Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Slimsalabim Slimborium!
> Abnehmmittel boomen: Eine neue Pille mit rundem Wohlgeschmack wird ab
> sofort den Diäten-Markt aber sowas von kräftig aufmischen.
Eine neue Abnehmpille soll Fressgenuss ohne die geringste Reue erlauben.
Bei herkömmlichen Diätmedikationen musste bislang mit Nebenwirkungen von 6
Prozent Gewissensbissen, 9 Prozent Zerknirschtheit und 20 Prozent Hunger
gerechnet werden.
Das neuartige Präparat mit dem Markennamen Slimborium basiert dagegen laut
Hersteller auf komplettem Seelenfrieden und vollem Sättigungsgefühl –
überwiegend durch den erprobten Wirkstoff Semaglutid. Dieser steckt auch
hinter dem immensen Erfolg der angesagten Schlankheitsspritzen Wegovy und
Mounjara, die allerdings nicht ganz billig sind.
Die wöchentlich zu injizierenden Heilmittel kosten etwa 300 Euro im Monat
und sind ursprünglich zur Behandlung von Diabetes gedacht. Sie erfreuen
sich momentan starker Nachfrage, weil sie für die purzelnden Pfunde bei
pummeligen Prominenten wie Kim Kardashian, Elon Musk und Robbie Williams
verantwortlich zeichnen. Zeitweilig kämpfen Apotheken sogar mit
Nachschubproblemen, weil die schwerreichen Stars die Medikamente gern für
sich allein haben möchten – ihres großen Appetits wegen!
In diese Lücke stößt der Hersteller von Slimborium. Als Pille in
verschiedenen leckeren Geschmacksrichtungen, die zu oder statt der
Mahlzeiten eingenommen wird, dürfte das Pharmazeutikum eine nochmals
größere Verbreitung in der breiten Bevölkerung finden. Das Geheimnis des
Wirkstoffs besteht darin, dass er das Sättigungsgefühl steigert und das
Hungergefühl dämpft. Dadurch müssen nebenher weniger Kalorien in Form von
Chips, Snacks und Sahnetorten aufgenommen werden.
## Genetisch modifizierte Kalorien
„Bei Slimborium verstärkt sich der Effekt durch die Beigabe von genetisch
modifizierten Kalorien, die einen kräftigen, runden Wohlgeschmack besitzen
und die Medikamenteneinnahme zum eigenständigen Genuss machen“, lächelt
deshalb Dr. Alphonse Yham-Mi (52) zufrieden. Er ist Entwicklungsleiter bei
Parma-Pharmaceuticals, einem kleinen, urigen Nachbarschafts-Pharmakonzern
aus Frankfurt, der sich anschickt, die Menschheit von den nutzlosen
Diät-Plänen zu befreien, die sie seit Jahrzehnten im Würgegriff des
enggeschnallten Gürtels halten.
Dr. Yham-Mi preist Slimborium tendenziell eher als Mittel gegen
gesellschaftliche Diskriminierung und Fat-Shaming an: „Menschen, die wie
wir alle gerne und zu viel essen, werden in Zukunft nicht mehr an ihrem
Äußeren als Genussmenschen erkennbar sein“, schwärmt der Biochemiker. „S…
können also ungehemmt drauflosschlemmen, ohne kleinkarierte
Kalorienzählerei und zivilisatorische Beißhemmungen.“
Experten sehen jedoch auch Gefahren in dieser Entwicklung: „Wenn nicht mehr
allein an Bauchumfang, Doppelkinn und Watschelgang erkennbar wird, wer ein
undisziplinierter Gierschlund ist und wer dagegen seine Bedürfnisse maßvoll
im Griff hat, fällt ein wichtiger Maßstab für zwischenmenschliche
Beurteilungen fort“, warnt irgendein hagerer Anzugtyp von der CDU, der ohne
brutalen sozialen Druck und Mobbingterror unsere Leistungsgesellschaft
auseinanderfallen sieht.
## Zauberpulver für Verwöhnte
Naturgemäß anders sieht das Rollo Huber (36), Vorsitzender der Konstanzer
Selbsthilfegruppe „Rund und gesund“: „Jeder hasst diese Leute, die in sich
reinfressen, was sie wollen, und trotzdem kein Gramm zunehmen!“ Der
Systemadministrator mit Vorliebe für Pizza Calzone betrachtet Slimborium
deshalb als „echten Gamechanger“, der einen Ausweg aus der Spirale von Hass
und Gewalt bietet. Einfach, indem er den Menschheitstraum vom
Schlaraffenland ohne Gewichtsprobleme wahr werden lässt – für alle, die es
sich leisten können.
