| # taz.de -- Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Mieter werden ausgetrocknet | |
| > Rund 20 Familien, darunter viele Rom*nja, leben unter unzumutbaren | |
| > Bedingungen. Der Eigentümer lässt das Haus verwahrlosen. | |
| Bild: Schrottimmobilie im Wedding | |
| Berlin taz | Seit zwei Wochen schöpfen sie das Wasser von der Straßenecke, | |
| füllen es in Kanister ab und erwärmen es auf dem Herd. Die Wohnungen werden | |
| mit dem Herd geheizt, der Müll quillt im Hinterhof über. Was an Zustände in | |
| Entwicklungsländern erinnert, spielt sich mitten in Berlin ab. | |
| „Ich wohne in Deutschland und muss jeden Tag 20 Kilometer zur Wohnung | |
| meiner Mutter nach Charlottenburg fahren, um zu duschen“, sagt Nikolai | |
| (Name geändert). Seit fast eineinhalb Jahren wohnt der Rumäne mit seiner | |
| Familie in dem Haus in der Fennstraße 31 in Niederschöneweide. Rund 20 | |
| Familien, überwiegend afghanisch, serbisch und Rom*nja, wohnen hier, sagt | |
| er. Vor zwei Wochen habe der Vermieter bei einer vermeintlichen Wartung den | |
| Wasserzähler ausbauen lassen. Dann habe das Tiefbauamt sämtliche Mülltonnen | |
| mitgenommen. „Ich habe Angst, dass uns als Nächstes der Strom abgestellt | |
| wird“, sagt Nikolai. Diese Woche soll der Strom abgelesen werden. | |
| „Der Vermieter lässt das Gebäude verwahrlosen und verunsichert die | |
| Mieter*innen, um sie zum Auszug zu drängen“, sagt Thomas Herr von Bare, | |
| einem Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma*-Empowerment. „Aber das | |
| darf er nicht“, sagt Nikolai. „Wir haben gültige Mietverträge.“ Sich | |
| beschweren oder um ein Gespräch bitten könne er jedoch nicht. „Ich weiß | |
| nicht, wer der Vermieter ist“, sagt er und schüttelt den Kopf. | |
| Im Grundbuch stehe der Name Matteo Colusso. Dieser ist Geschäftsführer der | |
| IPG V GmbH, die den Altbau 2021 gekauft hat. „Ich habe mehrfach probiert, | |
| ihn zu erreichen“, sagt Nikolai, „aber die Nummer, die unter den Rechnungen | |
| angegeben ist, ist nicht vergeben.“ Thomas Herr vermutet, dass hinter | |
| Colusso ein anderer Mehrheitseigentümer steht. Durch sogenannte Sharedeals | |
| könnten Unternehmen eine Immobilie zu bis zu 90 Prozent kaufen, ohne dass | |
| der Eintrag im Grundbuch geändert werden müsse. | |
| „Alle zwei Monate kommt jemand und behauptet, der neue Eigentümer zu sein“, | |
| erzählt Nikolai. Voriges Jahr sei ein Mann mit Schäferhund aufgetaucht, der | |
| die Bewohner*innen aufgefordert habe, umgehend ausziehen, weil sie | |
| keine gültigen Mietverträge hätten. Neulich sei ein Araber erschienen, der | |
| erzählt habe, das Haus gekauft, aber nicht gewusst zu haben, dass darin | |
| Menschen lebten. Kurz darauf sei erneut der Mann mit Schäferhund | |
| aufgetaucht. Er habe die Bewohner*innen beleidigt und sie erneut dazu | |
| aufgefordert auszuziehen. Doch die Bewohner*innen blieben. Seitdem | |
| nehmen die Schikanen zu. | |
| ## Forderung nach nachhaltigen Lösungen | |
| Zuständig für solche „Problemimmobilien“ ist der Bezirk. Kontakt zum | |
| Eigentümer hat man auch dort nicht, dafür aber mit dessen Anwalt, sagt die | |
| Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, Claudia Leistner (Grüne), auf | |
| Anfrage der taz. Man habe wohnungsaufsichtliche Maßnahmen eingeleitet. | |
| Zudem werde geprüft, ob zivilrechtliche Ansprüche bestehen oder | |
| strafrechtlich relevante Verhaltensweisen ersichtlich seien. Auf die | |
| Situation im Haus hat das Bezirksamt notdürftig reagiert. Es wurde eine | |
| Notwasserentnahmestelle an der Straßenecke installiert. | |
| Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist mit dem | |
| Bezirk über das Problemhaus im Austausch. Auf Anfrage der taz hieß es am | |
| Dienstag: „Die Heizung funktioniert wieder, die Wiederanstellung des | |
| Wassers ist beauftragt und mit der BSR verhandeln wir darüber, dass wieder | |
| Mülltonnen aufgestellt werden.“ Laut Thomas Herr funktionierte die Heizung | |
| jedoch auch am Dienstag nicht. | |
| Die Bemühungen des Bezirks erkennt er an. Der „herkömmliche Weg“ jedoch | |
| dauere zu lang. „Es kann nicht sein, dass Menschen zwei Wochen ohne | |
| fließend Wasser und Heizung leben“, sagt er. Er fordert vom Bezirk, in | |
| Vorleistung zu gehen und hinterher zu versuchen, die Rechnung an den | |
| Eigentümer weiterzuvermitteln. | |
| Darüber hinaus brauche es eine strukturelle Herangehensweise an die | |
| Problematik, findet Herr. [1][Denn die Strategie der kalten Entmietung in | |
| „Problemimmobilien“ ist kein Einzelfall]. Betroffen sind immer wieder | |
| Häuser, in denen mehrheitlich Rom*nja und andere migrantische Minderheiten | |
| leben. Menschen, die aufgrund fehlender Sprachkenntnisse einfacher um ihre | |
| Rechte betrogen werden können. | |
| ## Schrottimmobilien sind keine Einzelfälle | |
| Nikolai selbst hat das schon mehrfach erleben müssen. Bevor er mit seiner | |
| Familie in die Fennstraße zog, wohnten sie in einem Plattenbau in der | |
| Straße der Pariser Kommune 20 in Friedrichshain. Dort hatten seit 2015 über | |
| 40 Rom*nja-Familien gewohnt, [2][bis sie 2018 von einer russischen | |
| Investorin mit dubiosen Begründungen gekündigt wurden]. „Dann sind wir in | |
| eine Wohnung in Charlottenburg gezogen, aber auch da wurden wir betrogen“, | |
| sagt Nikolai. „Erst mussten wir eine hohe Vermittlungsgebühr bezahlen, dann | |
| mussten wir plötzlich raus.“ | |
| Bare fordert nachhaltigere Lösungen. Der Bezirk müsse „in solchen Fällen | |
| das Zugriffsrecht auf das Haus erhalten und den Eigentümer in seiner | |
| Zuständigkeit ablösen.“ Das könne man über das | |
| Zweckentfremdungsverbotsgesetz versuchen, sagt Herr. Schon in der | |
| Vergangenheit gab es [3][Diskussionen über die Einsetzung eines | |
| Zwangsverwalters bei Schrottimmobilien], etwa bei einem verwahrlosten Haus | |
| im Wedding. Leider sei es bei Überlegungen geblieben. | |
| Nikolai hat Angst davor, wieder umziehen zu müssen. „Ich habe Kinder, die | |
| hier in die Schule und die Kita gehen“, sagt er. „Wir wollen nicht wieder | |
| gehen.“ | |
| 20 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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