| # taz.de -- EU nimmt Menschen aus der Ukraine auf: „Ein Paradigmenwechsel“ | |
| > Im Eiltempo beschließen die EU-Innenminister, Ukrainer:innen | |
| > unbürokratisch Zuflucht zu gewähren. Doch die neue Humanität gilt nicht | |
| > allen. | |
| Bild: Bereits eine Million Menschen geflohen: Ukrainer:innen an der polnischen … | |
| Berlin taz | Die EU wird [1][Flüchtlingen aus der Ukraine] Zuflucht | |
| gewähren. Darauf einigten sich die Innenminister der Mitgliedstaaten am | |
| Donnerstag in Brüssel. Vor allem für ukrainische Staatsangehörige wird ein | |
| Schutzmechanismus aktiviert, mit dem diese ohne Asylantrag aufgenommen | |
| werden. | |
| Die Rechtsgrundlage hierfür ist eine bisher noch nie genutzte Richtlinie | |
| aus dem Jahr 2001, die nach den Balkankriegen geschaffen worden war. Die | |
| EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sprach von einer „historischen, | |
| einstimmigen Entscheidung.“ [2][Auf Twitter] schrieb sie: „Die EU steht | |
| geeint, um Leben zu retten.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) | |
| sagte, es sei sehr gut, dass auch Länder, die bislang wenig bereit zur | |
| Flüchtlingsaufnahme waren, den Beschluss mitgetragen hätten. „Das ist ein | |
| Paradigmenwechsel, der gut ist, und ich hoffe, dass diese Humanität | |
| beibehalten wird.“ | |
| Doch die neue Humanität gilt nicht für alle. Im Entwurf der Kommission war | |
| ursprünglich vorgesehen, die unbürokratische Aufnahme für alle Menschen | |
| gelten zu lassen, die aus der Ukraine kommen. Doch für [3][Angehörige von | |
| Drittstaaten], die bei Ausbruch des Krieges in der Ukraine lebten, wird | |
| dies nun nicht gelten. | |
| Österreichs Innenminister Gerhard Karner hatte gesagt, sein Land habe wie | |
| Polen, die Slowakei und Ungarn Bedenken, solchen Menschen gleichwertigen | |
| Schutz zu gewähren. „Wir brauchen rasche, unbürokratische Hilfe für | |
| ukrainische Kriegsflüchtlinge“, so Karner. „Da hilft es nicht, wenn wir | |
| Drittstaatsangehörige mit einbeziehen.“ | |
| Nun sollen die Drittstaatler:innen nach Ankunft auf EU-Gebiet in ihre | |
| Heimatländer gebracht werden. Dazu stehen laut Johansson die Behörden mit | |
| den jeweiligen Ländern in Kontakt. | |
| ## Eine Million Menschen auf der Flucht | |
| Was aber geschieht mit jenen, die nicht in ihre Herkunftsländer zurück | |
| können? Dem Vernehmen nach sollen die EU-Mitgliedstaaten für diese | |
| Personengruppe entweder die gleiche Regelung wie für Ukrainer:innen – | |
| also Aufnahme ohne Asylverfahren – anwenden, oder eine eigene Regelung | |
| erlassen. Das würde in der Praxis bedeuten, dass diese einen regulären | |
| Asylantrag stellen könnten. | |
| Nach dem Treffen veröffentlichte das Bundesinnenministerium ein Dokument | |
| zur Umsetzung des Beschlusses in Deutschland. Darin heißt es, die Menschen | |
| könnten eine Aufenthaltserlaubnis von 1 bis 3 Jahren erhalten, ihnen werde | |
| Krankenversicherung und eine Unterkunft gestellt. Sie bekämen | |
| Sozialleistungen, Zugang zum Arbeitsmarkt „gemäß nationaler | |
| Arbeitsmarktpolitik“, gewährt werde ebenfalls das Recht auf Bildung und | |
| Schulbesuch. | |
| Nach Angaben der UN sind in den sieben Tagen seit Beginn des russischen | |
| Einmarsches in die Ukraine [4][eine Million Menschen in die Nachbarländer | |
| geflohen]. Die meisten Menschen haben sich in Polen in Sicherheit gebracht, | |
| wo nach Angaben des Grenzschutzes bis zum Donnerstag 575.100 | |
| Kriegsflüchtlinge angekommen sind. In Rumänien sind mehr als 139.000 | |
| Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen. In Deutschland zählte das | |
| Innenministerium zuletzt gut 9.400 Flüchtlinge aus der Ukraine. Die UN | |
| rechnet mit weiter stark ansteigenden Zahlen. Eine Umverteilung der | |
| Menschen innerhalb der EU ist bisher nicht geplant. | |
| Laut einer Umfrage des ARD-Deutschlandtrends vom Donnerstag finden 91 | |
| Prozent der Befragten die Aufnahme vom Flüchtlingen aus der Ukraine | |
| richtig, nur 5 Prozent finden sie falsch. | |
