# taz.de -- Anrufer fragen nach Ukrainerinnen: „Die Gefahr eines Missbrauchs�… | |
> Private Initiativen bieten Schlafplätze für ukrainische Geflüchtete. Kai | |
> Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hält wenig davon. | |
Bild: Kein geeigneter Ort zur Aufnahme von Geflüchteten: Couch | |
taz: Herr Weber, was halten Sie von privaten Initiativen, die | |
[1][Schlafplätze für Ukrainer:innen] vermitteln? | |
Kai Weber: Wir sehen das kritisch, denn es besteht die Gefahr eines | |
Missbrauchs. Wir haben Anrufe bekommen von Männern, die eine „blonde | |
Ukrainerin“ aufnehmen wollten. Das wissen wir auch aus Erfahrung: Unter den | |
vielen gut gemeinten Hilfsangeboten gibt es immer auch sehr zweifelhafte | |
Motive. Deshalb braucht es ein System des Gewaltschutzes, das überprüft, | |
unter welchen Bedingungen die Menschen privat untergebracht werden und | |
welche Abhängigkeitsverhältnisse es gibt. | |
Aber das sind Bettenbörsen, da wird nichts kontrolliert. | |
Es gibt Vermittlungen, wo Leute sich die Angebote angucken, bevor sie in | |
die Datenbank aufgenommen werden. Andere sagen, wir vermitteln nur | |
Menschen, die sich bereits akklimatisiert haben, nicht mehr völlig | |
orientierungslos sind. Das finde ich sehr verantwortungsvoll. Wichtig wäre | |
auch, dass jemand mit denjenigen spricht, die Geflüchtete bei sich | |
aufnehmen wollen. | |
Warum? | |
Weil leider [2][im Überschwang der Gefühle] Wohnraum angeboten wird, ohne | |
dass es wirklich geeignete Räume dafür gibt, um längere Zeit gut | |
zusammenleben zu können. Viele machen sich vorher nicht klar, was es heißt, | |
Geflüchtete aufzunehmen. Und dass diese Nähe in privater Unterbringung von | |
vielen Ukrainer:innen gerade gar nicht gewünscht wird. Das sind | |
Menschen, die sich aus Angst vor Bomben verstecken mussten, womöglich | |
Freunde und Angehörige verloren haben. Die haben ganz andere Sorgen, als | |
sich jetzt mal interkulturell zu unterhalten. | |
Aber haben wir nicht aus den Erfahrungen aus 2015 und 2016 gelernt? | |
Es sind ja nicht unbedingt dieselben, die ihre Hilfe anbieten. Was jetzt | |
auf jeden Fall besser ist, ist der gesetzliche Rahmen. Für die ukrainischen | |
Geflüchteten wurde [3][in Windeseile ein neuer Status aus der Taufe | |
gehoben], der es möglich macht, die Menschen außerhalb des Asylverfahrens | |
aufzunehmen. Hinzu kommt, dass die Behörden sich in vielen Bundesländern | |
auf ein sehr pragmatisches Vorgehen geeinigt haben, nach dem die | |
Betroffenen selbst entscheiden können, wo sie leben wollen. Das ist ein | |
wahrer Segen, weil dieses Ausgeliefertsein im regulären Asylverfahren schon | |
immer ein Faktor war, der die Leute belastete und krank machte. Gerade | |
Kriegstraumatisierte brauchen die Möglichkeit, ihr Leben eigenständig zu | |
gestalten, weil das Gefühl der Selbstwirksamkeit ihre psychische Gesundheit | |
stärkt. | |
Was ist mit denen, die nicht wissen, wohin? | |
Die staatlich organisierte Aufnahme besteht parallel weiter, mit zentralen | |
Aufnahmestellen. | |
Sind die sinnvoll? | |
Ja. Bei einem großen Zustrom von Menschen braucht es größere Zentren, die | |
in der Lage sind, diese kurzfristig für wenige Tage unterzubringen, weil | |
sie ein Dach über dem Kopf brauchen. | |
Das wäre ja auch privat möglich. | |
Ja, aber neben den Problemen, die ich schon angesprochen habe, braucht es | |
meistens mehr als einfach nur einen Schlafplatz. In den Zentren bekommen | |
die Leute die Hilfe, die sie brauchen. Von Leuten, die sich auskennen, auch | |
ausländer- und sozialrechtlich. Sie bekommen einen Aufenthaltsstatus und | |
