# taz.de -- Der ökonomische Generationenkonflikt: In verschiedenen Welten | |
> Das allgegenwärtige Krisennarrativ belastet Jüngere mehr als Ältere. Kein | |
> Wunder, sitzen viele von denen doch oft in abbezahlten Eigenheimen. | |
Bild: Haben gut lachen: alte Menschen | |
Neulich in Darmstadt unterwegs mit dem Fahrrad: An der roten Ampel einer | |
Kreuzung fiel mein Blick auf ein großes Werbeplakat. Darauf war ein älterer | |
Herr mit weißem Kinn- und Oberlippenbart abgebildet. Daneben der Slogan: | |
„Man ist nie zu alt, um über seine Zukunft zu entscheiden.“ Ich, [1][der | |
Millennial], der 1988 geboren ist, fand diesen Satz im ersten Moment | |
richtig, weil er so etwas Versöhnliches, Generationenübergreifendes hatte. | |
Am liebsten hätte ich ein Foto gemacht und es in sozialen Medien mit ein | |
paar Daumen-hoch-Emojis geteilt. | |
Als ich nähertrat, sah ich neben einem roten Smiley die Aufschrift: | |
„Sozialwahl 2023. Für Rente & Gesundheit.“ Wird die Zukunft auf das Thema | |
Rente und Gesundheit reduziert? Geht es den Alten nur um ihre Zukunft? Wer | |
fühlt sich von dieser Plakatwerbung angesprochen? | |
Ich bog ab ins Industriegebiet. Links und [2][rechts Autohäuser], | |
Werkstätten, Baumärkte, neben einem FKK-Club ein Werbeplakat für die AfD. | |
Das Ganze wirkte wie [3][raumgewordenes Testosteron]. In der Luft lag ein | |
Geruch von Waschstraße, Motorenöl und Grillhähnchen. So roch es schon in | |
meiner Kindheit. Ich kam mir vor wie in einem Freilichtmuseum, das | |
antiquierte Gegenstände ausstellt. Imprägniert, wer sein Auto wachst, sich | |
gegen den Zeitgeist? | |
Ich musste wieder an das Plakat von vorhin denken. „Man ist nie zu alt, um | |
über seine Zukunft zu entscheiden.“ Der Satz ging mir nicht mehr aus dem | |
Kopf. Ich murmelte ihn mehrmals vor mich hin. War das Sparkassen-Deutsch? | |
Oder ein Aphorismus mit einer tieferen Bedeutung? Der ältere Herr sprach | |
wohlgemerkt von „seiner“ und nicht von „unserer“ Zukunft; ein Wörtchen… | |
so viel über unsere Gesellschaft aussagt. | |
## Das Schlimmste kommt noch | |
Die Zukunft, vor der heute meine Alterskohorte, die Millennials (geboren | |
zwischen 1980 und 1996; d. Red. ), aber vor allem die Angehörigen der | |
Generation Z, die nach 1996 geboren wurden, stehen, ist ja eine ganz andere | |
als die der Boomer, die sich gerade peu à peu in den Ruhestand | |
verabschieden. | |
Während viele Senioren in ihren abbezahlten Eigenheimen sitzen und es sich | |
in der Komfortzone ihrer SUVs bequem gemacht haben, blicken die Jüngeren in | |
eine sorgenvolle Zukunft: Klimakatastrophe, Wasserkriege, Pandemien. | |
Niemand kann sagen, ob man in 50 Jahren noch Rente bekommt oder überhaupt | |
auf dem Planeten leben kann. | |
Der Soziologe Heinz Bude hat in der Süddeutschen Zeitung von einer | |
„Inversion der Angstrichtung“ geschrieben: „Lag für die Generationen der | |
Weltkriegsteilnehmer und der Kriegskinder das Schlimmste, was einem | |
passieren kann, hinter ihnen, so kommt für die Generationen von 9/11, von | |
Fukushima und der Pandemie das Schlimmste noch auf sie zu.“ | |
Das perpetuierte Krisennarrativ verändert etwas in der Wahrnehmung und | |
Perspektive junger Menschen: Die Zukunft ist kein Möglichkeitsraum mehr, | |
sondern ein Gefahrenraum. Es geht nicht mehr darum, die Welt zu verbessern, | |
sondern darum, das Schlimmste zu vermeiden. | |
Aus dem Ideenlabor der Politik ist ein Reparaturbetrieb geworden. Erst | |
kürzlich zeigte eine Studie („Jugend in Deutschland“), dass der | |
Dauerkrisenmodus 14- bis 29-Jährige viel mehr stresst als ältere Menschen. | |
Es ist das Gefühl, dass sich da ein Berg von Herausforderungen auftürmt, | |
denen man nicht mehr gewachsen ist. | |
Man spürt diese Verunsicherung überall. Vor ein paar Monaten sprach ich mit | |
einer Kulturmanagerin am Telefon. Sie erzählte mir, ihre 12-jährige Tochter | |
habe so große Zukunftsängste, dass sie sagte: „Mama, ich möchte nicht | |
erwachsen werden.“ | |
## Lebensverneinende Sätze | |
Ich fand das einen schlimmen, lebensverneinenden, aber auf eigentümliche | |
