# taz.de -- EU-Innenminister zu Afghanistan: Europäische „Stabilität“ | |
> Die EU kann sich auf ein Kontingent von Flüchtlingen nicht einigen. | |
> Zwischen dem slowenischen Ratsvorsitz und einigen EU-Staaten entbrennt | |
> ein Streit. | |
Bild: Zurückgelassene Rucksäcke und Kleidungsstücke am Kabuler Flughafen | |
BRÜSSEL taz | Was hat Vorrang – die Solidarität mit den Flüchtlingen aus | |
[1][Afghanistan] oder die Sicherheit und Stabilität in Europa? Über diese | |
Frage ist ein ungewöhnlich heftiger Streit zwischen den EU-Staaten und dem | |
slowenischen Ratsvorsitz entbrannt. Am Rande eines Treffens der | |
EU-Innenminister am Dienstag in Brüssel kam es zum Eklat. | |
Der Ratsvorsitz hatte in seiner Beschlussvorlage für das Krisentreffen die | |
Sicherheit betont und vor möglichen Gefahren durch afghanische Terroristen | |
gewarnt. Die Aufnahme von Flüchtlingen kam in dem Papier dagegen nur am | |
Rande vor. | |
Auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) war dagegen, über | |
konkrete Zahlen für die [2][Aufnahme von Menschen] aus Afghanistan zu | |
sprechen. Solche Zahlen würden einen „Pull-Effekt“ auslösen – „und das | |
wollen wir nicht“, sagte Seehofer vor der Sondersitzung in Brüssel. Nur | |
„besonders geschundene Personen“ sollten im Rahmen von | |
Umsiedlungsprogrammen kommen. | |
Die Gegenposition nahm Luxemburgs Innenminister Jean Asselborn ein. Er | |
werde die Beschlussvorlage bekämpfen und für europäische Solidarität | |
werben, erklärte er. Wer „in diesem extrem dramatischen Moment“ die | |
Solidarität „mit dem gefolterten Volk in Afghanistan“ ablehne, verliere | |
„die Qualität, ein Europäer zu sein.“ | |
## Asselborn: 40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze | |
Asselborn zielte damit auf den slowenischen Regierungschef und amtierenden | |
EU-Ratsvorsitzenden Janez Janša, der sich kategorisch gegen die Aufnahme | |
von Flüchtlingen aussprach. Gemeint ist aber auch Österreichs Kanzler | |
Sebastian Kurz, der Kontingente für besonders gefährdete Flüchtlinge | |
ablehnt, wie sie etwa das UN-Flüchtlingshilfswerk fordert. | |
Nach dem Willen Asselborns sollte die EU 40.000 bis 50.000 | |
Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge zur Verfügung stellen. | |
„Damit würden wir Mädchen, Frauen, ehemalige Richterinnen, | |
Menschenrechtsaktivisten oder andere Personen, deren Leben unmittelbar | |
bedroht ist, im Rahmen von Umsiedlungen in die EU holen.“ | |
Bei den Beratungen der Innenminister zeichnete sich dafür zunächst jedoch | |
keine Mehrheit ab. Luxemburg sollte „ein Stück mehr Rücksicht nehmen auf | |
die Interessen der Hauptaufnahmeländer“, sagte Seehofer. Auch aus | |
Österreich kam Gegenwehr. Sein Land beherberge die viertgrößte Gemeinschaft | |
an Afghanen und die zweitgrößte innerhalb der EU, erklärte Außenminister | |
Alexander Schallenberg. | |
## Seehofer: „In der Nähe der Heimat bleiben“ | |
„Die tragische Situation in Afghanistan für billigen Populismus zu | |
missbrauchen und die Fehler aus 2015 und 2016 blind zu wiederholen macht | |
einen noch lange nicht zum guten Europäer“, so Schallenberg weiter. | |
Österreich habe bereits wesentlich mehr Afghanen aufgenommen als Luxemburg | |
und setze nun vor allem auf Hilfe vor Ort. | |
Für eine ortsnahe Umsiedlung von Flüchtlingen plädierte auch Seehofer. Ziel | |
der EU-Flüchtlingspolitik müsse es sein, „dass Menschen in der Nähe ihrer | |
Heimat bleiben und auch in der Nähe ihres Kulturkreises“. Die EU-Kommission | |
solle daher „sehr schnell“ einen Aktionsplan vorlegen, der die | |
Unterstützung von Afghanistans Nachbarstaaten von der Aufnahme und | |
Versorgung afghanischer Flüchtlinge abhängig macht. | |
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hofft hingegen, dass der Druck | |
aus Afghanistan dabei hilft, den seit 2015 ungelösten Streit über die | |
Flüchtlingspolitik beizulegen und einen neuen Asyl- und Flüchtlingspakt zu | |
schließen. Einen ersten Vorschlag hatte die EU-Kommission bereits vor | |
einem Jahr gemacht. Die 27 EU-Staaten konnten sich jedoch nicht einigen, | |
die Vorlage liegt ungenutzt in der Schublade. | |
31 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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