| # taz.de -- Die Wahrheit: Hotten, bis es hochkommt | |
| > Zur Eröffnung des Oktoberfests feiert eine neue Wiesn-Spezialität den | |
| > deutschen Abschieberausch – mit smartem Rausschmeißpreis und sagenhaftem | |
| > Gewinn. | |
| Sie wird der Renner auf der diesjährigen Wiesn, da ist sich der Flori | |
| sicher. „Guad! Gschmackig! Und höchst gustiös!“, schwärmt er, während s… | |
| neueste Kreation im siedenden Öl der Fritteuse dem idealen Bräunungsgrad | |
| entgegenschmurgelt. | |
| Florian Heureuther (37), Entrepreneur, Investor und Gastronom in | |
| Personalunion, hat sich als kleinen Imbiss zwischendurch gerade eine | |
| gegrillte Jakobsmuschel mit Trüffel-Guacamole kommen lassen. Vor Genuss | |
| aufstöhnend verzehrt er sie – eine Abwechslung, die vergangenes Leid | |
| lindert. Schließlich hat er in die Entwicklung seiner brandneuen | |
| Imbissspezialität zum diesjährigen Oktoberfest viele Wochen gesteckt. Beim | |
| Testen, Probieren und Abschmecken von allerlei kulinarischem Unrat hat er | |
| zeitweise sogar sein Geschmacksvermögen aufs Spiel gesetzt. | |
| „Das Ziel war klar definiert“, erklärt Heureuther. „Das neue | |
| Wiesn-Schmankerl musste entschieden trendiger als die herkömmlichen Speisen | |
| auf der Theresienwiese sein. Beste Vermarktbarkeit trifft auf ‚Will ich | |
| auch haben!‘-Mindset seitens des Verbrauchers – und das bei atemberaubender | |
| Profitabilität.“ | |
| Der ungesunde Snack sollte zwar an die uralten bajuwarischen Traditionen | |
| anschließen, jedoch internationaler anmuten, extrem preisgünstig | |
| herzustellen sein, in großen Mengen anzuliefern und in Windeseile | |
| verzehrfertig gemacht werden können. | |
| ## Erfolg durch Namen | |
| Nach unzähligen Versuchen in alle erdenklichen Richtungen – von Smash-Hendl | |
| über Thai-Obazda bis Steckerlfish’n’Chips – stand das Ergebnis fest: Eine | |
| frittierte Brezelpizzatasche mit einer Füllung aus Weißwurstscheiben, süßem | |
| Senf und Rührei soll das Oktoberfest in diesem Jahr im Sturm erobern, soll | |
| zum Must-eat werden und den Imbissbetreibern eine Marge garantieren, bei | |
| der ihnen schwindelig wird. Für den Erfolg sorgt letztlich der Name: | |
| „Rausschmeißer“, eine augenzwinkernde Referenz an die rechte Popkultur der | |
| zeitgenössischen Jugend. | |
| Nun steht Heureuther mit der Stoppuhr im Aluminiumglanz der Ghost Kitchen, | |
| die er zur Rezeptentwicklung gemietet und als Lieferbetrieb für seine | |
| Stände auf dem Oktoberfest 2024 auserkoren hat. Er testet die optimale | |
| Frittierzeit. | |
| „Bei Minute 3:20 ist der Käse innen noch nicht ganz geschmolzen, bei 3:50 | |
| wird der Laugenteig außen zu kross, bei 4:10 flockt das Rührei innen aus“, | |
| notiert er und schmeißt den nächsten Pizzataschenklumpen widerwillig in den | |
| Sondermüll. Heureuther, der von Mitarbeitern und Kollegen nur ‚der | |
| Hoiroiter‘ oder kurz ‚Oi‘ genannt wird, hasst Verschwendung, vor allem we… | |
| sie auf seine Kosten geht. | |
| „Deshalb hasse ich auch, dass jeder dahergeschwommene Hansel mit einem | |
| Asylantrag bei uns behandelt wird, als wäre er der Kini persönlich“, | |
| erläutert Oi seine ganz persönliche Geschäftsphilosophie. Aus diesem | |
| Gedanken ist auch der pfiffige Name des Wiesnschmankerls entstanden. | |
| „Sobald mir klar wurde, dass die Füllung neben allerlei minderwertigem | |
| Material auch Eier enthalten würde, hatte ich den Namen. In Anlehnung an | |
| die holländische Bezeichnung für das Alltagseiergericht ‚Strammer Max‘, | |
| nämlich ‚Uitsmijter‘, heißt das hochkalorische Produkt nun eben | |
