auch zu | |
| genießen. Zweite Nationalreligion ist die konservativ-kulinarische der | |
| Fleischanbetung. Dass man hier vom „Gehackten“ spricht und nicht vom | |
| Hackepeter, [3][hat im TV-Duell gegen Mario Voigt (CDU) nun sogar der | |
| zugereiste Höcke gelernt]. | |
| Nichts mehr über die Eichsfelder lernen muss der dienstälteste deutsche | |
| Landrat Werner Henning. Schon im Herbst 1989 übernahm der heute 67-Jährige | |
| das Amt. Seit seinem Abitur gehörte er der Ost-CDU an, so wie zehn Prozent | |
| der Einwohner in seinem Dorf. Sein Landratsamt, das Schloss in | |
| Heiligenstadt, muss er altersbedingt nach der Kommunalwahl Ende Mai | |
| verlassen. 2018 war er zum fünften Mal direkt mit sagenhaften 82,3 | |
| Stimmenprozenten gewählt worden. | |
| ## Respektvoll, aber nicht untertänig | |
| Der Germanist, der über Lessing promovierte, könnte ebenso gut als | |
| Ethnologe gelten. „Wir sind nie primär politisch gewesen, sondern | |
| gemeindlich“, analysiert er. Die konfessionelle Insellage habe zu einem | |
| „eigenen kulturellen Verständnis im Umgang mit der jeweiligen Macht“ | |
| geführt. Das Verhältnis zum Staat bezeichnet er als respektvoll, aber nie | |
| untertänig. | |
| „Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist“, sagt | |
| Jesus im Neuen Testament. Zu Staat und Parteien hielten die Eichsfelder | |
| Distanz. Als widerständig, gar anarchistisch würde sie Landrat Henning aber | |
| nicht bezeichnen. „Der Rechtsrahmen sollte uns in eigener Freiheit leben | |
| lassen!“ | |
| So erscheinen hier die von Höcke „auf großer Bühne formulierten Ansprüche | |
| sehr [4][schrill, krawallig] und besitzergreifend“. Seine „ideologischen | |
| Zudringlichkeiten und politischen Verbohrtheiten“ etwa bei Kreistagsreden | |
| sind den Eichsfeldern fremd. „Das haben wir schon in der alten Welt nicht | |
| mit uns machen lassen“, sagt der Landrat mit Blick auf die DDR-Zeit, es | |
| schimmert emanzipatorischer Stolz durch. „Es gehört sich einfach nicht, in | |
| so negativer gehässiger Weise auf andere Menschen draufzugehen!“ | |
| Zehn Kilometer von Heiligenstadt, in einem historischen Fachwerkhof des | |
| Dörfchens Steinbach, trifft man Peter Anhalt, Vorsitzender eines Vereins | |
| für Heimatkunde. Er ist mit 460 Mitgliedern der größte in Thüringen. Der | |
| Regionalpatriotismus ist hier deutlich zu spüren. Er spricht sogar von | |
| Mainzisch geprägter rheinischer Kultur, katholisch und feierfreudig. | |
| ## Viele hier glauben, Gott helfe ihnen | |
| „Selbst etwas machen und anpacken“ sei die Grundmentalität hier, nach dem | |
| alten Grundsatz „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“. In der Geschichte | |
| wurde daraus eine Mischung aus Widerstand gegen Fremdherrschaft und | |
| Kulturkampf, aber auch Arrangement, das auch als „Rosenkranzkommunismus“ | |
| bezeichnet wird. | |
| Zuvor war noch 1933 beispielsweise im Heiligenstädter Stadtrat die NSDAP | |
| gegenüber dem katholischen Zentrum in der Minderheit. Doch in Duderstadt | |
| lag ein Außenkommando des KZ Buchenwald und bis in die Gegenwart gibt es | |
| rechte Gewalt, etwa als Neonazis in Fretterode zwei Journalisten fast | |
| umbrachten. | |
| Auch der verurteilte Ex-NPD-Funktionär Torsten Heise kaufte ein Haus im | |
| Eichsfeld. Leute wie Peter Anhalt ärgert das. Deren Ausgrenzungsideologie | |
| sei „unchristlich, nicht eichsfeldisch“. Es gebe verirrte Schafe, aber | |
| „wenn man katholisch ist, wird man kein Höcke“! Anhalts Wahlprognose für | |
| 2024 ist deshalb klar: „Die CDU wird wie immer stärkste Kraft sein!“ | |
| Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und | |
| Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, | |
| was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche | |
| Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre | |
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| 8 May 2024 | |
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| Michael Bartsch | |
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