damit eine Krankenversicherung, sie werden gesundheitlich gecheckt, und es | |
wird geguckt, wo sie weiter bleiben können. | |
In der öffentlichen Wahrnehmung gelten diese zentralen Aufnahmestellen als | |
anonyme Massenunterkünfte ohne Privatsphäre. | |
Wir sind da auch ambivalent. Gemeinschaftsunterkünfte haben wir immer für | |
ein notwendiges Übel gehalten, das nur für einen kurzen Übergangszeitraum | |
akzeptabel ist. Wichtig ist, dass es eine zeitnahe Perspektive auf ein | |
eigenständiges Wohnen gibt. In Deutschland betreiben wir diese Sammellager | |
aber teilweise über Jahre, da kommen Menschen gar nicht mehr raus, weil ein | |
kommunales Auszugsmanagement fehlt und die Betroffenen auf dem freien | |
Wohnungsmarkt nicht konkurrenzfähig sind. Wenn die Menschen notgedrungen | |
länger in Sammellagern leben, dann muss man auch die Standards anpassen, | |
denn die Notunterkünfte haben in der Regel welche, die für Wohnen niemals | |
akzeptiert würden. Keine Privatsphäre, teilweise fehlende Zimmerdecken, | |
eine Hausordnung, die unter anderem Besuch nach 22 Uhr verbietet oder das | |
Umstellen von Betten. | |
Aber bezahlbare Wohnungen sind nun mal knapp. | |
Wirklich? Oder werden sie nicht vermietet, weil sie Spekulationsobjekte | |
sind? Wenn ich jetzt sehe und höre, welcher Wohnraum, teilweise ganze | |
Wohnparks angeboten werden zur kurzfristigen Unterbringung der ukrainischen | |
Geflüchteten, bin ich sprachlos. | |
In manchen Bundesländern gibt es derzeit zu wenig Plätze in den | |
Notunterkünften, weil so viele Lager in den letzten Jahren wieder | |
geschlossen wurden. Dort sind sie auf private Initiativen angewiesen. Im | |
Grunde bräuchte es ein System, in dem sehr schnell solche Sammelstellen | |
wieder eröffnet werden könnten, oder? | |
In Niedersachsen gibt es das, ehemalige Kasernen, irgendetwas, für das man | |
im Moment keinen praktischen Nutzen hat. Weil sie unattraktiv sind, haben | |
sie keinen hohen Marktwert und deshalb kann man sich das leisten, das ist | |
in den Stadtstaaten anders. Wir plädieren jetzt nicht dafür, in großem Stil | |
Sammellager zu bauen, aber wir wünschen uns ein lebendiges System, in dem | |
man kurzfristig Plätze rekrutieren kann. | |
Abgesehen von den Notunterkünften: Waren die Behörden aufgrund der | |
Erfahrungen von 2015 und 2016 so vorbereitet, dass private Initiativen | |
nicht mehr so wichtig waren? | |
Nein, ganz am Anfang nicht, da haben Personen und zum Teil auch Busse im | |
Auftrag von Unternehmen Geflüchtete an der Grenze abgeholt und dafür | |
gesorgt, dass sie irgendwo untergekommen sind. Zu einem Zeitpunkt, als der | |
Staat noch nicht handlungsfähig war. Aber ich stelle fest, dass die | |
Reaktionszeit der Behörden durchaus kürzer war als beim letzten Mal. Sie | |
waren sehr viel schneller im Krisenmodus und haben jedenfalls hier in | |
Niedersachsen sehr konkret Maßnahmen ergriffen, die die Situation entspannt | |
haben. Es gibt auch viel mehr mehrsprachige Informationsseiten im Netz als | |
damals. | |
Haben Sie den Eindruck, dass sich Menschen, die in den Vorjahren geflüchtet | |
sind, nun als Geflüchtete zweiter Klasse erleben? | |
Ja, das habe ich hier und da schon gehört. Ich nehme auch wahr, dass die | |
ukrainischen Geflüchteten privilegiert werden. Sie kommen schneller an | |
Wohnungen, werden pragmatischer unterstützt, kriegen staatlicherseits die | |
Leistungen schneller und besser als andere. Und an dem einen oder anderen | |
Ort stopft man Bewohner:innen in andere Einrichtungen, um Platz für die | |
Ukrainer:innen zu schaffen. | |
14 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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