Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ehrenamtliches Engagement in der Ukraine: Unbezahlt und ohne Pausen
> In einem Theater in der westukrainischen Stadt Luzk organisieren
> Freiwillige Spenden für die Soldaten an der Front. Lohn verdient dabei
> niemand.
Bild: Mitarbeiterin einer anderen Hilfsorganisation im ukrainischen Luzk
Luzk taz | 35 Prozent der Ukrainer*innen engagieren sich als Freiwillige
für Zivilgesellschaft oder das Militär. Das geht aus einer Umfrage der
Gruppe „Rating“ von Anfang April hervor. Und die Stiftung „Demokratische
Initiativen“ stellt fest: 57 Prozent der Bevölkerung in der Zentral- und
der Westukraine engagieren sich ehrenamtlich.
In der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen [1][spenden 80 Prozent Geld oder
helfen]. Soziolog*innen sind erstaunt: So hohe Werte wurden in der
jüngeren Geschichte der Ukraine noch nie ermittelt – selbst 2014 nicht, als
der Krieg begann. Derzeit sind Freiwillige täglich auf den Straßen jeder
x-beliebigen Stadt in der Ukraine zu sehen.
Ein warmer Freitagabend im Juli. Im Zentrum der westukrainischen Stadt Luzk
singen Musiker. Neben ihnen steht eine große Plastikbox mit Geld. Sie ist
bis zur Hälfte mit Münzen und Scheinen gefüllt. Hier wird Geld für die
Armee gesammelt. Dieses Konzert, wie auch Dutzende andere Auftritte von
regional bekannten Gruppen, haben Freiwillige der Gruppe „Hangar“
organisiert. Seit dem 24. Februar haben sie für die Truppen rund eine
Million Dollar zusammenbekommen.
Die inoffizielle Chefin dieser freiwilligen Helfer*innen für die
russisch-ukrainische Front, Olga Waljanik, lädt ihre Gäste in eine große
Halle namens „Hangar“ ein, die sich im Industriegebiet von Luzk befindet.
Früher stand hier ein Lagerhaus, danach war hier ein alternatives Theater
namens „Garminder“ untergebracht. Am 24. Februar meldeten sich Dutzende
Schauspieler*innen zum Freiwilligendienst und nutzen seitdem ihre
Bekannt- und Freundschaften, um Spenden zu sammeln, vor allem Lebensmittel
und militärische Ausrüstungsgegenstände. Alles wird an Einheiten im Süden
und Osten der Ukraine geschickt.
## Im Krieg gibt es keine freien Tage
In dem einstigen Theater stapeln sich auf der Bühne und Backstage nun
Hunderte Kartons. Die Schauspieler*innen sind jeden Tag hier – sie
sortieren und packen alle möglichen Dinge ein, die die Soldaten brauchen.
Hangar gleicht einem Ameisenhaufen: Frauen packen Waren in Kisten, die dann
von Männern verstaut werden, währenddessen bringen andere Freiwillige
ständig neue Dinge von der Straße hinein.
Im Hintergrund wird telefoniert und lebhaft diskutiert: Wie viel Guthaben
ist auf dem Konto? War das Auto beladen? Wie lange muss noch auf
„Drehkreuze“ gewartet werden, mit denen Blutungen gestoppt werden können?
„Bei uns gilt der Grundsatz, dass es im Krieg keine freien Tage gibt.
Deshalb wird die Arbeit nicht eine Minute unterbrochen“, sagt eine
Freiwillige.
Im Hangar arbeiten rund 30 Leute. Einige sind ständig im Einsatz, andere
machen das neben ihrem Hauptjob. Die Arbeitszeit ist unbegrenzt. Jederzeit
können Fahrzeuge eintreffen, die beladen werden müssen. An diesem Tag sind
mit Roman Ewglewski und Dmitri Wergun zwei Freiwillige aus Charkiw
gekommen, um Hilfsgüter abzuholen.
Für Dmitri Wergun ist das bereits die vierzehnte Fahrt nach Luzk. „Heute
bringen wir Medikamente, Lebensmittel und Trockenrationen nach
[2][Charkiw]. Die Armee ist in einigen Richtungen in die Gegenoffensive
gegangen, es blieb keine Zeit zur Vorbereitung und die Armee braucht
dringend Trockennahrung. Ein Auto fährt ganz dicht an die Front, von dort
werden die Hilfsgüter an die Kompanien verteilt“, sagt er.
