| # taz.de -- Schrottimmobilie im Wedding: Mitte nutzt neue Mittel | |
| > Nach der Räumung eines verwahrlosten Hauses prüft das Bezirksamt | |
| > zumindest eine temporäre Enteignung. Die Zukunft der Bewohner ist unklar. | |
| Bild: Kurz zuvor haben hier noch Menschen gelebt | |
| Berlin taz | Nach der Räumung eines verwahrlosten Hauses im Wedding will | |
| das Bezirksamt Mitte die Zukunft der Schrottimmobilie nun selbst in die | |
| Hand nehmen. Dazu werde die Möglichkeit einer Zwangsverwaltung geprüft, | |
| erklärte der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Gesundheit | |
| und Soziales, Ephraim Gothe (SPD). | |
| Das Eckhaus in der Kameruner Straße, Ecke Lüderitzstraße wurde am | |
| Montagmorgen [1][von der Polizei geräumt]. Anschließend wurden alle | |
| Eingänge verschlossen. Für Gothe wäre die Zwangsverwaltung gewissermaßen | |
| ein Pilotprojekt, da sie sich aus der [2][Neufassung des | |
| Zweckentfremdungsverbotsgesetzes] ergibt, die erst am 1. Mai in Kraft | |
| tritt. | |
| Demnach ist bereits ein Leerstand von drei Monaten als Zweckentfremdung zu | |
| werten, der nicht mehr nur durch Bußgelder geahndet werden kann. Zukünftig | |
| ist es den Bezirken erlaubt, einen Treuhänder einzusetzen, um den Wohnraum | |
| wieder für Wohnzwecke herzustellen. Etwaige Renovierungskosten werden dem | |
| Eigentümer anschließend in Rechnung gestellt. | |
| Auch der Stadtsoziologe Andrej Holm sprach sich auf taz-Anfrage dafür aus, | |
| diese Möglichkeit zu nutzen. Zwar steht das Gebäude im Wedding erst seit | |
| der Räumung am Montag leer, doch es galt schon länger als nicht bewohnbar. | |
| ## Verwahrlostes Haus | |
| Der Eigentümer hatte die Immobilie verwahrlosen lassen. Wasser- und | |
| Stromversorgung gab es seit einigen Monaten nicht mehr, vermehrt wurde über | |
| Schimmelbefall, Müll und Ratten im Haus geklagt. Derselbe Eigentümer | |
| besitzt diverse Immobilien in Berlin, von denen einige verwahrlost sind | |
| oder zu großen Teilen leer stehen. Die Verschmutzung der Wohnungen solle | |
| man, so Holm, als Zweckentfremdung deklarieren, notfalls brauche man dafür | |
| ein wenig „Fantasie“. | |
| Auch für die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld ist die Prüfung einer | |
| Zwangsverwaltung der richtige Schritt. Dennoch fordert sie eine | |
| Überarbeitung des Wohnungsaufsichtsgesetzes. Einen Vorschlag haben die | |
| Grünen bereits vorgelegt. Eine wichtige Änderung sei, dass die für den | |
| Bezirk anfallenden Kosten, die durch solche Problemimmobilien verursacht | |
| werden, in das Grundbuch eingetragen werden könnten. So wären verrottende | |
| Gebäude für verantwortungslose Eigentümer deutlich schwerer zu verkaufen. | |
| Eine tatsächliche Enteignung hält Kahlefeld in diesem Fall für | |
| unrealistisch. „Es ist nicht so, dass wir etwas gegen Enteignungen haben“, | |
| sagte Kahlefeld der taz. Die rechtlichen Hürden seien jedoch sehr hoch. | |
| Dass ihr grüner Parteikollege und Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan | |
| von Dassel, den pragmatischeren Weg einer Zwangsverwaltung geht, sei daher | |
| richtig, sagte Kahlefeld. Außerdem stehe von Dassel im Wedding nun vor der | |
| komplexen Situation der Unterbringung der ehemaligen BewohnerInnen. Für | |
| Kahlefeld sei es deshalb verständlich, dass der Bezirksbürgermeister nicht | |
| „auf der anderen Seite noch einen Schaukampf führe“. | |
| ## Enteignungskompetenz ist da | |
| Die Zwangsverwaltung, als Form der temporären Enteignung, soll nun einen | |
| längeren Leerstand des Hauses vermeiden. Doch es gibt viele | |
| heruntergekommene Gebäude, an denen sich ein solcher „Schaukampf“ der | |
| Zwangsenteignung möglicherweise juristisch durchfechten ließe. Kompetenz | |
| ist in der Stadt vorhanden: Die landeseigene Enteignungsbehörde hat | |
| zwischen 2012 und April 2017 100 Anträge auf Enteignungen bearbeitet, meist | |
| ging es dabei um Grundstücke für große Infrastrukturprojekte wie den Bau | |
| der Autobahn 100. | |
| Für ein Gebäude sei dies noch nie gemacht worden, heißt es dazu auf | |
| taz-Anfrage aus der Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. | |
| Dies verlange eine intensive juristische Prüfung. Notwendig sei bei einer | |
| Enteignung in jedem Fall, dass das Interesse der Stadt nachgewiesen und der | |
| Eigentümer entschädigt wird. | |
| Die Linke hatte auf ihrem Parteitag am Samstag [3][beschlossen], | |
| Enteignungen bei spekulativem Leerstand prüfen und angehen zu wollen. | |
| „Solche Enteignungen hat es bislang nicht gegeben und es ist ein | |
| schwieriger und langwieriger Weg“, hatte Stadtentwicklungssenatorin Katrin | |
| Lompscher gesagt. Als letztes Mittel seien Enteignungen gegen | |
| Entschädigungen aber durchaus legitim. Ob die Partei in dieser Frage einen | |
| Senatsbeschluss erwirken kann, ist unklar. | |
| ## Unklare Zukunft für Bewohner | |
| Unklar scheint auch die Zukunft der ehemaligen BewohnerInnen des Hauses im | |
| Wedding. Ein Großteil der am Montag von der Polizei angetroffenen Personen | |
| stammt aus Osteuropa. Bezirksbürgermeister von Dassel ließ zunächst die | |
| Personalien aller aufnehmen und bot Beratung durch das Sozialamt an. „Jeder | |
| Bewohner wurde ausführlich beraten“, erklärte Stadtrat Gothe dem rbb und | |
| bestätigte, dass alle, die keine alternative Unterkunft hatten, vom | |
| Sozialamt untergebracht worden seien. | |
| Doch wer darüber hinaus langfristig einen Anspruch auf eine Unterbringung | |
| habe, müsse noch geklärt werden, sagte von Dassel. Gegebenenfalls müssten | |
| einige wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Ein bulgarischer Bewohner | |
| hatte am Montag gegenüber der taz gesagt, er wisse nicht, wie es für ihn | |
| weitergehe. Laut dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog) | |
| dürfen die Sozialämter Menschen jedenfalls nicht aufgrund von Nationalität | |
| oder Aufenthaltsstatus abweisen. | |
| 17 Apr 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Stoecker | |
| Erik Peter | |
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