| # taz.de -- „Die Zauberflöte“ wird upgedatet: Pamina ist nun politisch kor… | |
| > Die Initiative Critical Classics will eine „Oper ohne Opfer“. Sie hat die | |
| > Frauenrollen in Mozarts „Zauberflöte“ umgeschrieben, um Sexismus zu | |
| > tilgen. | |
| Bild: Walter Berry als Papageno und Anneliese Rothenberger als Papagena proben … | |
| Seit jeher umgibt die Welt der Oper eine Aura der Exklusivität. Um 1600 | |
| wurde die kostspielige Kunstform zur Unterhaltung der Reichen und Schönen | |
| an norditalienischen Adelshöfen aus der Taufe gehoben. Viele ihrer | |
| Geschichten atmen bis heute den Geist vergangener Zeiten – in ihnen wimmelt | |
| es von mildtätigen Königen, tapferen Rittern und holden Fräulein. | |
| Sicher spricht nichts dagegen, sich auch 400 Jahre später in vergangene | |
| oder fantastische Welten entführen zu lassen – schwieriger wird es, wenn | |
| Inhalte transportiert werden, die heute als politisch unkorrekt gelten und | |
| als sexistisch und rassistisch wahrgenommen werden. | |
| Deshalb hat Berthold Schneider, ehemaliger Intendant der Oper Wuppertal, | |
| die Initiative Critical Classics ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, auf | |
| diskriminierende Sprache in Opernlibretti aufmerksam zu machen. Die Idee | |
| kam ihm bei einer Vorstellung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ im | |
| Herbst 2022: „Das Publikum amüsierte sich. Doch an einigen Stellen war | |
| deutlich zu spüren, dass das Publikum nicht mit uns lachte, sondern über | |
| uns. Es war bei Textzeilen wie ‚Ein Weib tut wenig, plaudert viel‘, bei | |
| denen sich die Menschen durch ein peinlich berührtes Lachen von uns | |
| distanzierten.“ | |
| [1][Mozarts „Zauberflöte“] – das Märchen über einen Prinzen, der sich … | |
| einer magischen Flöte aufmacht, um eine Prinzessin zu retten – gilt als | |
| Grundpfeiler des klassischen Kanons und wurde in der Spielzeit 2021/22 | |
| allein in Deutschland 245-mal aufgeführt. Gemeinsam mit seinem Team machte | |
| sich Schneider an eine modernisierte Textfassung des Kassenschlagers. Darin | |
| werden chauvinistische Begriffe wie „Jungfer“, „Fräuleinbild“ oder „… | |
| mit „Mädchen“ oder „Frau“ ersetzt. Dem Duett zwischen Prinzessin Pamin… | |
| Vogelfänger Papageno, das die gottgefällige Ehe zwischen Mann und Frau | |
| besingt, werden Zeilen hinzugefügt, die die Liebe zwischen „Frau und Frau“ | |
| und „Mann und Mann“ berücksichtigen. | |
| Die frauenfeindlichen Attacken des Priesterkönigs Sarastro gegen seine | |
| Gegenspielerin, die Königin der Nacht, werden ausgebremst: Die Textzeile | |
| „Ein Weib tut wenig, plaudert viel“ etwa weicht den Worten „Sie lügt, s�… | |
| Zwietracht, schadet viel“. Ein Kommentar erläutert, dass auf diese Weise | |
| die sexistische Verallgemeinerung durch eine persönliche Meinung Sarastros | |
| ersetzt wird. | |
| ## Rassismus gibt es nun nicht mehr | |
| Auch jenseits der Sprachebene wird eingegriffen. So wird der passiven | |
| Pamina, die wie ein Wanderpokal hin- und hergereicht wird, eine zusätzliche | |
| Arie in den Mund gelegt – nach einer umgetexteten Mozart-Konzertarie. | |
| Überhaupt stünden die Redeanteile der Frauenfiguren in der Zauberflöte im | |
| Ungleichgewicht zu denen der Männer, erklärt Leyla Ercan, | |
| Diversitäts-Beraterin von Critical Classics: „Das ist eine Manifestation | |
| von gesellschaftlichen Ungleichheiten, die sich im Text niederschlagen.“ | |
| Den größten Veränderungsbedarf im traditionellen Narrativ der Zauberflöte | |
| sieht die Initiative in der Figur des schwarzen Tempelaufsehers Monostatos | |
| – ein Bösewicht, der Pamina vergewaltigen will. Im Original singt er: | |
| „Alles fühlt der Liebe Freuden / Schnäbelt, tändelt, herzet, küsst / Und | |
| ich soll die Liebe meiden, / Weil ein Schwarzer hässlich ist.“ Als Lösung | |
| schlägt Critical Classics vor, die Rachsucht der Figur anders zu | |
| motivieren: „Bei uns ist Monostatos nicht mehr ethnisch verortet, sondern | |
| Sarastros illegitimer Sohn“, sagt Ercan. Als geheimes Kind des Fürsten hat | |
| er keinen Herrschaftsanspruch und ist folglich frustriert. | |
| ## Die Lebendigkeit des Alten unter Beweis stellen | |
| Bis alle problematischen Anteile getilgt oder abgeschwächt waren, vergingen | |
| sechs Monate. Die endgültige Fassung ist inzwischen kostenlos online | |
| zugänglich – ein Glücksfall für Regisseurin Anna Weber, die auf dieser | |
| Grundlage an einer eigenen Version arbeitet, die in der Spielzeit 2024/25 | |
| am Nationaltheater Weimar zum Einsatz kommen wird. Sie meint: „Ich komme | |
| aus der Komödie, und da ist es ganz üblich, dass verschiedene Werke an | |
| aktuelle politische und soziale Begebenheiten angepasst werden. Damit soll | |
| ja dem Werk nicht geschadet, sondern vielmehr seine Zeitlosigkeit und | |
| Lebendigkeit unter Beweis gestellt werden.“ | |
| Für ihre Vorstöße erntete die Initiative aber auch Kritik. Wie der NDR | |
| berichtete, kritisierte der hochdekorierte Opernveteran Klaus Zehelein es | |
| als Irrweg, das „Schmutzige, das Diskriminierende aus der Literatur zu | |
| eliminieren“ und das „Skandalöse wegzuretuschieren“. | |
| Critical-Classics-Gründer Berthold Schneider dagegen plädiert für Empathie | |
| mit den Sensibilitäten eines heutigen Publikums: „Die wollen bitte einen | |
| Abend haben, wo keine Menschen beleidigt werden.“ Mit seinen | |
| Kolleg:innen will er sich demnächst Bizets „Carmen“ und Bachs | |
| „Johannespassion“ vornehmen – für, wie es auf der Webseite von [2][Criti… | |
| Classics] heißt, eine „Oper ohne Opfer“. | |
| 27 Jun 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Film-The-Magic-Flute/!5896198 | |
| [2] http://criticalclassics.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Schors | |
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