Hangar deckt die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Kämpfer ab – von
Medikamenten und Lebensmitteln bis hin zu Geländewagen und
Wärmebildkameras. „Jetzt werden Uniformen dringend benötigt“, sagt
Waljanik. Ihr Mann ist Sanitäter an vorderster Front. Seit dem 24. Februar
hat Hangar bereits 40 Fahrzeuge übergeben, 30 Drohnen mit Kameras und mehr
als 50 Wärmebildkameras.
## Logistik über soziale Netzwerke
Das Zentrum verfügt über eine internationale Abteilung, die sich mit der
Suche nach Produkten und deren Kauf befasst. Es gibt eine
Kommunikationsabteilung sowie Abteilungen für Produkte, Hygieneartikel und
taktische Ausrüstung. „Wir bearbeiten Anfragen aus den Regionen, wir
sprechen über Logistik und Lieferungen. Die Menschen melden sich oft. Jeden
Morgen aktualisieren wir in den sozialen Netzwerken die Liste der
Gegenstände, die wir brauchen“, sagt Waljanik.
Wie viel Geld wird den Freiwilligen bezahlt? Diese Frage ist oft in den
sozialen Netzwerken zu lesen. Auch jetzt gibt es immer noch Menschen, die
davon überzeugt sind, dass niemand einfach umsonst etwas Gutes tut. „Diese
Frage hören auch unsere Freiwilligen ständig. Bei uns hat niemand seit dem
24. Februar Lohn bekommen. Wie wir überleben? Jeder, wie er kann. Aber wenn
ich ehrlich bin: Viele sind an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, kümmern
sich wieder um ihr Business oder haben eine andere Arbeit gefunden. Andere
brauchen ihre Ersparnisse auf“, sagt Olga Waljanik.
## Ehrenamt und Beruf gehen oft Hand in Hand
Jetzt sind bei Hangar oft Freiwillige im Einsatz, die einen Beruf haben und
sich gleichzeitig ehrenamtlich engagieren. Die Kommunikation, die Suche
nach benötigten Gütern, Logistik, Buchhaltung – das alles kann man auch von
woanders machen. Oft arbeitet in den Familien einer für den
Lebensunterhalt, der andere als Freiwilliger ganztägig im Hangar.
„Nach dem Gesetz hat eine gemeinnützige Stiftung das Recht, 20 Prozent der
erhaltenen Mittel für seine eigenen Zwecke zu verwenden. Wir haben uns
jedoch am Anfang entschieden, das erst so zu machen, wenn wir die
Möglichkeit dazu haben. Jetzt suchen wir einen Sponsor, der zumindest
Minimallöhne für unsere Mitarbeiter*innen finanzieren kann“, sagt Olga
Waljanik.
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
11 Jul 2022
## LINKS
[1] /Verstaerkung-der-ukrainischen-Armee/!5861920
[2] /Krieg-in-der-Ukraine/!5861918
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ehrenamt
Freiwillige
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Nordstream
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinder in der Ukraine: Alles für den Sieg
Schach gegen Spende, den eigenen Zopf verkaufen – so sammeln kleine
Ukrainer Geld für die Armee. Manche errichten Straßensperren.
Kriegslage in der Ukraine: Vor einem blutigen Sommer
Kiew kündigt an, den zu Kriegsbeginn verlorenen Süden der Ukraine
zurückzuerobern. Derweil verstärken Moskaus Truppen ihre Angriffe im
Donbass.
+++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: Noch höhere Inflation
Die EU rechnet mit höherer Inflation, Russland gewährt Ukrainer:innen
die Staatsbürgerschaft und Lambrecht drängt auf Digitalisierung der
Bundeswehr.
Notizen aus dem Krieg: Helfende Hippies
Viele von Aliks alten Hippie-Freunden aus dem Baltikum kommen in die
Ukraine, um zu helfen. Einzig die russischen Hippies fehlen.
Verstärkung der ukrainischen Armee: Zum Ersten, zum Zweiten …
T-Shirts, Kunstwerke, Fanartikel: Um Kriegsgerät für die Armee zu
finanzieren, versteigern viele Ukrainer:innen ihr Hab und Gut.
Offener Brief aus der Ukraine: Kampf um ein gemeinsames Europa
Ein offener Brief aus der Ukraine wendet sich an junge Vertreter:innen
der deutschen Zivilgesellschaft. Es ist ein Appell für mehr Unterstützung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.