| ‚Rausschmeißer‘“, begeistert er sich. „Er wird als politisch unkorrekt… | |
| Sattmacher hoffentlich in Massen von den aufgewühlten Massen verzehrt | |
| werden. Es ist einfach das richtige Gericht zur Zeit!“ | |
| Tatsächlich: Deutschland schwebt zurzeit in einer Welle von Euphorie, die | |
| dem Ausweisen und Rausschmeißen ganz generell entgegengebracht wird. Der | |
| Hype ist also gerechtfertigt, ein Reportageteam des WDR gerade zu Besuch, | |
| um auch die Menschen von Rhein und Ruhr in Scharen nach München zu locken. | |
| Vor laufender Kamera beißt Oi in den heißen Teigfladen, verzieht seine | |
| Miene genießerisch, gibt Laute des äußersten Wohlbehagens von sich. Erst | |
| als die Kamera ausgeschaltet ist, übergibt er sich ins Spülbecken. | |
| „Pfui Deibel!“, lacht Flori. „Sorry, Leute! Ich bin als einfacher | |
| Metropolen-Yuppie so viel bodenständige Qualität einfach nicht gewöhnt. | |
| Hier ein bretonischer Hummer, dort ein Chawanmushi – da verlernt man die | |
| Kunst des einfachen Genießens.“ | |
| ## Ursprung in Holland | |
| Das Kamerateam lauscht gerührt, als Oi noch mal erklärt, dass der | |
| inspirierende Name der holländischen Eierspeise seinen Ursprung darin hat, | |
| dass das Gericht nach durchzechten Nächten in der Spelunke noch schnell | |
| gegessen wurde, bevor man es wegwarf. | |
| „Bei uns wird das Gericht gegessen, nachdem es weggeworfen wurde“, ruft | |
| Geschäftspartner Michi Wedelmeier (42), hinten aus der Experimentalküche. | |
| „Nämlich in die Fritteuse, die gleichzeitig unser Abfalleimer für den | |
| Biomüll ist. Und nicht nur für den Biomüll!“ | |
| Wedelmeier forscht ständig an noch preisgünstigeren Lösungen, | |
| Kohlenhydrate, Fett und tierisches Eiweiß zu angesagten Trendgerichten zu | |
| amalgamieren. Zusammen mit Heureuther möchte er ein Imperium des gefälligen | |
| Geschmacks errichten, dessen erster Geniestreich der absehbare Erfolg des | |
| Rausschmeißers sein wird. Die Reporter hängen deshalb an seinen Lippen. | |
| Denn es sind natürlich nicht nur die raffinierte Rezeptur und die | |
| überwältigende Profitabilität einer Marge von 800 Prozent des | |
| Wareneinsatzes, die den Rausschmeißer zum Imbiss des Jahres prädestinieren. | |
| Es ist vor allem der anspielungsreiche Name, der den Zeitgeist wie kein | |
| anderer erfasst. In diesem Jahr sind die Deutschen regelrecht verrückt nach | |
| Ausschluss, Grenzziehungen und Selektionskriterien, und am liebsten haben | |
| sie es, wenn sie ihre Leidenschaft in einer Partyumgebung ironisch | |
| verkleiden dürfen. Und scherzhaft hitlergrüßend einfach „Döp dödö döp�… | |
| singen, während gewisse unerwünschte Personen in Handschellen zum Flughafen | |
| gebracht werden! | |
| „Was wird der Spaß die Konsumenten denn letztlich kosten?“, fragt | |
| forsch-investigativ die WDR-Tante. „Wir peilen mal 18 Euro an“, grunzt | |
| Wedelmeier und leckt seine Finger, während er einen kleinen Happen aus | |
| Feigen und Rohmilchkäse zu sich nimmt. „Einfach als Rausschmeißpreis, der | |
| Bettler und Sozialfälle von unseren Ständen fernhält“, ergänzt Hoiroiter. | |
| „Wer auf dem Oktoberfest säuft und snackt, dem ist der Preis ohnehin egal“, | |
| zuckt Wedelmeier mit den Achseln. | |
| „Wer saufen kann, kann auch latzen“, feixt Oi, während sein Kompagnon ihn | |
| abklatscht: „Und wer das nicht kann, bleibt eben draußen! So ist unser Land | |
| nun mal. So ist unsere Kultur!“ | |
| 21 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Mark-Stefan Tietze | |
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