„Keine Frage, Slimborium verschärft die gesellschaftliche Spaltung“, räumt
Dr. Yham-Mi selbstkritisch ein. „Wie eigentlich alles, was in den letzten
20 Jahren extrem erfolgreich war! Wir haben das Rezept bei der Konkurrenz
geklaut, Zauberpulver drübergestreut, damit der Wirkstoff über den
Magen-Darm-Trakt verstoffwechselt werden kann, und zu guter Letzt am
Geschmack gebastelt, damit wir auch Menschen mit verwöhntem Gaumen
erreichen.“
Voilà: Mit köstlichen Geschmacksrichtungen wie „Coq au Vin“, „Knuspriger
Schweinebauch“, „Wagyu-Steak“ oder, für Protestanten, „In Wasser
gedünstetem Brokkoli“ möchte Slimborium nicht nur Stars und Influencer
ansprechen. Auch der einfache Zahnarzt von nebenan soll seine Figur ohne
Verzicht straffen können. Der geniale Name – ein Kofferwort aus der
englischen Vokabel für schlank und dem französisch-stämmigen Scherzwort für
das überflüssige Drumherum, als das viele Patienten ihre Körperfülle
betrachten – steht dabei nicht nur für fettschichtenübergreifenden Erfolg.
Vor allem steht er für die revolutionäre Möglichkeit, Übergewicht in den
Griff zu bekommen: ohne Einschränkungen und Sport, ohne Änderung der
Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, insbesondere ohne das verhasste
Hungern.
Das Beste aber: Vielleicht zahlt für den Spaß demnächst die Krankenkasse!
Rollo Huber meint jedenfalls: „Derzeit müssen Kassenpatienten die Spritzen
selbst bezahlen. Adipositas ist jedoch als Krankheit anerkannt, also
müssten das künftig die Kassen übernehmen, vielleicht sogar die neue Pille
– jippie!“ Für Übergewichtige wie ihn bedeutet das: Er braucht sich nicht
mehr von Diät zu Diät quälen, nicht mehr mit düsteren Gedanken ans Joggen
oder Fitnesstraining martern! Rohkost ade! Salatteller adieu! Und das
eventuell zum Nulltarif!
## Ex-Dicke werden ungemütlich
Huber selbst kichert: „Slimborium bringt meine Pfunde bereits gedanklich
zum Schmelzen! Ich plane schon das Festessen, sobald der positive Bescheid
von der Krankenkasse kommt.“ Durch regelmäßige Einnahme der Pille steht ihm
nämlich ein Verlust von 15 bis 20 Prozent seines Gewichts bevor. Spott und
Hohn werden leiser, das Stigma verblasst. Außenseiter werden plötzlich
beliebt, gemütliche Dicke plötzlich ungemütlich. Das übermäßige Schwitzen
stoppt, die Gelenke werden entlastet, die inneren Organe gesunden, und
viele finden die Liebe ihres Lebens; Menschen sind nun mal so
oberflächlich.
„Das Problem beim Essen ist nicht das Essen“, stellt Dr. Yham-Mi noch
einmal klar. „Es trainiert die Kaumuskeln, macht glücklich und verhindert
eine Menge anderer Krankheiten, zum Beispiel Magersucht. Aber es begünstigt
Fettleibigkeit, diese wiederum Herz-Kreislauf-Krankheiten – das blockt
unsere Pille wirkungsvoll ab und das sollte sich unser Gesundheitssystem
einiges kosten lassen.“
Das größte Problem der Zukunft, hier wird der Entwicklungsleiter sehr
ernst, könnte lediglich folgendes sein: „Viele Patienten futtern solche
Mengen Slimborium, dass sie richtig dick werden.“
20 Apr 2024
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Die Wahrheit
Diäten
Übergewicht
Ernährung
Schönheitsideale
Oktoberfest
Kolumne Die Wahrheit
Organisierte Kriminalität
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Gastronomie
Die Wahrheit
Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Hotten, bis es hochkommt
Zur Eröffnung des Oktoberfests feiert eine neue Wiesn-Spezialität den
deutschen Abschieberausch – mit smartem Rausschmeißpreis und sagenhaftem
Gewinn.
Die Wahrheit: Flachlandwunder
Ein Besuch in Holland offenbart historische Verwicklungen, deren schaler
Nachgeschmack nur mit überraschend gutem Bier heruntergespült werden kann.
Die Wahrheit: Der Drache und das Goldwasser
Der Knoten in den Akten. Eine Fortsetzungsgeschichte der etwas anderen Art
(Teil 4). Heute: Wie es sich zuspitzte …
Die Wahrheit: Flagg mich nicht an!
Deutschland im EM-Fieber! Unangenehm nur, wenn man in einer Seitenstraße
von einem Schwarz-Rot-Gold-Overkill überwältigt wird.
Die Wahrheit: Kein Schluck Trinkgeld!
Deutsche Stammtische im Visier: Die Union plant ein drastisches Verbot für
die sowieso schon schwer gebeutelte Gastronomie und ihr Personal.
Die Wahrheit: Das neue Jahr wird verboten gut
„Spatzi“, Schwarzfahren und Streiks: 2024 schleicht sich leise an als Jahr
des woken Wahnsinns und nimmt dann voll Fahrt auf.
Die Wahrheit: Abrahams Wurstkessel
Brandneue Studien, sensationelle Ergebnisse, bewährter Geschmack: Die
deutsche Wurstforschung schreitet mächtig voran.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.