Weise auch erwachsenen Satz, weil aus ihm nicht die Infantilität einer | |
Spaßgesellschaft spricht, sondern ein sehr ernsthaftes Krisenbewusstsein. | |
Eines, das den Vätern meiner Generation abgeht, wenn sie bei der | |
Wohnungssuche die Frage stellen: „Ist da auch ein Stellplatz dabei?“ | |
Als wäre das ein Kriterium! Man kann sich glücklich schätzen, überhaupt | |
eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wer nichts erbt, für den ist der Traum | |
eines Eigenheims ohnehin geplatzt, selbst bei gutem Einkommen kann man sich | |
das nicht leisten. | |
Ich bin ein Kind der 1990er Jahre. Damals machte man sich keine großen | |
Sorgen um die Zukunft, es war alles unbeschwerter, vielleicht auch, weil es | |
feste Fahrpläne gab. Am Weltspartag brachte man sein Erspartes zur Bank, im | |
Radio liefen Werbespots wie „Auf diese Steine können Sie bauen“ (Schwäbis… | |
Hall) und „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause“ (LBS). | |
Für viele meiner Generationsgenossen klingen diese Jingles heute wie Hohn – | |
genauso wie das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft, das | |
einem in den Spätjahren der Bonner Republik in regelmäßigen Boostern | |
eingeimpft wurde: „Schaffe, schaffe, Häusle bauen.“ | |
Von wegen! In [4][der „Abstiegsgesellschaft“] (Oliver Nachtwey), wo der | |
Fahrstuhl außer Betrieb ist und man die Rolltreppe gegen die Fahrtrichtung | |
hochlaufen muss, ist sozialer Aufstieg kaum noch möglich. | |
## Großes Fressen ist vorbei | |
Das große Fressen ist vorbei, der Kuchen wird von Jahr zu Jahr kleiner. Die | |
Steine, auf denen die Boomer bauten und mit denen sie ihren sozialen Status | |
zementierten, wurden mit billigen fossilen Rohstoffen finanziert – einer | |
ökologischen Hypothek zulasten jüngerer Generationen. Die müssen nun den | |
Überkonsum der Älteren bezahlen – nicht nur mit einem steigenden CO₂-Prei… | |
auch mit Einschränkungen ihrer Freiheit. | |
Damit konfrontiert, gehen die Boomer oft in eine Abwehrhaltung, als würde | |
man ihre Lebensleistung infrage stellen. Man habe früher selbst nicht viel | |
gehabt, bekommt man dann zu hören, das Badewasser wurde geteilt, Fleisch | |
gab es nur sonntags, und den Schlafsack fürs Zeltlager nähte die Mutter in | |
Heimarbeit. | |
Aus dieser entbehrungsreichen Zeit leiten die Boomer bis heute ihren | |
Anspruch auf Konsum ab, als wäre es ein wohlerworbenes Recht, zum Golfen | |
nach Ägypten zu jetten. Man hat ja schließlich jahrzehntelang hart dafür | |
gearbeitet – im Gegensatz zur „faulen“ Jugend, die jetzt die Viertagewoche | |
fordert! | |
Haben die Alten nicht kapiert, dass uns Jungen die Zeit davonrennt? Dass | |
die Klimauhr erbarmungslos tickt? Dass wir kaum noch Zeit haben, unseren | |
Alltag zu bewältigen? | |
Wenn man die saturierten Rentner sieht, die Cafés und Restaurants bevölkern | |
und seelenruhig in ihrem Milchkaffee rühren, könnte man meinen, dass man in | |
zwei verschiedenen Zeitzonen lebt. Hier die gehetzten Jungen, dort die | |
entspannten Alten, die ihren Ruhestand auskosten – nach dem Motto: Wir | |
haben Rente bestellt, jetzt müssen die Jungen liefern! | |
Neulich ist mir das wieder beim Bäcker aufgefallen: Da kommandierte ein | |
älterer Herr mit apfelroten Wangen eine Auszubildende mit diesem | |
Lehrjahre-sind-keine-Herrenjahre-Ton durch den Laden, der sagen wollte: | |
„Fräulein, lern erst mal Brötchen schmieren!“ Ich war im ersten Moment se… | |
wütend: Soll der alte Mann doch froh sein, dass überhaupt noch jemand im | |
Laden steht und seine Rente finanziert! | |
Im zweiten Moment dachte ich: Diese verdammten Herrenjahre! Sie sind der | |
Grund, warum wir heute alles neu lernen müssen. | |
5 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wie-Gen-Z-ueber-Millennials-denkt/!5901507 | |
[2] /Streit-ueber-Verbrenner-Aus/!5922807 | |
[3] /Gendergerechte-Medizin/!5838605 | |
[4] /Essay-von-Oliver-Nachtwey/!5315079 | |
## AUTOREN | |
Adrian Lobe | |
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