| Reem Alabali-Radovan (SPD), die Beauftragte der Bundesregierung für | |
| Flüchtlinge und Integration, forderte einen „schnellen Zugang zum | |
| Arbeitsmarkt und zu den Integrationskursen.“ | |
| ## Sonderregelung für Jüd:innen | |
| Jüd*innen aus der Ukraine sollen aufgrund des Kriegs unter erleichterten | |
| Bedingungen in die Bundesrepublik kommen können. Das berichtete am | |
| Donnerstag die Welt. Der Zugang zu dem 1991 als „Geste der Versöhnung“ | |
| geschaffenen Status der „[5][jüdischen Kontingentflüchtlinge]“ für | |
| Zuwanderer aus den UdSSR-Nachfolgestaaten wird vereinfacht. | |
| Dem Bericht zufolge ging die Initiative dafür von den Grünen aus – für die | |
| Partei ein „Ausdruck unserer politischen und historischen Verantwortung“. | |
| Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, es stehe dazu in engen Austausch | |
| mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland. | |
| „Ziel ist, dass Menschen jüdischer Abstammung und Religionszugehörigkeit | |
| aus der Ukraine in Deutschland unter erleichterten Bedingungen und unter | |
| Beteiligung der jüdischen Gemeinden an dem Verfahren der jüdischen | |
| Zuwanderung teilnehmen können“, sagte ein Sprecher. „Grund für die | |
| Erleichterungen sind die kriegsbedingte Aussetzung des regulären Verfahrens | |
| über die Botschaft in Kiew, die humanitäre Lage in der Ukraine sowie | |
| Deutschlands historische Verantwortung.“ | |
| Derweil halten Berichte darüber an, dass nicht-weiße Flüchtlinge an der | |
| Flucht gehindert werden. In sozialen Medien machten Videos mit Szenen an | |
| der polnisch-ukrainischen Grenze die Runde, die nicht nur in Afrika für | |
| Empörung sorgten. Afrikanische Flüchtlinge berichteten, auf ukrainischer | |
| Seite tagelang in bitterer Kälte und ohne Versorgung von Grenzbeamten rüde | |
| am Passieren der Grenze gehindert worden zu sein, während weiße Flüchtlinge | |
| sie passieren konnten. Die Vorwürfe bezogen sich zum Teil auch auf die | |
| Abfertigung durch den polnischen Grenzschutz. | |
| ## Diskriminierung afrikanischer Flüchtender | |
| Der Kongolese Jean-Jacques Kabeya berichtete der Agentur AFP, am | |
| Kontrollpunkt Schegyni an der Grenze zu Polen nicht durchgelassen worden zu | |
| sein. 36 Stunden habe er vergeblich darauf gewartet, nach Polen | |
| durchgelassen zu werden, sagt Kabeya. Schließlich kehrte er zurück zum 70 | |
| Kilometer entfernten Bahnhof in Lemberg, wo er sich einer Gruppe von | |
| Landsleuten anschloss. | |
| „Es ist eine Katastrophe“, sagt der Student. Einen Ausweg aus dem Krieg hat | |
| er immer noch nicht gefunden. Kabeya studierte Pharmazie in Charkiw im | |
| Osten des Landes. Als die russischen Angriffe begannen, floh er nach | |
| Westen. Auch andere Studierende aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten | |
| berichten der Nachrichtenagentur AFP ebenfalls von rassistischer | |
| Diskriminierung auf der Flucht. Etwa 16.000 afrikanische Studierende leben | |
| nach Angaben der südafrikanischen Botschaft dort. | |
| Das UN-Flüchtlinhshilfswerk UNHCR kritisierte dies scharf: „Da die Zahl der | |
| Flüchtlinge, die aus der Ukraine fliehen, stündlich steigt, ist es von | |
| entscheidender Bedeutung, dass die Aufnahmeländer weiterhin alle Menschen | |
| aufnehmen, die vor Konflikten und Unsicherheit fliehen – ungeachtet ihrer | |
| Nationalität und Rasse,“ schrieb die Organisation auf Twitter. Eine | |
| [6][Online-Petition auf dem Portal Change.org] fordert die sichere Aufnahme | |
| von BiPoC-Personen, die vor dem Krieg fliehen. | |
| 4 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Eindruecke-aus-Charkiw/!5838920 | |
| [2] https://twitter.com/YlvaJohansson/status/1498938784825622531 | |
| [3] /Schwarze-Studierende-in-der-Ukraine/!5839227 | |
| [4] /Ukrainische-Fluechtlinge-in-Polen/!5835719 | |
| [5] /Juedische-Kontingentfluechtlinge/!5727852 | |
| [6] https://www.change.org/p/aufnahme-von-bipoc-die-vor-dem-krieg-in-der-ukrain… | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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